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Full text of "Haavara-Transfer nach Palästina & Einwanderung deutscher Juden 1933-39"

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RIFTENREIHE WISSENSCHAFTLICHER ABHANDLUNGEN 
DES LEO BAECK INSTITUTS 

26 


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WERNER FEILCHENFELD • DOLF MICHAELIS 
LUDWIG PINNER 


HAAVARA-TRANSFER 
NACH PALÄSTINA 

und 

EINWANDERUNG DEUTSCHER JUDEN 1933-1939 


Mit einer Einleitung von 
SIEGFRIED MOSES 


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J. C. B. MOHR (PAUL SIEBECK) TÜBINGEN 

















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SCHRIFTENREIHE WISSENSCHAFTLICHER ABHANDLUNGEN 
DES LEO BAECK INSTITUTS 

26 





















WERNER FEILCHENFELD • DOLF MICHAELIS 
LUDWIG PINNER 


HAAVARA-TRANSFER 
NACH PALÄSTINA 

und 

EINWANDERUNG DEUTSCHER JUDEN 1933-1939 


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Kurs der Sperrmark 

Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts 
Haavara-Transfer nach Palästina 




19 7 2 


J. C. B. MOHR (PAUL SIEBECK) TÜBINGEN 










Leo Baeck Institut 


J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen 1972 
Alle Rechte Vorbehalten 

Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlags ist es auch nicht gestattet, das Buch oder Teile 
daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. 
Printed in Germany 

Satz und Druck: Buchdruckerei Bugen Göbel, Tübingen 
Einband: Großbuchbinderei Heinr. Koch, Tübingen 

ISBN 3 16 833851 6 

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Universitätsbibliothek 

















INHALT 


Einleitung von Siegfried Moses. 

Kapitel I 

DIE WIRTSCHAFTLICHE UND POLITISCHE ENTWICKLUNG 
DER AUSWANDERUNGS- UND TRANSFERFRAGE 
IM NATIONALSOZIALISTISCHEN DEUTSCHLAND 

von Dolf Michaelis 

1. Die Reaktion der deutschen Juden auf die nationalsozialistische 

Machtübernahme. 

2. Die Reaktion der Weltjudenheit und der Juden in Palästina auf die 

Ereignisse in Deutschland . 

3. Die Bedeutung der deutschen Wirtschafts- und Finanzlage für das 

Zustandekommen und die Durchführung eines Transfers. 

4. Der Plan einer umfassenden jüdischen Palästina-Auswanderung • . • 

5. Die ersten Auswanderungs-Transferverhandlungen in Deutschland . 

6. Die deutschen Behörden und die Haavara. 

Kapitel II 

DIE DURCHFÜHRUNG DES HAAVARA-TRANSFERS 
von Werner Feilchenfeld 

A. Die Aufgabe der Haavara für die jüdische Auswanderung aus 
Deutschland nach Palästina. 

1. Die jüdische Auswanderung aus Deutschland. 

2. Die Einwanderungsbestimmungen der Mandatsregierung. 

3. Die Transferorganisation der Paltreu-Haavara. 

4. Der steigende Transferbedarf der Palästina-Auswanderer. 


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Inhalt 


5. Die Rolle der Deutschen Reichsbank bei der Förderung der Auswande¬ 
rung nach Palästina. 45 

6. Das Transfersystem der Haavara. 47 

(a) Sonderkonto I und Sonderkonto II. 47 

(b) Der Transfer für Schulgelder, Renten und Touristik. 48 

7. Das Transferprogramm der Haavara. 50 

(a) Die normale Ausfuhr deutscher Waren nach Palästina. 50 

(b) Die zusätzliche Ausfuhr deutscher Waren - durch Sondergenehmi¬ 
gung - nach den Nachbarländern Ägypten, Syrien, Irak. 54 

(c) Die zusätzliche Warenausfuhr nach Palästina durch Eigen-, Bau-, 

Emissions- und Siedlungstransfer. 55 

(d) Die palästinensische Zitrusausfuhr nach Deutschland im Rahmen 

der Haavara . 60 

(e) Die Bezahlung einzelner Auslandsgeschäfte aus Ubersee mit Haa- 
vara-Mark und die Versuche zusätzlicher Großprojekte im Ausland 61 

(f) Der Finanztransfer durch Clearing ausländischer Unterstützungs¬ 
zahlungen nach Deutschland. 61 

B. Der Transferschlüssel, das Betriebskapital und die Transferkosten 

der Haavara. 65 

8. Der Transferschlüssel. 65 

9. Das Problem des Haavara-Betriebskapitals. 66 

10. Die Kosten des Vermögenstransfers. 68 

C. Die Abwicklung des Haavara-Transfers nach Kriegsausbruch .... 70 

11. Die Liquidation des Haavara-Transfers in Deutschland. 70 

12. Die Liquidation in Palästina. 71 

D. Der Aufbau des Haavara-Transfers und sein Gesamtumfang .... 73 

13. Der Verwaltungsapparat der Haavara. 73 

14. Der Gesamtransfer und seine Aufteilung. 74 

15. Die Haavara als Einwanderungsfaktor. 76 

Anhang: Auswanderung nach anderen Ländern . 79 

(A) Das Altreu-Transfersystem. 79 

(B) Die Transferverhandlungen in Ost- und Südosteuropa und im Zu¬ 

sammenhang mit dem Intergovernmental Committee für Flüchtlings¬ 
fragen . 81 

(C) Verhandlungen mit ost- und südosteuropäischen Ländern und dem 

Intergovernmental Committee. 81 

(D) Der Auswanderungs- und Transferplan für das Intergovernmental 
Committee der Evian-Flüchtlingskonferenz in London unter Einbau 

des Haavara-Transfers. 83 







































Inhalt 


7 


Kapitel III 

DIE BEDEUTUNG DER EINWANDERUNG AUS DEUTSCHLAND 
FÜR DAS JÜDISCHE PALÄSTINA 

von Ludwig Pinner 

1. Die Einwanderung aus Deutschland im Rahmen der Gesamtein¬ 
wanderung . 

Die fünfte Alija. 

Legale Einwanderung. 

Ma’apilim-Einwanderung . 

Der Verlauf der Einwanderung. 

Kapitalisten-Einwanderung . 

Arbeiter-Einwanderung. 

Jugendalija . 

2. Die Einordnung der Juden aus Deutschland und ihr Beitrag zum 

Aufbau des jüdischen Palästina. 

Kapitalimport. 

Kapitalanlage .. 

Industrie und Handel. 

Finanzwesen. 

Städtische Entwicklung und Lebensstil. 

Landwirtschaftliche Siedlung. 

Der kulturelle Beitrag der deutschen Alija. 

3. Die Kollektivleistung der deutschen Alija. 

4. Die Organisation der Einwanderung aus Deutschland. 

Namenregister. 


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EINLEITUNG 


Auf den ersten Blick mag es überraschen, daß eine Veröffentlichung des 
Leo Baeck Instituts der Schilderung eines Ausfuhr- und Verrechnungsabkom¬ 
mens gewidmet ist, dem eine eng umgrenzte Aufgabe gestellt war und das 
knapp sechs Jahre in Kraft gewesen ist. Daß und warum der sogenannte 
„Haavara-Transfer“ in die Geschichte der deutschen Juden eingegangen ist, 
deren Erforschung und Darstellung das Leo Baeck Institut dient, und im 
Rahmen der jüdischen Geschichte überhaupt festgehalten zu werden verdient, 
zeigt schon ein kurzer Überblick. 

Die sechs Jahre der Durchführung dieses Abkommens waren eine Periode 
von schicksalhafter Bedeutung. Es waren die Jahre 1933 bis 1939, die ersten 
sechs Jahre des Hitler-Regimes, in denen die ersten Opfer dieses Regimes, die 
deutschen Juden, zwar ungemein Schweres erlitten, aber doch noch - unter 
gewissen Bedingungen - die Möglichkeit hatten, sich durch Auswanderung 
der Schreckensherrschaft zu entziehen. 

So war denn die Aufgabe des Abkommens, Auswanderungsmöglichkeiten 
für diejenigen deutschen Juden zu schaffen, die nach Palästina auswandern 
wollten. Das waren neben Zionisten, die schon seit langem den Plan einer 
künftigen Übersiedlung nach Palästina in ihr Lebensprogramm aufgenom¬ 
men hatten, in der Mehrzahl Juden, denen dieser Gedanke früher ferngelegen 
hatte. Wirtschaftlich betrachtet, waren es großenteils Menschen des Mittel¬ 
standes - Ärzte, Rechtsanwälte, selbständige Kaufleute und kaufmännische 
Angestellte -, deren Geldmittel nur bei einem unter erträglichen Bedingungen 
durchgeführten Vermögenstransfer die Grundlage für die Schaffung einer 
Existenz im Einwanderungslande bilden konnten; pensionierte Beamte, Lehrer 
und Rabbiner, deren Lebensunterhalt davon abhing, daß sich zugleich mit 
ihrer Auswanderung ihre Pension transferieren ließ; Arbeiter; Studenten und 
Schüler (die vielfach von ihren Eltern nach Palästina vorausgesandt wurden). 
Alle diese Kategorien konnten im jüdischen Palästina auf eine Aufnahme¬ 
bereitschaft und Einordnungshilfe rechnen, wie sie in anderen Ländern nicht 
bestanden. 

Aber wie war es möglich, diesen Auswanderungswilligen die Mitnahme 
ihrer bescheidenen Mittel mit einem tragbaren Verlust zu sichern - den 
Transfer aus einem Lande mit damals begrenzten Devisen, dessen Regierung 
den Juden so feindlich gesinnt war? Der jüdische Vorschlag, die erforder- 








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Siegfried Moses 


liehen Devisen durch den Verkauf deutscher Waren nach dem jüdischen Palä¬ 
stina zu beschaffen, wurde angenommen und bildete die Grundlage für das 
in dieser Schrift geschilderte Haavara-Abkommen. Die nicht der Partei an- 
gehörigen Beamten des Reichswirtschaftsministeriums, die sich für das Ab¬ 
kommen einsetzten - voran der unvergeßliche Regierungsrat Dr. Hans Har¬ 
tenstein konnten sich ihrer Regierung gegenüber darauf berufen, daß der 
zusätzliche Export zusätzliche Möglichkeiten zur Verringerung der im ersten 
Stadium des Hitler-Regimes bestehenden Arbeitslosigkeit schaffe (obwohl die 
Dimensionen, die in Frage kamen, gemessen an den Notwendigkeiten der 
deutschen Wirtschaft winzig waren). Und mit der Judenpolitik der Regie¬ 
rung ließ sich der Gedanke dieser Auswanderungsförderung insofern in Ein¬ 
klang bringen, als damals ja noch nicht die mit der „Endlösung“ beschlossene 
Vernichtung der Juden auf dem Programm stand: soweit überhaupt Klarheit 
in dieser Hinsicht bestand, war damals noch das Endziel, Deutschland „juden¬ 
rein“ zu machen. 

Unter diesen Umständen konnte es dahin kommen, daß in einer Periode, in 
der die in Deutschland lebenden Juden mehr und mehr geächtete und rechtlose 
Objekte einer feindlichen Gesetzgebung tmd Verwaltung wurden, deutsche 
Juden und die in ihrem Interesse handelnden Organe der zionistischen Be¬ 
wegung als Vertragspartner und als Träger einer Finanzregelung anerkannt 
wurden - eines Geld-Transfer-Systems, dessen Grundlagen zwar in der 
Form von Erlassen der deutschen Behörden festgelegt wurden, aber nach ein¬ 
gehenden Beratungen, in denen die Vorschläge und Darlegungen der jüdischen 
Seite in den ersten Jahren weitgehend berücksichtigt und auch in den letzten 
Jahren noch angehört und in gewissem Maße in Betracht gezogen wurden. 

Wenn diese Haltung im Kontrast zu der anti-jüdischen Einstellung der 
nationalsozialistischen Regierung stand, so mußte auch die jüdische Seite hier 
einen Weg gehen, der ihrer gegnerischen Haltung gegenüber dem Hitler- 
Regime ganz und gar nicht entsprach. Die Weltjudenheit hatte einen Welt- 
Boykott deutscher Waren proklamiert; das Haavara-Abkommen aber, das 
die Repräsentanten der zionistischen Bewegung eingingen, beruhte auf dem 
Gedanken der Förderung des Verkaufs deutscher Waren nach dem jüdischen 
Palästina. Die Überzeugung, daß die Rettung jüdischer Menschen aus der 
Hölle des Hitler-Deutschland das dringendste Gebot der Stunde war und 
wichtiger als die strikte Einhaltung der im allgemeinen gebotenen Politik des 
umfassenden Kampfes gegen das Fiitler-Regime, führte dazu, daß die Reprä¬ 
sentanten der zionistischen Weltorganisation entschlossen diese Abweichung 
von der Politik der Weltjudenheit bejahten (einschließlich Dr. Stephen Wise, 
der zu den Initiatoren des Welt-Boykotts gehörte und dennoch dem den Haa- 
vara-Transfer legalisierenden Beschluß des Luzerner Zionistenkongresses zu¬ 
stimmte); daß unter den deutschen Juden insbesondere auch die deutschen 
Zionisten bei dem Zustandekommen des Abkommens und bei seiner Durch¬ 
führung eine aktive Rolle spielten; und daß schließlich das jüdische Palästina 






















Einleitung 


11 


alles tat, um durch bereitwillige Aufnahme der deutschen Waren dem Unter¬ 
nehmen vollen Erfolg zu sichern. Für die deutschen Juden hatte die Wirksam¬ 
keit zugunsten einer Auswanderung nach Palästina in Formen, auf deren Ge¬ 
staltung sie wohl durchdachten Einfluß nehmen konnten, noch eine besondere 
moralische Bedeutung: während sie auf so vielen Gebieten lediglich Objekte 
der Verfolgungen des nationalsozialistischen Regimes waren, ermöglichte 
ihnen der Haavara-Transfer auf diesem wichtigen Gebiet eine aktive und 
konstruktive Reaktion auf jene Verfolgungen - mit einem Erfolg, der ange¬ 
sichts der Schwäche ihrer politischen und materiellen Position bemerkenswert 
war. In den engen Grenzen, die ihnen durch die Gewaltherrschaft gezogen 
waren, bemühten sich ja die deutschen Juden auch auf kulturellem und so¬ 
zialem Gebiet, auf die Verbote und Ausschlußmaßnahmen des Regimes aktiv 
zu reagieren, namentlich durch Errichtung jüdischer Schulen, Schaffung von 
Einrichtungen für jüdische Erwachsenenbildung und für Berufsumschichtung 
sowie durch sorgsam organisierte gegenseitige Hilfe. 

Die Ergebnisse des Haavara-Transfers entsprachen allen Erwartungen, die 
man hegen durfte. Wenn annähernd zwanzig Prozent der deutschen Juden, 
die überhaupt auszuwandern vermochten, ihren Weg nach Palästina finden 
konnten, so ist dies in entscheidendem Maße dem Haavara-Transfer - direkt 
oder indirekt - zu verdanken. Dabei ist von besonderer Wichtigkeit, daß 
dieser Transfer für den größten Teil von ihnen die einzige Auswanderungs¬ 
möglichkeit bot, so daß sie ohne ihn überhaupt nicht hätten auswandern 
können. Und die Tatsache, daß die jüdischen Träger des Transfers ihn im 
einzelnen nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen gestalten konnten, ermöglichte 
bei seiner Durchführung eine weitgehende Berücksichtigung sozialer und ge¬ 
meinwirtschaftlicher Gesichtspunkte: minderbemittelten Auswanderungswilli¬ 
gen, wie Pensionären, Studenten und Schülern, konnte ein Transfer mit er¬ 
heblich geringerem Verlust gewährt werden als den besser situierten Aus¬ 
wanderern, und durch die Transferierung zionistischer Fonds konnte die 
Grundlage für die Einwanderung mittelloser Arbeiter geschaffen werden. 
Gleichzeitig ist der Aufbau des jüdischen Palästina, das ja den Ausgangs¬ 
punkt für die Errichtung des Staates Israel bildete, dadurch entscheidend 
gefördert worden, daß der Board der Haavara - dessen verdienstvoller Vor¬ 
sitzender der verstorbene Dr. Werner Senator war - für eine planmäßig 
gesteuerte Verwendung der aus Deutschland importierten Waren Sorge trug. 
Däb'ei spielten die mit dem Haavara-Import verbundenen langfristigen 
Kredite, die - zum Teil in Wertpapieremissionen - jüdischen Institutionen 
und Unternehmungen gewährt wurden, eine bedeutsame Rolle. 

Ist es vorstellbar, daß sich irgendwann einmal ein Bedürfnis zeigen wird, 
aus der Geschichte des Haavara-Transfers zu lernen? Wie im Anschluß an die 
Darstellung des Transfers in der vorliegenden Schrift kurz berichtet wird, 
sind in der Zeit des Hitler-Regimes Versuche, einen analogen Transfer in 
anderen von Hitler unterworfenen Ländern Mittel- und Osteuropas zu schaf- 








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Siegfried Moses 


fen, gescheitert; und ein Vorschlag, in ein umfassendes Programm zur Rettung 
von Juden einen ähnlichen Transfer einzubauen, blieb mit dem gesamten 
Programm auf dem Papier stehen. So stellte der Haavara-Transfer der deut¬ 
schen Juden den einzigen erfolgreichen Versuch dar, im Wege der Selbsthilfe 
eine geordnete Auswanderung durchzuführen - verbunden mit einer geplan¬ 
ten Förderung der Wirtschaft des Aufnahmelands Palästina. 

Was die Zukunft anbelangt, so ist es vielleicht kein übertriebener Optimis¬ 
mus anzunehmen, daß eine Situation wie die, die den Haavara-Transfer 
nötig machte, nicht wiederkehren wird. Es mögen aber sachlich eher zu recht¬ 
fertigende Umstände dazu führen, daß ein Vermögenstransfer, der sich als 
notwendig erweist, nur im Wege des Warentransfers bewerkstelligt werden 
kann: etwa im Falle einer Auswanderung, die durch einen Bevölkerungs¬ 
austausch bedingt ist; oder wenn eine Regierung Bürgern, die ihre Ideologie 
nicht teilen, die Auswanderung gestattet. In solchen Fällen könnten die 
hier wiedergegebenen Erfahrungen und Überlegungen wertvoll sein. 

* 

Die Veröffentlichung dieser Schrift ist von dem verdienten früheren Gene¬ 
ral Manager der Haavara, Dr. Werner Feilchenfeld, angeregt worden, dessen 
sachkundige Darstellung des Transfers und seiner Durchführung das Kernstück 
der Schrift bildet (Kapitel II). Die Bedeutung des Transfers für das jüdische 
Aufbauwerk in Palästina und den Einfluß der Einwanderung aus Deutsch¬ 
land - die zu einem erheblichen Teil durch den Haavara-Transfer ermöglicht 
wurde - auf die Wirtschaft und Kultur des jüdischen Palästina (Kapitel III) 
schildert Dr. Ludwig Pinner, der - seit 1921 in Palästina ansässig - an der 
Arbeit der Haavara als aktives Board-Mitglied der Gesellschaft hervorragend 
Anteil nahm; seine Vertrautheit mit dem gesamten Fragenkreis kam der 
Schrift in allen ihren Teilen zugute. Herr Dolf Michaelis, der als ein mit zahl¬ 
reichen Auswanderungsfällen befaßter Bankmann und Wirtschaftskenner die 
Tätigkeit der Haavara von Anbeginn an mit sachverständigem Interesse 
beobachtete, hat die Schrift für das Leo Baeck Institut zur Veröffentlichung 
vorbereitet und ist außerdem der Verfasser des Abschnitts „Die wirtschaftliche 
und politische Entwicklung der Auswanderungs- und Transferfrage im na¬ 
tionalsozialistischen Deutschland“ (Kapitel I). Jeder der Autoren trägt die 
Verantwortung für seinen Beitrag zu dieser Schrift. Eine Anzahl von Doku¬ 
menten, die auf die wechselnde Stellungnahme der nationalsozialistischen Be¬ 
hörden und Amtsträger Licht werfen, verdankt das Leo Baeck Institut den 
Nachforschungen von Dr. Ernst Marcus, der sich mit diesem Fragenkreis im 
Rahmen umfassenderer Studien beschäftigte; als Geschäftsführer der in Berlin 
den Haavara-Transfer vertretenden Paltreu stand er in ständiger Füh¬ 
lung mit den deutschen Behörden und war deshalb für die Beurteilung der 
Bedeutung des Urkundenmaterials besonders legitimiert. 


Siegfried Moses 















Kapitel I 


DIE WIRTSCHAFTLICHE UND POLITISCHE ENTWICKLUNG 
DER AUSWANDERUNGS- UND TRANSFERFRAGE 
IM NATIONALSOZIALISTISCHEN DEUTSCHLAND 


Dolf Michaelis 




















1. DIE REAKTION DER DEUTSCHEN JUDEN 
AUF DIE NATIONALSOZIALISTISCHE MACHTÜBERNAHME 


Leo Baeck erklärte im Jahre 1933: „Die tausendjährige Geschichte des 
deutschen Judentums ist zu Ende.“ Mit der Machtergreifung der national¬ 
sozialistischen Partei und der Wahl Hitlers zum Reichskanzler begann am 
30. Januar 1933 das letzte Kapitel der Geschichte dieses kulturell, wirtschaft¬ 
lich und sozial hochstehenden Teiles des europäischen Judentums. Dieses letzte 
Kapitel brachte Entrechtung, Enteignung, erzwungene Auswanderung und 
schließlich Vernichtung. Einer mehr oder weniger geordneten Liquidierung 
der bürgerlichen und wirtschaftlichen Positionen und Auswanderung in den 
ersten Jahren des nationalsozialistischen Regimes folgte die Periode der 
Zwangsliquidierung, Vermögens Verschleuderung und Austreibung der mittel¬ 
los gewordenen deutschen Juden. Der zweite Weltkrieg leitete das letzte Sta¬ 
dium dieser Leidensgeschichte ein, die 1933 begann und in der Todesgemein¬ 
schaft mit dem von den Nationalsozialisten erfaßten Teile der europäischen 
Judenheit endete. 

Die Jahre von 1933 bis 1939 waren aber nicht nur Jahre der Verfolgung 
und Auswanderung in fremde Länder, sie waren auch Jahre des mit Stolz 
und Würde ertragenen Schicksals. Dem passiven Erleiden der aufgezwunge¬ 
nen Bürde und Not der entrechteten und beraubten jüdischen Gemeinschaft 
in Deutschland trat der Wille zur Selbstbehauptung zur Seite, zu gegenseitiger 
Hilfe und zu geplanter, geordneter Liquidierung und Transferierung jüdi¬ 
schen Einzel- und Kollektivvermögens. Die Reaktion des deutschen Juden¬ 
tums auf die politische Umwälzung von 1933, auf die gleichzeitig einset¬ 
zende antijüdische Gesetzgebung und die sogenannten „spontanen“ antijüdi¬ 
schen Kundgebungen, mit den sie begleitenden Gewaltakten, war nicht nur 
Schock und lähmendes Entsetzen, sondern auch Selbstbesinnung, Selbsthilfe 
und das Wiederentdecken eigener geistiger jüdischer Quellen. 

Die Frage, inwieweit die deutschen Juden die nationalsozialistische Juden¬ 
politik in den Jahren vor 1933 in ihrem ganzen Umfang richtig eingeschätzt 
haben, ist noch nicht voll geklärt. Wichtiges Material darüber enthält der 
Sammelband „Entscheidungsjahr 1932. Zur Judenfrage in der Endphase der 
Weimarer Republik“ (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo 
Baeck Instituts, J. C.B.Mohr [Paul Siebeck], Tübingen, 1965). Mit Recht 
wurde im Vorwort des genannten Werkes gesagt, daß „die Voraussicht des 








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Dolf Michaelis 


Kommenden auf jüdischer wie auf deutscher Seite auf wenige beschränkt“ war. 
Wir, die wir über die damaligen Vorgänge und ihr Echo bei den Juden in jenen 
Tagen schreiben, müssen uns, um der historischen Wahrheit willen, freimachen 
von unserem Wissen um die „Endlösung“ und all dem, was den Juden in den 
dreißiger Jahren noch im Dunkel der Zukunft verhüllt war. Wir müssen den 
Versuch machen, den damaligen Ereignissen nachzugehen und sie nachzu¬ 
zeichnen, wie sie sich in den Köpfen der Zeitgenossen spiegelten. Niemand 
ahnte damals etwas davon, daß die nationalsozialistische Judenpolitik sich bis 
zur totalen physischen Vernichtung aller Juden, die unter die deutsche Macht 
kommen würden, zuspitzen würde. 

In der jüdischen Presse war die Bewertung der antisemitischen Kompo¬ 
nente in der NS-Bewegung nicht einheitlich, und die daraus folgenden Pro¬ 
gnosen für die Lage der deutschen Juden im Falle eines nationalsozialistischen 
Sieges in Deutschland waren naturgemäß auch verschieden. Der „Central¬ 
verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“, dessen Anschauungen die 
Mehrheit der deutschen Judenheit teilte, glaubte lange mit einer verstärkten 
Aktion der „Abwehr gegen den Antisemitismus“ auf die NS-Bewegung rea¬ 
gieren zu können; in den letzten Jahren vor 1933 ging er zu einer politischen 
Bekämpfung der Nationalsozialisten über, der naturgemäß ein Erfolg versagt 
war. Bei der kleinen zionistischen Minderheit, und besonders in ihrem Organ 
„Jüdische Rundschau , gab es schon im Jahre 1930 gewisse Erkenntnisse des 
bitteren Ernstes der Lage, die aber auch hier nur Ansätze zu einer vollen Dia¬ 
gnose blieben. Am 8. Juli 1930 heißt es in einem Artikel in der „Jüdischen 
Rundschau : „Es ist höchstwahrscheinlich, daß die ersten Opfer in der großen 
Auseinandersetzung zwischen altem und neuem Deutschland die Juden sein 
werden. Der Kampf um das neue Deutschland wird auf dem Rücken und auf 
Kosten der Juden zur Austragung gelangen.“ 

Der überwiegenden Mehrheit der deutschen Juden lag der Gedanke völlig 
fern, daß der Kampf des alten und neuen Deutschland auf dem Rücken der 
deutschen Juden ausgetragen werden könnte. Sie konnte und wollte sich nicht 
freimachen von dem Glauben, daß der allgemeine und soziale Fortschritt 
auch das Verschwinden des Antisemitismus mit sich bringen würde. So war 
das rüde und plötzliche Erwachen aus der Illusion, aus dem Traum einer 
Lösung der Judenfrage durch den Liberalismus und den ewigen Fortschritt, 
ein furchtbarer Schock für das deutsche Judentum. In tiefer Resignation regi¬ 
strierte das Blatt des Centralvereins, die „CV-Zeitung“, vom 13. April 1933 
die epochale Veränderung der Lage in folgenden Worten: „Die Geschehnisse 
der letzten Tage machen mit der Gleichberechtigung der deutschen Juden 
Schluß. Die Weltanschauung vom Rassenwert und von der Ungeeignetheit des 
Semiten für staatliches Leben ist Staatsgesetz geworden. Das deutsche Juden¬ 
tum bestreitet die Richtigkeit, aber es muß sich der Macht beugen. Eine neue 
Epoche jüdischer Geschichte in Deutschland hat damit begonnen. Sie ist durch 
die Gesetzgebung der letzten Woche gekennzeichnet.“ 




















Die wirtschaftliche und politische Entwicklung 


17 


Sollte es bei einer bloßen Feststellung der neugeschaffenen Lage bleiben, 
oder würde es zu einem Sich-Aufraffen führen, zu einem Neudenken, Neu¬ 
beginnen, zu tätiger Reaktion auf das von außen herangetragene Geschehen? 
Die Zionistische Vereinigung für Deutschland rief den deutschen Juden in 
ihrem Aufruf vom 20. Januar 1933 zu: „Die Folgerung liegt nahe. Die 
Juden unserer Tage müssen wieder wissen, wie es um sie bestellt ist, und aus 
diesem Wissen muß ihnen die Kraft nicht nur zum Ertragen von Schicksals¬ 
schlägen, vielmehr zum Aufbauen eigenen Lebens kommen.“ Noch betonter 
kam diese Haltung zum Ausdruck in dem nach dem Boykott-Tage, dem 
1. April 1933, veröffentlichten Leitartikel der „Jüdischen Rundschau vom 

4. April 1933: „Tragt ihn mit Stolz, den gelben Fleck!“.»Der 1. April 

kann ein Tag des jüdischen Erwachens und der jüdischen Wiedergeburt sein. 
Wenn die Juden wollen, wenn die Juden reif sind und innere Größe besitzen.“ 

In der Stellungnahme der in Deutschland lebenden Juden und ihrer Organi¬ 
sationen zur Auswanderung als Lösung der deutschen Judenfrage müssen ge¬ 
wisse Schwankungen festgestellt werden. Sie waren in nicht geringem Maße 
bestimmt von den Schwankungen äußeren Drucks auf die Juden Deutschlands 
durch die NS-Politik, die während der Jahre 1933 bis 1939 verschiedene 
Phasen in ihrer Haltung, insbesondere zu den im Wirtschaftsleben stehenden 
Juden durchlief. Jede Erleichterung von diesem Druck — wie z. B. ein Nach¬ 
lassen der Verfolgungsmaßnahmen im Jahre 1936, in dem in Berlin die 
Olympiade stattfand - bewirkte bei vielen eine Verminderung des Auswande¬ 
rungswillens oder mindestens ein erneutes Hinausschieben des Auswande¬ 
rungstermins. Im ersten Jahre des nationalsozialistischen Regimes gab es auch 
illusorische Hoffnungen, denen sich neben den Juden auch deutsche anti¬ 
nationalsozialistische Kreise, wie beispielsweise Teile des Adels und des Ka¬ 
tholizismus, hingaben: die Hoffnung, das Regime würde sich bald totlaufen; 
oder die Hoffnung, wirtschaftliche oder außenpolitische Schwierigkeiten wür¬ 
den es zu einer Änderung oder Milderung der Rassenpolitik zwingen. Solche 
Hoffnungen trugen mindestens in der Anfangszeit des nationalsozialistischen 
Regimes dazu bei, viele Juden über ihre wahre Lage zu täuschen. 

Bezeichnend für die Haltung, welche die führende jüdische Körperschaft, die 
„Reichsvertretung der deutschen Juden“, in den ersten Monaten einnahm, ist 
ihre Erklärung vom 29. Mai 1933: „Vor dem deutschen Judentum steht das 
Schicksal, zum Entrechteten in der deutschen Heimat zu werden. In ihrer 
Ehre getroffen, können die deutschen Juden als kleine Minderheit im deut¬ 
schen Volke sich nicht verteidigen ... Unsere Überzeugung ist es, erwarten zu 
• dürfen, daß auch die Auseinandersetzung mit uns auf dem Boden des Rechtes 
und mit Waffen der Vornehmheit geführt werde, daß eine ehrliche Klarheit 
über unseren Platz und unseren Weg in dem Raume des Lebens geschaffen 
w^erde.“ 

Diese Erklärung stellt zwar die eingetretene Veränderung schonungslos dar; 
hinter ihr steht aber noch die Meinung, daß es zu einem Gespräch zwischen 


2 LBI 26 Haavara-Transfer 









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Dolf Michaelis 


den deutschen Juden und der NS-Regierung kommen könnte. Wir wissen 
heute, daß es zu einem umfassenden Dialog dieser Art niemals kam. 

Der Nürnberger Parteitag von 1935 beschloß die bis dahin schärfsten anti¬ 
jüdischen Gesetze, die in den folgenden Jahren die Grundlage für die end¬ 
gültige bürgerliche Entrechtung der Juden und der Entziehung der wirt¬ 
schaftlichen Grundlage in fast allen Erwerbszweigen bilden sollten. In einer 
Erklärung der Reichsvertretung der Juden in Deutschland, veröffentlicht am 
24. September 1935, wird zum erstenmal seit 1933 ausdrücklich auf das 
Auswanderungsbedürfnis und auf die Notwendigkeit einer Vorbereitung auf 
die Auswanderung nach Palästina hingewiesen. Im Anschluß an die Forde¬ 
rung eines eigenen jüdischen Schulwerks heißt es: „Mit Rücksicht auf die 
Auswanderungsfähigkeit, insbesondere nach Palästina, wird dabei die Hin¬ 
führung zu handarbeitenden Berufen und das Erlernen der hebräischen 
Sprache im Vordergrund stehen ... Dem gesteigerten Auswanderungsbedürf¬ 
nis ist mit einer großzügigen Planung zu entsprechen, die vor allem Palästina, 
aber auch alle anderen in Frage kommenden Länder einbezieht und besonders 
der Jugend gilt. Hierzu gehört die Sorge für die Vermehrung der Auswande¬ 
rungsmöglichkeiten, Ausbildung in für die Auswanderung geeigneten Be¬ 
rufen, insbesondere Landwirtschaft und Handwerk, die Schaffung von Mög¬ 
lichkeiten zur Mobilisierung und Liquidierung des Vermögens wirtschaftlich 
Selbständiger, die Erweiterung bestehender und die Schaffung neuer Transfer¬ 
möglichkeiten." 

Zum ersten Male in der Geschichte der deutschen Juden bejaht in dieser Er¬ 
klärung die zentrale Repräsentation den Aufbau des jüdischen Palästina 
namens der deutschen Judenheit: „Kraft in der Gegenwart und Hoffnung 
für die Zukunft gibt das lebensvolle Fortschreiten im Aufbau des jüdischen 
Palästina. Um das Judentum in Deutschland noch mehr als bisher in diese 
Entwicklung hineinzustellen, tritt die Reichsvertretung als solche dem Jüdi¬ 
schen Aufbauwerke e. V. (Keren Hajessod) bei und fordert die jüdischen Ge¬ 
meinden und Verbände nadhdrücklichst auf, ihrem Beispiel zu folgen. Die 
Reichsvertretung erklärt sich bereit, die organisatorische Verbindung der 
Körperschaften der Judenheit in Deutschland mit dem Aufbauwerk in Palä¬ 
stina herzustellen.“ 


2. DIE REAKTION DER WELTJUDENHEIT UND DER JUDEN 
IN PALÄSTINA AUF DIE EREIGNISSE IN DEUTSCHLAND 

Die Verfolgung der deutschen Juden durch die neue Regierung und die 
NS-Partei, die sofort nah der Machtergreifung am 30. Januar 1933 einsetzte, 
und der am 1. April 1933 durchgeführte Boykott der jüdischen Geschäfte in 
Deutschland lösten in allen Teilen der Weltjudenheit schärfste Proteste aus. 
Massenversammlungen in jüdischen Bevölkerungszentren wie New York und 





















Die wirtschaftliche und politische Entwicklung 


19 


London gaben der Empörung über die Entrechtung und physische Verfol¬ 
gung der Juden in Deutschland durch die Partei, durch die Behörden und 
durch „spontane“ Ausbrüche des Volksempfindens - wie es in der national¬ 
sozialistischen Sprache hieß - beredten Ausdrude. Die Gegenmaßnahmen der 
ausländischen Juden bestanden in Vorstellungen bei der Regierung ihrer 
Länder mit dem Ziele diplomatischer Aktionen in Deutschland und vor allem 
in der Propagierung eines allgemeinen jüdischen Boykotts gegen deutsche 
Waren. Die Boykottbewegung begann in England, angeregt durch die Ge- 
werksdiaften und unterstützt von einem ad hoc gebildeten jüdischen Boycott 
Council, ohne daß sich die offiziellen jüdischen Institutionen mit dem Boy¬ 
kott identifizierten. In den Vereinigten Staaten von Amerika kam die Boy¬ 
kottbewegung erst im Herbst 1933 in Gang. Sie wurde vor allem von dem 
prominenten Anwalt Samuel Untermayer propagiert. Es gelang ihm auch, den 
American Jewish Congress, dessen Präsident Stephen Wise war, dafür zu 
gewinnen. Der American Jewish Congress bildete dann im Jahre 1936 mit 
dem Jewish Labour Committee einen „Joint Boycott Council“ 1 . Die Durch¬ 
führung dieser wirtschaftlichen Kampfidee stieß in der Praxis auf große 
Schwierigkeiten. Eine wirkliche Durchschlagskraft wäre ihr nur zuteil ge¬ 
worden durch Anwendung staatlicher Mittel, wie etwa eines Verbots der 
Einfuhr von deutschen Waren seitens der betreffenden Regierungen. Da solche 
Mittel nicht zur Verfügung standen, blieb nur die Organisierung eines jüdi¬ 
schen Käuferstreiks übrig, der auch im besten Falle nur einen geringen Teil 
des deutschen Absatzmarktes im Ausland erfassen konnte. Die Bedeutung der 
Boykottbewegung lag unter diesen Umständen im wesentlichen darin, daß 
sie in gewissem Umfange in der Welt die öffentliche Meinung zu den Ereig¬ 
nissen in Deutschland wachhielt. Ein Einfluß des Haavara-Abkommens auf 
die amerikanische Boykottbewegung ist nicht festzustellen. 

Stephen Wise, der für den Boykott öffentlich eintrat, stimmte dem Be¬ 
schluß des Luzerner Zionistenkongresses 1935 bei, der die Arbeit der Haavara 
unter die Kontrolle der Exekutive der Jewish Agency stellte 2 . 

Wie zu erwarten war, erregten und empörten den „Jischuw“ - die jüdische 
Bevölkerung in Palästina — die Judenverfolgungen in Deutschland außer¬ 
ordentlich. Aber der Jischuw in Palästina und die oberste Leitung der zioni¬ 
stischen Bewegung erschöpften ihre Reaktionen nicht in Deklarationen und 
Kundgebungen zu der von den Nationalsozialisten neugeschaffenen Lage. 
An die Seite der öffentlichen Erklärungen und Proteste traten sehr schnell 
Überlegungen, was praktisch geschehen könnte, um den deutschen Juden 
einen Weg aus ihrer Notlage zu zeigen - den Weg nach dem jüdischen Palä¬ 
stina. Hier sollte sich nun bald erweisen, welche Bedeutung es hatte, daß in 
Palästina eine jüdische Gemeinschaft existierte, die mit allen Fasern die Not 

1 Hanns G. Reissner, The American Anti-Nazi Boycott, in Jubilee Volume 
dedicated to Curt C. Silberman, Spett Printing Co. Inc., 1969. 

2 Siehe auch Kapitel II, S. 51. 








20 


Dolf Michaelis 


ihrer Brüder in der „Galuth“ - in den Ländern außerhalb Palästinas - er¬ 
lebte und alles zu ihrer Rettung einsetzte. 

In Palästina bestand ein Einwanderungsgesetz, das die Immigration nach 
bestimmten Kategorien regelte. Unter anderem gab es die Kategorie der 
„Kapitalisten-Zertifikate“ für jeden Einwanderer, der ein Kapital von min¬ 
destens 1000 Palästina-Pfund nachweisen konnte. Hier war ein wichtiger 
Ansatzpunkt für eine sofortige Hilfe für auswanderungswillige deutsche 
Juden vorhanden. Alles hing davon ab, einer größtmöglichen Zahl von Aus¬ 
wanderern die erforderlichen LP 1000,- in Devisen zu verschaffen. Es gab 
genügend Auswanderer in Deutschland, die die erforderliche Summe in Reichs¬ 
mark zur Verfügung hatten, die in Palästina-Pfunde umgewandelt werden 
mußten. Hier waren die deutschen Juden mit einem Problem konfrontiert, 
das in all den Ländern bestand, die keinen ungehinderten Transfer der eigenen 
Währung in fremde Währungen zuließen. Deutschland war eines dieser Län¬ 
der, und zwar bereits seit Mitte des Jahres 1931. 

3. DIE BEDEUTUNG DER DEUTSCHEN WIRTSCHAFTS- UND 
FINANZLAGE FÜR DAS ZUSTANDEKOMMEN 
UND DIE DURCHFÜHRUNG EINES TRANSFERS 

Nachdem Deutschland die auf den ersten Weltkrieg folgende Inflation im 
Herbst 1923 überwunden hatte, war die deutsche Wirtschaft überaus kapital¬ 
bedürftig. Vor allem hatte sie die nach dem ersten Weltkrieg festgesetzten 
jährlichen Reparationsraten aufzubringen, für deren Finanzierung sie in stei¬ 
gendem Maße auf Auslandskredite angewiesen war. Nach der Währungs- 
Stabilisierung kam es im Frühjahr 1924 zum Abschluß des - nach ihrem Ver¬ 
fasser Dawes-Plan genannten - Abkommens zwischen Deutschland und den 
Reparationsgläubigern, das die jährlichen Reparationsraten festsetzte. Der 
Dawes-Plan wurde im Jahre 1930 von dem Young-Plan abgelöst, der die 
endgültigen Zahlungen für die Reparationen festsetzte. Es mußten aber 
nicht nur die Reparationszahlungen finanziert werden. Auch ein erhöhter 
Kapitalbedarf der öffentlichen Hand, der zu einem großen Teil den Bedürf¬ 
nissen nach langfristigen Investierungen entsprang, und der privaten Wirt¬ 
schaft wurde nicht durch Steuern oder eigene Kapitalbildung gedeckt, son¬ 
dern - entgegen den Grundsätzen einer gesunden Finanzpolitik — in großem 
Umfang durch kurzfristige Auslandskredite. 

Als die kurzfristigen ausländischen Kredite und Depositen mehr und mehr 
gekündigt wurden, kam es zu der Bankenkrise, die im Juli 1931 in der Schlie¬ 
ßung der Schalter der Darmstädter und National-Bank (Danät'-Bank), einer 
der deutschen Großbanken, zum Ausbruch kam. Der plötzliche Abzug Aus¬ 
ländischer Gelder löste nicht nur eine interne Finanzkrise aus, sondern be¬ 
wirkte auch eine katastrophale Verschlechterung der deutschen Devisenlage. 
Diese Devisenverluste zwangen die Regierung zu Abwehrmaßnahmen zum 



















Die wirtschaftliche und politische Entwicklung 


21 


Schutze von Wirtschaft und Währung. Hierzu gehörte die Einführung der 
Devisenbewirtschaftung, die gleichzeitig mit der Wiedereröffnung des vollen 
Zahlungsverkehrs bei den Banken am 4. August 1931 in Kraft trat. 

Regierungsrat Hartenstein, Leiter der Devisenstelle im Reichswirtschafts-’ 
ministerium und Verfasser der Devisenverordnung 3 , weist auf die Stillhalte- 
verhandlungen mit den ausländischen Gläubigern hin, die am 19. August 
1931 in Basel zu einem Abkommen über zeitweilige Stundung der 6,3 Mil¬ 
liarden Reichsmark betragenden kurzfristigen deutschen Auslandsschulden 
führten. Er erwähnt als unmittelbar praktischen Zweck der Devisenverord¬ 
nung, daß sie den Stillhaltegläubigern die Gewißheit geben sollte, daß kein 
anderer Gläubiger sich eine Befriedigung oder Sicherung verschaffen konnte, 
auf die sie selbst im Interesse der Erhaltung der deutschen Zahlungsfähigkeit 
verzichtet hatten 4 . Hieraus folgte die Notwendigkeit, eine Kontrolle des Zah¬ 
lungsverkehrs mit dem Ausland zur Verhinderung der Kapitalflucht zu schaf¬ 
fen und an sich legitime Zahlungen ins Ausland zu verweigern, die bei der 
angespannten Währungslage unerwünscht waren. Die hiernach notwendige 
Kontrolle jedes Erwerbs ausländischer Zahlungsmittel erschwerte entsprechend 
alle Auswanderungsvorhaben, die eine Mitnahme von Geldmitteln zur Er¬ 
langung des Einwanderungsvisums und für die Existenzgründung im Ausland 
erforderten. Dabei hatten die von der Weimarer Regierung eingeführten 
Auswanderungsvorschriften die Reichsbank verpflichtet, die für das Einwan¬ 
derungsvisum benötigten ausländischen Zahlungsmittel dem Auswanderer zur 
Verfügung zu stellen. Im Rahmen dieser Vorschriften hat die Deutsche Reichs¬ 
bank auch in den ersten Jahren des nationalsozialistischen Regimes jüdischen 
Auswanderern die für die Palästina-Visen notwendigen Zahlungsmittel zur 
Verfügung gestellt. Die fortschreitende Verschlechterung der deutschen De¬ 
visenlage, begründet durch Aufrüstungstätigkeit, erschwerte mehr und mehr 
den Vermögenstransfer und die auf ihm aufgebaute Auswanderung. 


4. DER PLAN EINER UMFASSENDEN JÜDISCHEN PALÄSTINA¬ 
AUSWANDERUNG 

Im Frühjahr 1933 kam Chaim Arlosoroff, der ein junges und aktives Mit¬ 
glied der Exekutive der Jewish Agency for Palestine und der Leiter der poli¬ 
tischen Abteilung in Jerusalem war, nach Deutschland, um einen unmittel¬ 
baren Eindruck von der Lage der deutschen Juden zu gewinnen. Nach Be-_ 
ratungen mit den führenden Zionisten in Deutschland gelangte er zu dem 


3 Reg.-Rat Hartenstein ., Die Entwicklung des Devisenrechts, 1935. 

4 Uber einen prinzipiell bedeutsamen teilweisen Verzicht der ausländischen Still- 
haltegläubiger zugunsten des Haavara-Abkommens siehe Kapitel II, A, 7 (f): Der 
Finanztransfer durch Clearing ausländischer Unterstützungszahlungen nach Deutsch¬ 
land. 








22 


Dolf Michaelis 


Schluß, daß die durch die deutsche Regierung geschaffene Lage für die deut- 
sehen Juden nur durch eine großzügige und auf mehrere Jahre verteilte orga¬ 
nisierte Auswanderung großen Stils zu lösen sei, wobei das jüdische Palästina 
eine entscheidende Rolle spielen müsse. Die Öffentlichkeit erfuhr von dieser 
Konzeption zum ersten Male durch ein in der „Jüdischen Rundschau“ vom 
23. Mai 1933 veröffentlichtes Interview. Arlosoroff stellt in seiner einleiten¬ 
den Bemerkung fest, daß der Beitrag, den Palästina zur Lösung des deutsch¬ 
jüdischen Problems leisten würde, die Gewähr der Dauer haben würde. „Palä¬ 
stina ist im Gegensatz zu manchen anderen Plänen keine Zwischenlösung, kein 
Nachtasyl. Was wir im Lande tun können, hat die Gewähr der Dauer und 
vollzieht sich in einer Atmosphäre der eigenen Leistung und der jüdischen 
Selbstbestimmung, die eben doch kein anderes Land der Welt uns je zu bieten 
hat. Wieviel wir dabei erreichen können, hängt wesentlich auch von Planung 
und Organisation ab. Diese Planung sollte meiner Ansicht nach sich auf ein 
Programm über mehrere Jahre, sagen wir einen Drei- oder Vier-Jahresplan 
erstrecken.“ 

In diesen wenigen Sätzen stellt Arlosoroff den entscheidenden Unterschied 
fest zwischen einer ungeplanten Einzel-Auswanderung in fremde Länder und 
einer geplanten Auswanderung in das jüdische Palästina, getragen von ge¬ 
meinsamer jüdischer Verantwortung. Arlosoroff erörtert in dem Interview die 
Fragen der Unterbringung jüdischer Kinder aus Deutschland in Internaten in 
Palästina, der Berufsumschichtung, der landwirtschaftlichen Siedlung und der 
industriellen Möglichkeiten. Er kommt zu dem Schluß, daß die Probleme der 
Vermögensliquidation und des Transfers der Vermögen nur gelöst werden 
können durch ein Abkommen mit der deutschen Regierung, das die deutsche 
Währungslage und die Zwangsdevisenbewirtschaftung berücksichtigt — d. h. 
durch Export deutscher Waren nach Palästina. 

Wir begegnen der Konzeption langfristiger geplanter Auswanderung auch 
bei Dr. Arthur Ruppin (Mitglied der Exekutive der Jewish Agency for Pale- 
stine) in seiner Rede vor dem Prager Zionistenkongreß im August 1933..Nach¬ 
dem Dr. Ruppin die Auswirkungen der deutschen Gesetzgebung auf verschie¬ 
dene Berufskategorien geschildert hat, kommt er zu dem Schluß, daß von 
den 500000 in Deutschland lebenden Juden 200000 sich in ihren jetzigen 
Berufen nicht mehr erhalten können und keine andere Existenz in Deutschland 
finden werden und daß dasselbe für die jüdische Jugend im Alter der Berufs¬ 
wahl gilt. In dieser Not, erklärt Dr. Ruppin, gibt es keinen anderen Ausweg 
als eine organisierte Auswanderung; nur eine organisierte im Gegensatz zu 

einer fluchtartigen Auswanderung könne den Fluch in einen Segen ver- 
wandeln. 

Ein Echo der Gedankengänge Arlosoroffs finden wir in einem Bericht des 
eutschen Generalkonsuls Wolff in Jerusalem an das Auswärtige Amt in 
Berlin vom 24. April 1933. Wolff stellt die Reaktion der jüdischen Kaufmann- 
sdiaft in Palästina auf die Judenverfolgung in Deutschland in objektiver 





















Die wirtschaftliche und politische Entwicklung 


23 


Weise dar und macht auf die für die deutsche Wirtschaft bestehende Gefahr 
weiterer Exportrückgänge aufmerksam. Er geht so weit, seiner Regierung den 
Rat zu geben, zu konstruktiven Schritten in der Judenfrage zu kommen: 
„Deshalb scheint es mir in höchstem Maße dringlich, daß dem Ausland bald 
Mitteilungen darüber gemacht werden, wie die Regierung das durch die bis¬ 
herigen Maßnahmen im wesentlichen wohl negativ behandelte Judenproblem 
positiv weiter behandeln will.. •** Dann kommt Wolff direkt auf die Transfer¬ 
frage zu sprechen und erwähnt jüdische Pläne zur Lösung des Problems: 

. Und auch an die später zu lösenden Fragen geht man vorbereitend her¬ 
an ..., wie ferner jüdischer Besitz in Deutschland zu liquidieren sein wird. 
Dabei wird die Schwierigkeit des Transfers von Kapitalien zu einer Zeit, wo 
wir selbst z. B. mit Stillhalteabkommen arbeiten müssen, voll in Rechnung 
gestellt.. .“ 5 


5. DIE ERSTEN AUSWANDERUNGS-TRANSFERVERHANDLUNGEN 
IN DEUTSCHLAND 

Die Gedankengänge Arlosoroffs mit ihrer großzügigen Konzeption einer 
Lösung des Transferproblems blieben in der Phase der grundsätzlichen Er¬ 
örterungen. Arlosoroff wurde im Juni 1933 das Opfer eines politischen 
Attentates in Palästina. Die für die Schaffung des Transfers praktisch ent¬ 
scheidenden ersten Anregungen kamen von der Seite der privatwirtschaft¬ 
lichen Initiative durch Verhandlungen, die palästinensische Kaufleute mit 
deutschen Regierungsstellen einleiteten, mit dem Ziele, Transfergenehmigun- 
gen zu erlangen, die Auswanderungsinteressenten eine Einwanderung in Palä¬ 
stina im Rahmen der palästinensischen Einwanderungsgesetzgebung ermög¬ 
lichen würden. 

Das palästinensische Einwanderungsgesetz bestimmte, wie in Kapitel II 
des näheren dargestellt ist, unter welchen Voraussetzungen den verschiede¬ 
nen Kategorien vqn Einwanderern Immigrationszertifikate erteilt werden 
würden. Zertifikate ohne Kapitalnachweis z. B. für Arbeiter wurden alljähr¬ 
lich nur in begrenzter Zahl ausgegeben und durch die Palästina-Ämter der 
Jewish Agency for Palestine auf die Hauptauswanderungsländer Europas 
verteilt. Zertifikate für Schüler erforderten den Nachweis, daß die für Aus¬ 
bildung und Lebensunterhalt erforderlichen Beträge gesichert waren; Zertifi¬ 
kate für pensionierte Beamte wurden gegen den Nachweis eines gesicherten 
Lebensunterhalts gewährt. Von besonderer Bedeutung war die zahlenmäßig 
unbegrenzte Kategorie der „Kapitalisten-Zertifikate“, die jeder für sich und 
seine Familie erhalten konnte, der über das sogenannte „Vorzeigegeld“, ein 


5 Akten des Auswärtigen Amts, Bonn, Polit, 25/33, L 015416/22 L 318987/93. 









24 


Dolf Michaelis 


nachweisbares Kapital in Palästina von tausend Palästina-Pfund (LP 1000,-), 
verfügte. Die palästinensische Währung war an das englische Pfund gebun¬ 
den, und jedes LP war gleich 1 £ Sterling. Die Aufgabe einer jüdischen Hilfs¬ 
aktion war es daher, nicht nur sicherzustellen, daß Auswanderungskandidaten 
für Palästina die für das Einwanderungszertifikat nötigen LP 1000,- „Vor- 
zeigegeld“ erhielten, sondern auch darüber hinaus gleichzeitig Mittel für 
eine bescheidene Existenz zu transferieren. 

Die erste Stelle, der es im Mai 1933 gelang, den Gedanken des Vermögens¬ 
transfers durch Verkauf deutscher Waren nach Palästina in einem Überein¬ 
kommen mit dem Reichswirtschaftsministerium durchzusetzen, war die palä¬ 
stinensische Zitrus-Pflanzungsgesellschaft „Hanotea“ Ltd., die über erheb¬ 
lichen Bodenbesitz in Natania verfügte, einem Ort 34 km von Tel-Aviv ent¬ 
fernt. Dieser Bodenbesitz war die Grundlage für den Vorschlag, den die 
Gesellschaft dem Reichswirtschaftsministerium unterbreitete, Auswanderer¬ 
guthaben als zusätzliche Mittel zum Ankauf deutscher Waren für den Be¬ 
darf der Gesellschaft zu verwenden. 

Wichtig ist, daß nur durch die Verbindung der Kapitaltransfer- und Aus¬ 
wanderungsmöglichkeit mit dem Kauf von Waren aus Auswandererguthaben 
das Reichswirtschaftsministerium die zuständige deutsche Behörde wurde. Das 
Abkommen mit diesem Ministerium sah vor, im Rahmen von 1 Million 
Reichsmark Auswanderern oder solchen, die später auswandern wollten, die 
Genehmigung zu erteilen, durch Zahlung auf ein Sperrkonto der Hanotea - 
bis zu RM 40000,- im Einzelfall - sich eine Heimstätte in Palästina zu schaf¬ 
fen. Die Hanotea verpflichtete sich vertragsmäßig, dem Transferenten als 
Gegenwert ein Haus oder eine Zitruspflanzung zur Verfügung zu stellen, die 
er selber bewirtschaften konnte; er konnte sie aber auch gemäß einem Sonder¬ 
vertrag durch die Hanotea bewirtschaften lassen. 

Die Hanotea-Gesellschaft ihrerseits erwarb mit den auf ihr Sperrkonto 
eingezahlten Reichsmarkbeträgen Waren für ihren eigenen Bedarf, wie z. B. 
Rohren, landwirtschaftliche Maschinen, Pumpen, Düngemittel usw. Diese 
ransfergenehmigung wurde in schnellem Tempo von Auswanderern aus- 
genutzt. Am 18. Juli 1933 erteilte dann das Reichswirtschaftsministerium der 
Hanotea-Gesellschaft eine erweiterte Genehmigung auf 3 Millionen Reichs¬ 
mark die jedoch an die Bedingung geknüpft war, die zionistischen Stellen 
mit der Abwicklung des Abkommens zu verbinden. Während die erste Ge- 
ne migung von 1 Million Reichsmark auf einen einmaligen Geschäftsvorgang 
„f 5 r ^. n ^ t war i ging die neue Genehmigung schon summenmäßig weit dar- 
ü er inaus. Es wurde klar, daß sowohl die Gesamtaufgabe als auch der 
Gesamtbetrag die Kapazität und Verantwortung einer Privatgesellschaft 
uberstiegen. Die Einschaltung offizieller jüdischer Stellen, sowohl in Deutsch¬ 
land als auch in Palästina, die die Verantwortung in einer so entscheidenden 
Frage wie der des Transfers jüdischen Kapitals nach Palästina übernehmen 
mußten, wurde nunmehr dringend. 



















Die wirtschaftliche und politische Entwicklung 


25 


Die Richtung, in der sich die Dinge weiterhin entwickeln sollten, geht aus 
einem Bericht hervor, den Dr. Georg Landauer für die Leitung der Zionisti¬ 
schen Vereinigung für Deutschland am 19. Juli 1933 Herrn S. Hoofien, dem 
Direktor der Anglo-Palestine Bank (jetzt: Bank Leumi Le-Israel), Tel-Aviv, 
über eine im Reichswirtschaftsministerium stattgehabte Besprechung sandte. 
Ali der Besprechung nahmen die Vertreter der Zionistischen Vereinigung für 
Deutschland, Sam Cohen für die Hanotea-Gesellschaft sowie Vertreter der 
Reichsbank und des Auswärtigen Amtes teil. „Der Geist der Verhandlungen 
ist sehr freundlich“ - so berichtet Landauer - „... die deutschen Behörden 
bringen den Auswanderungsinteressen der deutschen Juden durchaus Ver¬ 
ständnis entgegen. Die Reichsbank legt allerdings großen Wert auf die Re¬ 
spektierung der deutschen Devisenlage.“ Die LP 1000,— für das Vorzeigegeld 
sollten weiter von der Reichsbank aus ihren Devisenbeständen zur Verfügung 
gestellt werden. 

Darüber hinausgehende Beträge sollten in Form von Waren transferiert 
werden. Zur Durchführung wurden zwei Clearingstellen vorgeschlagen, eine 
in Deutschland zur Entgegennahme der Reichsmarkbeträge der auswandern¬ 
den Juden und eine in Palästina zur Bezahlung der nach Palästina zu expor¬ 
tierenden Waren und zur Verrechnung mit den Einwanderern. Die Vertreter 
der Zionistischen Vereinigung für Deutschland schlugen vor, daß in Palä¬ 
stina die von der Zionistischen Weltorganisation gegründete Anglo-Palestine 
Bank die Aufgabe übernehmen sollte, die von den palästinensischen Impor¬ 
teuren für ihre Warenkäufe eingezahlten Pfundbeträge an die Einwanderer 
^s Deutsdiland auszuzahlen. Das Warengeschäft in Palästina sollte von einer 
besonders zu errichtenden Treuhandgesellschaft besorgt werden. Als vor¬ 
läufig erste Tranche für den vorzunehmenden Transfer wurde ein Betrag von 
5 Millionen Reichsmark vorgesehen. 

Zur gleichen Zeit fanden in Palästina dringende Beratungen in der Transfer¬ 
frage bei der Handelskammer in Tel-Aviv statt, die einen Sonderausschuß 
unter Beteiligung des Industriellenverbandes, der Landwirte und der Arbeiter 
gebildet hatte. Auch dieser Ausschuß verlangte eine Konzentration der Trans¬ 
ferdurchführung bei der Anglo-Palestine Bank als Hauptträger der in Be¬ 
tracht kommenden Transaktionen. Diese Stellungnahme und die Bereitschaft 
der Anglo-Palestine Bank, die vorgesehene Aufgabe zu übernehmen, wurde 
am 31. Juli 1933 auch dem deutschen Generalkonsul in Jerusalem mitgeteilt. 

In Deutschland wurde nun die Zionistische Vereinigung für Deutschland 
federführend in der Vorbereitung der entscheidenden Verhandlungen mit 
den deutschen Behörden. Gleichzeitig führte Dr. Landauer für sie Vorbespre¬ 
chungen mit Max Warburg, dem Seniorchef des Bankhauses M. M. Warburg, 
Hamburg (der damals noch Mitglied des Generalrates der Reichsbank war), 
und mit Dr. Siegmund Wassermann von dem Bankhaus A. E. Wassermann, 
Berlin, auf Grund deren diese beiden jüdischen Privatbanken die in Deutsch¬ 
land zu erfüllenden bankmäßigen Aufgaben übernahmen. 








26 


Dolf Michaelis 


Am 7. August 1933 fand die entscheidende Sitzung im Reichswirtschafts¬ 
ministerium statt, und am 8. August berichtete Dr. Landauer für die Zioni¬ 
stische Vereinigung für Deutschland an die Hitachduth Olej Germania (die 
Organisation der Einwanderer aus Deutschland), Tel-Aviv, wie folgt: 

„Nach langen Verhandlungen wurde gestern eine Vereinbarung zwischen uns, der 
Bank und Hanotea vollzogen, die in einer Sitzung im Reichswirtschaftsministe¬ 
rium bestätigt und anerkannt worden ist. Die Ausfertigung dieses Abkommens 
erfolgt wahrscheinlich heute oder morgen. An der Besprechung im Ministerium 
gestern nahmen die Herren Hoofien, Dr. Ruppin, Sam Cohen, Machnes und unsere 
Vertreter teil 6 . 

Es wurde vereinbart, daß das HANOTEA-Abkommen unter denselben Bedin¬ 
gungen, derselben Summe, denselben Modalitäten auf die Anglo-Palestine Bank 
übertragen wird. Herr Cohen selbst hat die dahingehende Erklärung in der Sitzung 
abgegeben. Hiernach wird die APB in Palästina Treuhänder für die Warentrans¬ 
aktion und Kontoführer bis zur Gründung der Treuhandgesellschaft, der sie nach 
erfolgter Gründung die ganze Angelegenheit überträgt. Die Bank ist aber bereit, 
sich an dieser Gesellschaft zu beteiligen. Dies ist selbstverständlich erwünscht, und 
es besteht auch kein Zweifel, daß die Bank selbst die Führung bei der Bildung der 
Treuhandgesellschaft übernimmt.“ 

Am gleichen Tage informierte Herr Hoofien den Bankier Max Warburg 
wie folgt: 

„Es dürfte Sie interessieren zu hören, daß ich die Sache gestern im Reichswirt- 
schaftsmmistermm in der Weise erledigt habe, daß Herr Cohen und die Hanotea- 
Gesellschaft zuruckgetreten sind und dem Regierungsrat Hartenstein, der die Ver- 
andlungen leitete, erklärt haben, daß sie sich der Ansicht aller anderen beteiligten 
Kreise anschließen, welche dahin geht, daß die ganze Sache auf eine breitere und 
bessere Grundlage gestellt wird, wenn sie betrieben wird von einer Treuhand¬ 
gesellschaft, die von der Anglo-Palestine Bank oder mit deren maßgebender Be¬ 
teiligung zu gründen sein wird. Ich habe es dann im Namen der Bank übernom- 
men m allernächster Zukunft eine solche Treuhandgesellschaft zustande zu bringen, 
welche Trägerin der ganzen Transaktion sein wird.“ 


Am 25. August 1933 bestätigte das Reichswirtschaftsministerium Herrn 
Hoofien das Transferabkommen für Palästina, dessen Grundsätze in dem 
Runderlaß Nr. 54/33 vom 28. August 1933 allen deutschen Devisenstellen 
(den Exekutivbehörden zur Durchführung der allgemeinen Devisenkontrolle) 
mitgeteilt wurden. Hier heißt es u. a.: 


„Um die Abwanderung deutscher Juden nach Palästina weiterhin durch Zu- 
tei ung der erforderlichen Beträge ohne übermäßige Inanspruchnahme der Devisen¬ 
bestände der Reichsbank zu fördern und gleichzeitig die deutsche Ausfuhr nach 
1 alastina zu steigern, ist mit den beteiligten jüdischen Stellen ein Abkommen auf 
folgender Grundlage abgeschlossen worden: 


Herr Hoofien vertrat die Anglo-Palestine Bank, Tel-Aviv, Dr. Ruppin die Exe- 
kutive der Jewish Agency for Palestine, Jerusalem, und die Herren Sam Cohen und 
adines die Hanotea. Vertreter der Zionistischen Vereinigung für Deutschland 
waren: deren Vorsitzender Dr. Siegfried Moses und Dr. Georg Landauer. 



















Die wirtschaftliche und politische Entwicklung 


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Auswanderern, denen die Auswanderungsberatungsstelle bestätigt, daß über 
den als Einreisegeld erforderlichen Mindestbetrag von LP 1000,- hinaus weitere 
Beträge zur Gründung einer Existenz in Palästina erforderlich und angemessen 
sind, kann im Rahmen dieses Gutachtens für den RM 15 000 - übersteigenden 
Betrag die Genehmigung zur Einzahlung auf ein bei der Reichshauptbank er¬ 
richtetes Sonderkonto I der Bank der Tempelgesellschaft 7 zugunsten einer in 
Palästina zu errichtenden jüdischen Treuhandgesellschaft (bzw. bis zur Errich¬ 
tung dieser Treuhandgesellschaft zugunsten der Anglo-Palestine Bank) erteilt wer¬ 
den. Das Sonderkonto I, für das zusammen mit dem weiter unten zu erwähnen¬ 
den Sonderkonto II zunächst ein Gesamtbetrag von RM 3 Millionen vorgesehen 
ist, wird von der Tempelbank als Treuhandkonto für die genannte jüdische Treu¬ 
handgesellschaft geführt. Aus dem Konto werden deutsche Warenlieferungen nach 
Palästina bezahlt. Den Auswanderern wird der Gegenwert ihrer Einzahlungen 
nach Maßgabe der aus dem Absatz der deutschen Waren in Palästina zur Ver¬ 
fügung stehenden Beträge durch die palästinensische Treuhandgesellschaft nach 
der Reihenfolge und dem Verhältnis der Einzahlungen auf dem Sonderkonto I 
untereinander in Palästina-Pfunden ausgezahlt. Zur Beratung der deutschen Juden 
in den sich auf diese Form des Kapitaltransfers nach Palästina beziehenden Fragen 
ist eine ,Palästina-Treuhandstelle zur Beratung deutscher Juden G.m.b.H/, mit 
dem Sitz in Berlin, Friedrichstraße 218, gegründet worden. Ich ersuche, bei der 
Erteilung der Genehmigungen auf diese Stelle ausdrücklich hinzuweisen. 

Für die Bank der Tempelgesellschaft ist bei der Reichshauptbank ferner ein 
Sonderkonto II eingerichtet worden. Auf Antrag können die Devisenbewirt¬ 
schaftungsstellen deutschen Staatsangehörigen jüdischen Volkstums, die zur Zeit 
noch nicht auswandern, sich aber gleichwohl schon jetzt eine Fleimstätte in Palä¬ 
stina schaffen wollen, die Genehmigung zur Einzahlung von Beträgen bis. zu 
höchstens RM 50 000,- je Person auf diesem Konto (ebenfalls zugunsten einer 
in Palästina zu errichtenden jüdischen deutschen Treuhandgesellschaft, bzw. bis 
zur Errichtung dieser Treuhandgesellschaft zugunsten der Anglo-Palestine Bank 
Ltd.) erteilen.“ 

Die Gründung der in dem obigen Erlaß erwähnten „Palästina-Treuhand¬ 
stelle zur Beratung deutscher Juden G.m.b.H.“ (Paltreu)-, deren Gesellschafter 
die Bank M. M. Warburg & Co., Hamburg, und A. E. Wassermann, Berlin, 
sowie die Anglo-Palestine Bank, Tel-Aviv, waren, und der in Tel-Aviv von 
der Anglo-Palestine Bank errichteten palästinensischen Treuhandstelle, der 
„Trust and Transfer Office Haavara Ltd.“, erfolgte im letzten Vierteljahr 
von 1933. Der Name „Haavara“ (das hebräische Wort für Transfer) kenn¬ 
zeichnete in Zukunft alle Vorgänge dieser Hilfsaktion des jüdischen Palästina 
für die Rettung deutscher Juden. Da die Haavara-Arbeit in Deutschland der 
behördlichen Genehmigung für die durch sie erfolgte Kapitalausfuhr unter¬ 
lag, war der oben erwähnte Bescheid des Reickswirtschaftsministeriums an 
den Bankier S. Hoofien die Grundlage des als „Haavara-Transfer“ bekannten 
.Versuchs einer geplanten und geordneten Überführung von Juden aus 
Deutschland und ihrer Einordnung in Palästina. 


7 In dieser Form wurde durch das Reichswirtschaftsministerium die Bank der 
Templer - der in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in Palästina ein¬ 
gewanderten deutschen Kolonisten — eingeschaltet. 








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Dolf Michaelis 


6. DIE DEUTSCHEN BEHÖRDEN UND DIE HAAVARA 

Die Hauptgründe, die die deutsche Regierung im Jahre 1933 veranlaßten, 
das Haavara-Abkommen zu unterzeichnen, sind in dem im vorigen Ab¬ 
schnitt erwähnten Bestätigungsbrief des Reichswirtschaftsministeriums vom 
25. August 1933 angegeben, nämlich: 

Förderung der Auswanderung deutscher Juden nach Palästina, 
gleichzeitige Schonung der Devisenbestände der Reichsbank, und 
Steigerung der deutschen Ausfuhr nach Palästina. 

Förderung der Auswanderung von Juden aus Deutschland als Lösung des 
Judenproblems in Deutschland war ein Postulat der nationalsozialistischen 
Politik vom Beginn der Machtübernahme an 8 . Die Auswanderung nach Län¬ 
dern außer Palästina war abhängig von den Einwanderungsbeschränkungen 
der potentiellen Einwanderungsländer, die vielfach Einwanderungsquoten 
mit jährlichen Höchstgrenzen festsetzten, finanzielle Garantien für die Ein¬ 
wanderer zur Bedingung für die Erteilung von Einwanderungsvisen machten 
oder den Nachweis des Besitzes von mehr oder weniger erheblichen eigenen 
Mitteln verlangten. Dies wiederum setzte oft einen größeren Devisentransfer 
voraus, zu dem Deutschland in seiner beschränkten Devisenlage nicht bereit 
war. Demgegenüber konnte im Fall der Auswanderung nach Palästina das 
Transferproblem in erheblichem Umfang durch den Export deutscher Waren 
nach Palastma über die Haavara gelöst werden. Damit war der Weg zur 
Auswanderung von Juden aus Deutschland geebnet, die sich mit den trans- 
enerten Geldern eine neue Existenz in Palästina gründen konnten. Die 
Deutsche Reichsbank war zwar gezwungen, aus ihren Devisenbeständen einen 
Beitrag zu diesem Transfer zu leisten, aber ein erheblicher Teil des Transfers 
wurde durch den Export deutscher Waren nach Palästina durchgeführt, der 
ohne das Transferabkommen mit der Haavara an dem Widerstand der jüdi- 
sehen Wirtschaft Palästinas gescheitert wäre. 

Neben und zusätzlich zu dem rein devisenwirtschaftlichen Gesichtspunkt 
spielten bei den deutschen Behörden allgemeine wirtschaftspolitische Erwä¬ 
gungen eine Rolle. Die Boykottbewegung gegen den Import deutscher Waren, 
die in Amerika und insbesondere in New York mit seiner großen Konzentra- 
uon von Juden eingeleitet wurde, wurde im Jahre 1933 sehr ernst genom- 
men. Die Gefahr, daß die deutschen Exportchancen auf internationalen Märk¬ 
ten erheblich verringert würden und daß insbesondere das für Deutschland 

AmwSrr^o ‘"a deS deutschen Generalkonsulats in Jerusalem an das 

\ ’ nf' , V °T 22 ‘ März 1937 heiß t „Bei allen unsern Maßnah- 

DnH A ^ Sh Q r fit' ? ed “ ke de / Förderung der jüdischen Auswanderung aus Deutsdi- 
nd und der Seßhaftmachung der ausgewanderten Juden in Palästina vorherrschend.“ 
Akten des Auswärtigen Amts, Bonn, Pol. VII, 309/2583-21A 16/4 37. 


















Die wirtschaftliche und politische Entwicklung 


29 


wichtige Orientgeschäft stark absinken könnte, stand den deutschen Behörden 
sicher vor Augen und beeinflußte sie bei der Entscheidung, das Haavara- 
Transferabkommen zu unterzeichnen. Ein weiterer wirtschaftlicher Faktor, 
der in den offiziellen Dokumenten zur Transfergenehmigung unerwähnt 
blieb, der aber insbesondere in den Jahren 1933-1934 für Deutschland eine 
wichtige Rolle spielte, war der Gesichtspunkt der Arbeitsbeschaffung für die 
deutsche Industrie. Die Arbeitslosigkeit war Anfang 1933 mit etwa 6 Millio¬ 
nen auf ihren Höhepunkt angewachsen. Arbeitsbeschaffung für die deutsche 
Industrie war deshalb in den Jahren 1933/34 ein dringliches Erfordernis der 
deutschen Sozial- und Wirtschaftspolitik. 

Das Moment der Arbeitsbeschaffung verlor im Laufe der sechsjährigen 
Tätigkeit der Haavara seine Dringlichkeit und Wichtigkeit. Eine wirtschaft¬ 
liche Folge des deutschen Aufrüstunsgprogramms, das seinen wesentlichen 
Antrieb Ende 1936 mit dem Inkrafttreten des Vierjahresplans von Göring 
erhielt, waren stetig wachsende Industrieaufträge für die Wehrmacht und 
damit verbunden große Anforderungen an den Arbeitsmarkt 9 . 

Hingegen behielt der Gesichtspunkt der Exportförderung weiterhin seine 
Bedeutung, obwohl im Laufe der Zeit betont wurde, daß ja der Export über 
die Haavara kein Deviseneinkommen für Deutschland darstellte, da der Ver¬ 
kaufspreis der exportierten Waren in Palästina blieb und dort durch die 
Haavara den aus Deutschland eingewanderten Juden ausgezahlt wurde. 

Was damals die deutsche Regierung entscheidend bestimmte, das Haavara- 
Abkommen auch weiterhin aufrechtzuerhalten, war seine auswanderungs¬ 
fördernde Wirkung. Erst Ende 1938 zeigten sich Anzeichen einer grundsätz¬ 
lichen Änderung der Tendenz, die Auswanderung von Juden unter Mit¬ 
nahme von bescheidenen Geldmitteln zu fördern. Die Juden polnischer Staats¬ 
angehörigkeit wurden im Oktober 1938 plötzlich durch eine gewaltsame 
Massenaustreibung über die polnische Grenze gejagt. Ende 1938 und im 
Jahre 1939 folgten eine große Verhaftungswelle und eine Massenaustreibung 
mittellos gemachter Juden und in den späteren Kriegsjahren die Zwangs¬ 
abschiebungen in die Todeslager in Osteuropa. 

Wenn sich die Haavara im Rahmen des im Jahre 1933 abgeschlossenen 
Transferabkommens bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges im Jahre 
1939 halten konnte und trotz der Schwankungen der deutschen Wirtschafts¬ 
lage und der sich daraus für Deutschland ergebenden wirtschaftspolitischen Ge¬ 
sichtspunkte ihre Aufgabe als zentrale Behörde für die Überführung jüdischen 
privaten Kapitals und der nationalen zionistischen Fonds erfüllen konnte, so 
war dies nicht zuletzt der positiven Einstellung einiger Persönlichkeiten zu 
verdanken, die zu jener Zeit Schlüsselpositionen in den zuständigen deutschen 
Behörden innehatten. Sie mußten sich im Laufe der Jahre mit den wirtschaft- 

9 Die öffentlichen Investitionen in die Wehrmacht betrugen 1933 - 0,7 Milliarden 
Reichsmark, 1936 - 9 Milliarden Reichsmark; siehe Rene Erbe, Die NS-Wirtschaffs- 
politik, Polygraphischer Verlag, Zürich, 1958, S. 25. 










30 


Dolf Michaelis 


liehen Argumenten auseinandersetzen, die von den Gegnern des Haavara- 
Transfersystems ins Feld geführt wurden. Im besonderen gehörte zu diesen 
Argumenten die graduelle Verminderung der Bedeutung des arbeitsschaffen¬ 
den Moments der Haavara-Aufträge für die deutsche Industrie. Ein weiteres 
Argument war die nicht zu verneinende Tatsache, daß der Palästina-Export 
zwar über die Haavara anstieg, aber keine ausländischen Devisen für die 
deutsche Wirtschaft brachte, da der volle Exportgegenwert in Palästina ver¬ 
blieb. Dazu kamen noch die parteipolitischen Angriffe seitens verschiedener 
nationalsozialistischer Parteistellen - nicht zuletzt der Parteiorganisation der 
deutschen Kolonisten in Palästina - und die Forderung der Araber, die sich 
gegen jede Maßnahme der deutschen Judenpolitik stellten, die neue Ein¬ 
wanderer nach Palästina brachte. Zu den deutschen Beamten, denen das Zu¬ 
standekommen des Haavara-Transferabkommens, sein Ausbau und seine 
Aufrechterhaltung trotz politischer und wirtschaftspolitischer Gegenargu¬ 
mente zu verdanken war, gehört in erster Linie und von Beginn an der be¬ 
reits früher erwähnte Regierungsrat Hans Hartenstein, der Leiter der zen¬ 
tralen Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung im Reichswirtschaftsministe¬ 
rium. Er erhielt in der wichtigsten Zeit des Haavara-Transfers und der Aus¬ 
wanderung nach Palästina die Transfervorschläge der Haavara-Paltreu zur 
Genehmigung vorgelegt und schaffte durch seine „Runderlasse“ an die ört¬ 
lichen Devisenstellen die behördliche Grundlage für ihre Anwendung. Be¬ 
sonders der Runderlaß Nr. 45/36 vom 2. April 1936, der die früher gelten¬ 
den Bestimmungen erweiterte, war die Rechtsgrundlage der Haavara und 
ihres Vermögenstransfers nach Palästina. Dieser Erlaß schloß auch die in 
Kapitel II beschriebenen späteren Transfermaßnahmen ein, wie den Eigen¬ 
transfer und die Erkundungsreisen potentieller Auswanderer nach Palästina. 
Dieser Runderlaß bewies erneut Hartensteins unerschrockene Förderung einer 
geordneten Auswanderung von Juden unter dem nationalsozialistischen 
Regime, wie sie sonst unter deutschen Beamten selten zu finden war. Harten¬ 
stein blieb bis zum Ausscheiden von Hjalmar Schacht als Reichswirtschafts¬ 
minister im September 1937 der für den Haavara^Transfer maßgebende 
Beamte. Unter den jüngeren unteren Beamten des Reichswirtschaftsministe¬ 
riums, denen die praktische Durchführung des Haavara-Abkommens und 
die Verhandlungen mit der Leitung der Paltreu und der Haavara oblagen, 
gab es ebenfalls solche, die die Auswanderungsbemühungen der Haavara 
und ihr System einer geordneten Überführung von Juden nach Palästina nach 
Kräften unterstützten. 

Im Orientreferat des Auswärtigen Amts, das für die Politik der Regierung 
in bezug auf Palästina verantwortlich war, waren einige höhere Beamte, 
Berufsdiplomaten alter Schule — meist deutschnationale Konservative —, die 
sich im allgemeinen positiv zu den Haavara-Fragen verhielten. Von besonde¬ 
rer Wichtigkeit war, daß 1936 der frühere Botschafter Otto von Hentig das 
Orientreferat übernahm, ein Mann mit langjähriger persönlicher Erfahrung in 


y 
















Die wirtschaftliche und politische Entwicklung 


31 


verschiedenen Ländern des Nahen Ostens. Die Palästinafrage war ihm schon 
während des ersten Weltkrieges in Konstantinopel unter dem damaligen 
Botschafter Grafen Bernstorff bekannt geworden, und in der Zeit der Wei¬ 
marer Republik gehörte er zu den deutschen Konservativen, die für die 
zionistische Bewegung Verständnis zeigten. Diese Haltung blieb auch später¬ 
hin unerschüttert, und er widersetzte sich der Radikalisierung der national¬ 
sozialistischen Judenverfolgung, die sich insbesondere nach der Übernahme 
des Judenreferates der Gestapo durch Adolf Eichmann immer mehr steigerte. 

Daß die Auswanderung der Juden aus Deutschland die Politik der national¬ 
sozialistischen Regierung war, kam in einem Rundschreiben des Auswärtigen 
Amts vom 22. Juni 1937 an eine Reihe deutscher Generalkonsulate im Aus¬ 
land wie folgt zum Ausdruck: 

„Bisher war es das primäre Ziel der deutschen Judenpolitik, die Auswanderung 
der Juden nach Möglichkeit zu fördern. Um dieses Ziel zu erreichen, werden sogar 
devisenpolitische Opfer gebracht.“ 10 

Aber gleichzeitig weist dieser Rundbrief zum erstenmal auf die politischen 
Bedenken, die sich für die Regierung aus der Veröffentlichung des Teilungs¬ 
plans der englischen „Peel-Commission“ und dem Vorschlag, einen Juden¬ 
staat in Palästina zu errichten, ergaben. Der Rundbrief erörtert in diesem 
Zusammenhang die Gefahr einer Störung der deutsch-arabischen Beziehungen 
im Falle der Annahme dieses Planes und erwähnt, daß der britischen Regie¬ 
rung seitens des Auswärtigen Amts mitgeteilt wurde „... daß Deutschland 
zwar bisher die Auswanderung der Juden nach Palästina möglichst gefördert 
habe, es sei aber irrig anzunehmen, daß deutscherseits etwa auch die Bildung 
eines mehr oder weniger unter jüdischer Leitung stehenden Staatsgebildes in 
Palästina begrüßt werden würde.“ Der Rundbrief endet mit einem Hinweis 
auf eine mögliche Änderung der bisherigen deutschen Auswanderungspolitik, 
die in diesem Stadium von den betreffenden deutschen Stellen geprüft wurde. 

Dieses Rundschreiben des Auswärtigen Amts an die deutschen General¬ 
konsulate blieb nicht ohne Reaktion. Die innerdeutsche Diskussion über die 
Haavara-Transferfrage fand ihre Fortsetzung in einer Besprechung im Aus¬ 
wärtigen Amt am 21. September 1937, in der Herr Döhle, der damalige 
deutsche Generalkonsul in Jerusalem, seinen Angriff gegen das Haavara- 
Transfersystem mit wirtschaftlichen und auch politischen Argumenten unter¬ 
baute. Er sei gegen die Monopolstellung der Haavara; die Haavara bringe 
Deutschland keine Devisen, sie spioniere die nichtjüdischen Firmen aus und 
untergrabe überhaupt das ganze Handelswesen. Ferner führte er aus, daß die 
Haavara nicht nötig gewesen sei, um das Ziel der Judenauswanderung aus 
Deutschland zu erreichen. Sie diene auf der anderen Seite nur zum Aufbau 
eines jüdischen Staates. Demgegenüber seien die deutschen Siedler in Palä¬ 
stina ohne Hilfe gelassen worden und zudem drohe bei weiterer Durchfüh- 


10 Akten des Auswärtigen Amts, Bonn, 83-21 A 15/6-444551-56. 











32 


Dolf Michaelis 


rung des Haavara-Systems der Verlust des arabischen Marktes. - Gegenüber 
diesen schweren Einwendungen stellte der Leiter der Besprechung, Herr 
V. L. R. Benzler, nochmals fest, „daß der Führer nach wie vor die Förderung 
der Judenauswanderung wünsche. Diese Entscheidung müsse auch den in der 
Haavarafrage zu fassenden Beschlüssen zugrunde gelegt werden. Andererseits 
sei jetzt schon eine Beschränkung unserer Ausfuhr über Haavara durch die 
Einführung einer negativen Ausfuhrliste eingetreten.“ 11 

Im Anfang des Jahres 1938 nahm die Auslandsorganisation der national¬ 
sozialistischen Partei den Kampf gegen die Haavara erneut auf, und dies 
führte zu erneuten Besprechungen über die Auswanderungsfrage nach Palä¬ 
stina. Ein Niederschlag der Besprechungen, die der grundsätzlichen Stellung¬ 
nahme zur Auswanderungsfrage gewidmet waren, findet sich in einem Schrei¬ 
ben der Leitung der Auslands-Organisation (AO) der NSDAP an das Aus¬ 
wärtige Amt vom 1. Februar 1938. Dieses Schreiben enthält freilich einen 
schweren Angriff auf das „Entstehen eines selbständigen Judenstaates“. Gleich¬ 
zeitig aber weist das Dokument darauf hin, daß Hitler im Juli und September 
1937 und Anfang 1938 zu der Frage der Auswanderung deutscher Juden 
nach Palästina mehrmals Stellung genommen habe, und dies eindeutig im 
Sinne einer Fortsetzung der bisherigen Politik einer jüdischen Gruppen-Aus- 
wanderung über die Haavara nach Palästina. Unter Bezugnahme auf eine 
frühere Korrespondenz mit dem Auswärtigen Amt heißt es in dem Schreiben 
der AO, daß 

„der Führer in einer kürzlich getroffenen Entscheidung auf erneuten Vorschlag des 
Reichsleiters Rosenberg hin nochmals dahingehend entschieden hat, daß die Juden¬ 
auswanderung aus Deutschland mit allen Mitteln gefördert werden soll, wobei 
sich diese in erster Linie nach Palästina zu richten habe.“ 12 

Die für die Palästina-Auswanderung günstige Stellungnahme wird in einem 
Aktenvermerk des Auswärtigen Amts als Anlage zu einem Schreiben des 
Reidiswirtsdhaftsministeriums vom 27. Januar 1938 12 wie folgt begründet: 

. Sowohl die handelspolitische Abteilung des Auswärtigen Amts als auch 
das Reichswirtschaftsministerium und das Außenhandelsamt der A.O. stehen nach 
wie vor auf dem Standpunkt, daß der generellen Anweisung des Führers, die 
Judenauswanderung aus Deutschland mit allen Mitteln zu fördern, nicht entspro¬ 
chen werden kann, wenn Palästina in dieser Hinsicht ausgeschaltet wird. Es be¬ 
steht nicht die Möglichkeit, nach irgendeinem Lande der Welt zu für uns wirt¬ 
schaftlich gleich günstigen Bedingungen die Auswanderung der Juden zu fördern. 
Dazu kommt die von der Handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amts 
vertretene Auffassung, daß die ausgewanderten Juden uns überall sonst in der 
Welt, insbesondere an allen internationalen Handelsplätzen, wirtschaftlich, propa¬ 
gandistisch und journalistisch sehr viel mehr schaden können, als gerade in Palä¬ 
stina ...“ 


11 Akten des Auswärtigen Amts, Bonn, W III SE 7661/37. 

12 Siehe Akten des Auswärtigen Amts, Bonn, W III S. 7115 und 7661/1967 und 
83-24 Ag. 13/1 467984-88 über Berichte Besprechungen Rosenberg-Hitler. 





















Die wirtscbafllicbe und politische Entwicklung 


33 


Da es keine von Hitler unterschriebene Entscheidung gibt, können wir an¬ 
gesichts der mannigfaltigen Intrigen nicht wissen, ob die Berufung auf Hitler 
eine reale Grundlage hatte oder ob hier innerpolitische Gegensätze zum Aus¬ 
druck kamen. 

Die Diskussion innerhalb der nationalsozialistischen Partei über die Aus¬ 
wanderungspolitik dauerte bis zum Kriegsbeginn an, der das Ende der 
Haavara-Tätigkeit bedeutete. 


3 LBI 26 Haavara-Transfer 








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Kapitel II 


DIE DURCHFÜHRUNG DES HAAVARA-TRANSFERS 


Werner Feilchenfeld 


























A. DIE AUFGABE DER HAAVARA FÜR DIE JÜDISCHE 
AUSWANDERUNG AUS DEUTSCHLAND NACH PALÄSTINA? 


1. Die jüdische Auswanderung aus Deutschland 

Die amtliche Bevölkerungsstatistik in Deutschland erfaßte nur die soge¬ 
nannten „Glaubensjuden“, d. h. diejenigen, welche Mitglieder einer jüdischen 
Religionsgemeinde waren und dementsprechend jüdische Kultussteuer zahlten. 
Ihre Zahl, die bei der Volkszählung des Jahres 1925 noch 564 379 gewesen 
war, sank bei der nach Hitlers Machtübernahme im Juni 1933 erfolgten 
neuen Volkszählung auf 499 682. Die berufliche Struktur der Juden in 
Deutschland war laut Volkszählung vom Juni 1933 für die insgesamt 
240487 Berufstätigen: 

1,73 o/o in Land- und Forstwirtschaft 

23,14% in Industrie und Handwerk 

61,26 % in Handel und Verkehr 

12,46 o/o in öffentlichen und privaten Diensten (Verwaltung, Erziehung, Rechts¬ 
und Wirtschaftsberatung) 

1,41 % nicht besonders erfaßt. 

46% aller jüdischen Erwerbstätigen waren im Jahre 1933 selbständig, 
33,5% Angestellte und 8,7% Arbeiter 1 . Von dieser jüdischen Bevölkerung 
waren bis zum 1. September 1935 etwa 90 000 Juden ausgewandert 2 . Gemäß 
dem Bericht der Reichsvertretung der Juden in Deutschland an die im Som¬ 
mer 1938 abgehaltene Evian-Konferenz waren bis Januar 1938 130 000 Juden 
ausgewandert, davon 38 000 nach Palästina. Nach dem Bericht der Jewish 
Agency, Jerusalem, an die Evian-Konferenz vom 6. Juli 1938 3 hatten da¬ 
mals 135 000 Juden Deutschland verlassen, 25 000 Juden anderer Nationali¬ 
tät waren in ihr Heimatland zurückgekehrt, 20 000 hatten in Europa Auf¬ 
nahme gefunden und 48 000 waren nach Ubersee ausgewandert. 

Von den aus Deutschland ausgewanderten Juden sind bis Kriegsausbruch 
insgesamt rd. 50 000 in Palästina eingewandert 4 . Die meisten von ihnen 

1 Esra Bennathan , Die demographische und wirtschaftliche Struktur der Juden im 
Entscheidungsjahr 1932, in Entscheidungsjahr 1932, Tübingen 1965. 

2 Ernst Kahn in der „Jüdischen Rundschau“ vom 3. September 1935. 

3 Siehe Memorandum der Jewish Agency, London, an die Evian-Flüchtlingskonfe- 
renz vom Juli 1938. 

4 Uber die Gesamtzahl und den Verlauf der Einwanderung siehe Kap. III, S.91ff. 








38 


Werner Feilchenfeld 


waren, direkt oder indirekt, Nutznießer des nachfolgend geschilderten Trans¬ 
fersystems der Haavara, die ihre Arbeit am 5. November 1933 aufnahm. 
Dieses so rechtzeitig eingerichtete Hilfswerk der jüdischen Auswanderung 
nach Palästina, das den Transfer gewisser Teile ihres Vermögens ermög¬ 
lichte, hat in sechsjähriger Tätigkeit, bis zum Ausbruch des zweiten Welt¬ 
krieges, alle Angriffe der Nationalsozialisten in Deutschland sowie der Araber 
und der deutschen Kolonisten in Palästina überstanden, und nur der Kriegs¬ 
ausbruch beendete seine Arbeit. 


2. Die Einwanderungsbestimmungen der Mandatsregierung 


In Palästina, für dessen Verwaltung England im Jahre 1922 vom Völker¬ 
bund das Mandat erhalten hatte, bestanden im Jahre 1933 Einwanderungs¬ 
bestimmungen, die folgende Kategorien von Einwanderungserlaubnissen (Zer¬ 
tifikaten) vorsahen: 


Kategorie A: 

Al 
A 2 
A3 
A4 
A 5 


Kategorie B: 

Bl: 

B 2: 
B 3: 

Kategorie C: 


Kategorie D: 

Dl: 

D2: 


Einwanderer mit eigenen Mitteln 
Einwanderer im Besitz von mindestens LP 1000,- 5 
Einwanderer - Freie Berufe im Besitz von mindestens LP 500,- 
Einwanderer - Handwerker im Besitz von mindestens LP 250,- 
Rentenempfänger mit Monatseinkommen von mindestens LP 4,- 
Besitzer von mindestens LP 500,- mit begründeter Aussicht auf 
Erfolg in ihrem speziellen Beruf 

Einwanderer mit gesichertem Lebensunterhalt 

Waisenkinder mit gesichertem Unterhalt durch öffentliche In¬ 
stitutionen 
Religiöse Berufe 

Schüler und Studierende in Erziehungsinstitutionen 

Einwanderer mit sicherer Aussicht auf Beschäftigung (Arbeiter¬ 
zertifikate) 

Einwanderer auf Anforderung 
Angehörige von Einwanderern 
Spezialarbeiter 


Die Kategorie A 1, sogenannte Kapitalistenzertifikate, für Einwanderer, die 
das Vorzeigegeld von LP 1000,- nadiweisen konnten, war unbeschränkt und 
nicht den jeweils von der Mandatsregierung festgesetzten Quoten unter- 
worfen. Von den Quota-Einwanderungskategorien war die wichtigste die 
Kategorie C, die Arbeiterzertifikate, die nach Maßgabe der wirtschaftlichen 


5 Das Palästina-Pfund (LP) war seit 1926 die offizielle Währung Palästinas, die 
von dem „Palestine Currency Board“, London, kontrolliert wurde. Das Palästina- 
Pfund konnte jederzeit bei dieser Behörde im Verhältnis von 1:1 in Pfund Sterling 
umgewandelt werden. 






















Die Durchführung des Haavara-Tr ans fers 


39 


„Aufnahmefähigkeit des Landes“ 6 gegeben wurden. Nach den Unruhen im 
Jahre 1936 wurde jedoch die Zertifikatszuteilung wegen der Gegnerschaft der 
Araber gegen die Vergrößerung des jüdischen Volksteiles in Palästina von 
den Engländern politisch gehandhabt. Infolgedessen wurde die Arbeiterein¬ 
wanderung (Kategorie C) vom Jahre 1937 an außerordentlich stark begrenzt. 
Die „Kapitalisten“-Einwanderung auf Zertifikat A 1 blieb jedoch unbe¬ 
schränkt. 

Im Jahre 1933 war in dem damaligen Palästina die Kaufkraft eines palä¬ 
stinensischen Pfundes wesentlich größer als der deutsche Gegenwert von 
RM 12 - bis RM 12,50 in Deutschland. Das durchschnittliche Monatseinkom¬ 
men des jüdischen Arbeiters war LP 6,- bis 7,-, und entsprechend niedrig 
waren auch die Angestelltengehälter und die Kosten der Lebenshaltung. Ein 
Einwanderer mit einem Vermögen von LP 1000,— war daher für das damalige 
Palästina ein „Kapitalist“ und trug mit seinem Wohn- und Lebensbedarf 
zur entsprechenden Entwicklung des Landes bei. 

Angesichts der seit 1931 bestehenden Devisenzwangswirtschaft und des 
Verbotes der Kapitalausfuhr aus Deutschland mußten, wie in Kapitel I er¬ 
wähnt, besondere Wege des Transfers gefunden werden. Durch Ankauf deut¬ 
scher Waren, die in Palästina gebraucht werden konnten, wurde ein Ver¬ 
brauch der Auswandererguthaben zur Zahlung in Deutschland organisiert, 
während der palästinensische Importeur der Haavara den Kaufpreis in LP 
bezahlte. Hierdurch wurden die LP 1000,— Kapital der auswandernden „Ka¬ 
pitalisten“, bzw. die für die sonstigen Kategorien benötigten Geldbeträge, 
beschafft. Das Kapitalistenzertifikat A 1 konnte auf Grund eines Vermögens 
von LP 1000,- für die gleichzeitige Einwanderung der ganzen Familie des 
Antragstellers (Ehepaar und Kinder unter 19 Jahren) verwendet werden. Für 
die Kategorie A 2 der freien Berufe mußte ein Bedürfnis für den Beruf in 
Palästina nachgewiesen werden. Dies war besonders für die vielen Akade¬ 
miker des deutsch-jüdischen Mittelstandes unmöglich, da es damals in Palä¬ 
stina bereits genügend Ärzte, Anwälte usw. im Verhältnis zur Bevölkerungs¬ 
zahl gab. Sie waren deshalb auf die Einwanderung mit dem Kapitalisten¬ 
zertifikat besonders angewiesen. Kategorie B 3 für Schüler und Studierende 
erforderte den Nachweis, daß der Antragsteller in eine palästinensische Lehr¬ 
oder Erziehungsanstalt aufgenommen wurde und daß die Kosten der Er¬ 
ziehung gesichert waren. 

Palästina übte als Einwanderungsziel für deutsche Juden, auch wenn sie 
nicht von zionistischen Motiven beeinflußt waren, einen besonderen Anreiz 
aus, da es das einzige Land war, für das es eine organisierte jüdische Ein¬ 
wanderungshilfe gab. Die Beteiligung an dieser Einwanderungsmöglichkeit 
war selbstverständlich nicht davon abhängig, ob der Einwanderungskandidat 

6 Ein Begriff, der von der Mandatarmacht eingeführt und 1931 in einem Brief des 
englischen Premierministers vom 13. Februar 1931 an Df. Chaim Weizmann wieder 
bestätigt wurde (siehe Palestine Royal Commission Report, 1937). 








40 


Werner Feilchenfeld 


dem Aufbauwerk in Palästina bisher positiv oder negativ gegenübergestanden 
hatte. Hier war das einzige Land der Welt, in dem der Einwanderer nicht als 
geduldeter Flüchtling in einem Asyl aufgenommen wurde. Die wirtschaftliche, 
gesellschaftliche und kulturelle Einordnung des Einwanderers wurde von allen 
nationalen jüdischen Institutionen des Landes gefördert, nicht zuletzt von 
der zu diesem Zweck errichteten „Deutschen Abteilung“ der Jewish Agency 
und der „Hitachduth Olej Germania“, der Organisation der Einwanderer aus 
Deutschland, einer Selbsthilfeorganisation großen Stils. Alle diese Stellen 
werteten die Tradition und Erfahrungen früherer Einwanderungswellen aus 
anderen Ländern aus, und paßten sie an die besonderen Erfordernisse der 
Einwanderung aus Deutschland an. In diesem Rahmen kam der Haavara 
eine Bedeutung zu, die weit über die rein statistisch erfaßbare Wirkung hin¬ 
ausging und, wie in Kapitel III beschrieben, einen beträchtlichen Anteil an 
der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes hatte. 


3. Die Transfer Organisation der Paltreu-Haavara 

Zur Zeit des in Kapitel I beschriebenen ersten „Hoofien-Abkommens“ 
wurde davon ausgegangen, daß die Deutsche Reichsbank im Rahmen ihrer 
allgemeinen gesetzlichen Verpflichtung zur Auswanderungsförderung den 
jüdischen Auswanderungsinteressenten diejenigen Devisen zum Ankauf Zu¬ 
teilen würde, welche sie als „Vorzeigegeld“ für das Einwanderungszertifikat 
benötigten. Für Einwanderer der Kapitalistenkategorie bedeutete das eine 
Devisenzuteilung von LP 1000,-, damals = 1000 Engl. Pfund. Die Aufgabe 
der Paltreu-Haavara war daher zunächst, zusätzliche - über das Vorzeige¬ 
geld hinausgehende - Vermögensteile der Auswanderungsanwärter durch 
Warentransfer nach Palästina zu verbringen. Diese Warenexporte genossen 
nicht die damals üblichen Exportprämien von deutscher Seite, da ihr Gegen¬ 
wert nicht in Devisen nach Deutschland gezahlt wurde, sondern in Palästina 
verblieb. Die Preisspanne zwischen dem durch die deutschen Behörden nicht 
verbilligten Exportpreis der deutschen Waren und dem internationalen Kon¬ 
kurrenzpreis gleicher Waren wurde bis zum Jahre 1935 in Berlin von der 
Paltreu durch eine „Bonifikationszahlung“ an den deutschen Exporteur über¬ 
brückt. Nach 1935 übernahm die Haavara in Tel-Aviv die Aufgabe der 
Überbrückung der Preisspanne in Palästina und zahlte die jeweils notwendi¬ 
gen Bonifikationen an die palästinensischen Importeure. Die Paltreu und die 
Haavara waren die Verwalter und Treuhänder der eingezahlten Auswande¬ 
rer-Kapitalien. Der Paltreu oblag der Verkehr mit den auswandernden 
Transferenten und mit den deutschen Behörden. Außerdem stellte die Paltreu 
die Ausweise für die Paßabteilung des britischen Konsulates aus, welche dar¬ 
aufhin das Einwanderungsvisum (Zertifikat) für den Auswanderer erteilte. 
Captain Foley, der damalige Leiter der Paßabteilung, half der jüdischen Aus- 














Die Durchführung des Haavara-Transfers 


41 


Wanderung in jeder erdenklichen Weise. Der ständige Kontakt mit den deut¬ 
schen Exporteuren und Banken für die Abwicklung der Bestellungen war 
eine weitere wichtige Aufgabe der Paltreu. 

Paltreu-Haavara arbeiteten gemäß den Grundlinien des in Kapitel I, 
Seite 26 f. beschriebenen Rahmenabkommens mit der deutschen Regierung vom 
28. August 1933. Die jeweiligen Änderungen im Transferverfahren, die ins¬ 
besondere der Anpassung an die sich ändernde deutsche Währungslage dien¬ 
ten, wurden durch Erlasse des Reichswirtschaftsministeriums geregelt. Die 
Fülle der mit den Transferabkommen verbundenen Vereinbarungen, Erlasse 
und Genehmigungen schuf eine neue Währungskategorie für die deutsche und 
die palästinensische Wirtschaft. Deutsche Mark, die von Auswanderern auf 
die Treuhandkonten der Paltreu bei den Banken A. E. Wassermann, Berlin, 
oder M. M. Warburg, Hamburg, eingezahlt und von der Paltreu-Haavara 
als Gegenwert nach Palästina exportierter Waren an deutsche Exporteure 
ausgezahlt wurden, wurde „Haavara-Mark“ genannt. Ihr Verwendungs¬ 
zweck war verschieden von den bestehenden Sperrmarksorten, welche im Ge¬ 
folge der deutschen Devisenbewirtschaftung entstanden waren, wie Register¬ 
mark, Effekten- und Auswanderer-Sperrmark. 

Die Geschäftsführung der Paltreu lag viele Jahre hindurch in den Händen 
von Robert Bermann und Dr. Ernst Marcus. Während der wirtschaftliche 
und juristische Teil die Aufgabe von Herrn Bermann war, oblag Dr. Ernst 
Marcus die Verbindung der Paltreu mit den deutschen zionistischen Organisa¬ 
tionen und den deutschen Behörden und der damals besonders wichtige Kon¬ 
takt mit dem Auswärtigen Amt. Der fortwährende Kontakt mit den deut¬ 
schen Behörden erforderte unter den gegebenen Umständen ein hohes Maß 
von Geschick, Takt und Mannhaftigkeit. Nach der Auswanderung von Ber¬ 
mann und Marcus, kurze Zeit vor Kriegsausbruch, wurde Max Pinn Ge¬ 
schäftsführer der Paltreu. 

Die Paltreu schloß für die Haavara mit dem Auswanderungskandidaten 
einen Treuhandvertrag ab. Hiernach verpflichtete sich der Transferent, die 
Transferbedingungen der Haavara anzuerkennen, welche die Paltreu und 
Haavara im Einvernehmen mit der Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung 
in Berlin festgesetzt hatten. Nach dem 1. April 1936, als die Haavara von der 
Reichsbank den Transfer der LP 1000,- Vorzeigegeld für das Kapitalisten¬ 
zertifikat übernehmen mußte, sahen diese Transferbedingungen für den 
„Rangstellenmäßigen Transfer aus dem Vorzeigegeldkonto vor: 

(a) die Zuteilung des transferierten Betrages nach der Reihenfolge der Registrie¬ 
rung und Einzahlung durch den Auswanderungskandidaten; 

(b) die Bezahlung der Transferkosten aus dem eingezahlten Reichsmarkkapital; 

(c) das Recht zur Rückforderung der eingezahlten Transfergelder mit vierwöchent¬ 
licher Kündigungsfrist und abzüglich 1 o/o Verwaltungsgebühr der Paltreu. 

Im Rahmen dieser Transferbedingungen verwaltete die Paltreu für die 
Haavara das eingezahlte Auswandererkapital. Die Transferbedingungen der 










42 


Werner Feilchenfeld 


Haavara, die das Kapital zum Transfer als Treuhänder der Gemeinschaft 
der Transferenten benutzte, wurden unter Berücksichtigung der jeweiligen 
Transfermöglichkeiten und sozialer Gesichtspunkte festgesetzt. Die Treuhand¬ 
konten der bei der Paltreu-Haavara für den Transfer eingezahlten Gelder 
waren in Verwaltung der beiden jüdischen Privatbanken, M. M. Warburg, 
Hamburg, und A. E. Wassermann, Berlin. Beide Banken haben unter der 
Leitung von Max Warburg und Dr. Siegmund Wassermann die vielen kom¬ 
plizierten Geldvorgänge unter den damals für jüdische Firmen besonders er¬ 
schwerten Verhältnissen mit Erfolg bis zum Kriegsausbruch durchgeführt und 
damit die reibungslose Abwicklung des Haavara-Transfers ermöglicht. Die 
Paltreu hat den Kriegsausbruch noch eine kurze Zeit überlebt, da die deut¬ 
schen Behörden damals bereit waren, gewisse Zahlungen weiter auf die 
Konten der Paltreu-Haavara leisten zu lassen. Der letzte Geschäftsführer der 
Paltreu, Max Pinn, nahm die letzten Abrechnungen der Pal treu nach Palä¬ 
stina mit. Mit Ausnahme der damals von ihm mitgebrachten Unterlagen sind 
die Akten der Paltreu nach Kriegsausbruch völlig verlorengegangen. 

Die Haavara, Ltd., Tel Aviv, war die offizielle Treuhandgesellschaft für 
den Kapitaltransfer der in Palästina einwandernden Juden. Die Aktien der 
Haavara gehörten bis 1935 der Anglo-Palestine Bank und nachher der Jewish 
Agency for Palestine, Jerusalem. Den Vorsitz des Board of Directors führte 
bis 1935 Dr. Theodor Zlocisti, und als Vertreter des Direktoriums der Anglo- 
Palestine Bank war Heinrich Margulies Mitglied des Board of Directors. Von 
1935 an war — bis nach Kriegsausbruch — Dr. Werner Senator, der als Mit¬ 
glied der Exekutive der Jewish Agency die Einwanderungsabteilung leitete, 
Vorsitzender des Board of Directors. Die Geschäftsführung der Haavara lag 
bis 1935 in den Händen von Leo David und Dr. Robert Weiss-Liwni. 1935 
wurde der Verfasser zum wirtschaftlichen Berater und danach zum General¬ 
direktor der Haavara ernannt. * 

Der XIX. Zionistenkongreß, der im Sommer 1935 in Luzern stattfand, 
beschloß, die Haavara unter die Aufsicht der obersten jüdischen Instanz in 
Palästina, der Exekutive der Jewish Agency, zu stellen, an die nunmehr die 
Aktien der Gesellschaft von der Anglo-Palestine Bank übertragen wurden. 
Neben dem Vorsitzenden, Dr. Werner Senator, gehörten dem Board of 
Directors an: Dr. Georg Landauer, Leiter der Deutschen Abteilung der Jewish 
Agency; Dr. Siegfried Saalheimer, für das Direktorium der Anglo-Palestine 
Bank; J. Brudny, Direktor der Arbeiterbank als Vertreter des Waad Leumi 
(Organisation des Jischuw); Dr. Salli Hirsch; und, als Vertreter der Hitach- 
duth Olej Germania (Organisation der Einwanderer aus Deutschland), Dr. 
Ludwig Pinner und stellvertretend Dr. Max Kreutzberger. Dr. Siegfried Mo¬ 
ses, der 1937 endgültig nach Palästina übersiedelte, war zunächst an der Ge¬ 
neraldirektion beteiligt und ab 1938 Mitglied des Board of Directors, der 
wichtige und weitgehende Funktionen ausübte: Entscheidungen über die 
Transferpolitik im allgemeinen und über Verhandlungen mit der deutschen 




























Die Durchführung des Haavara-Transfers 


43 


Regierung im besonderen mußten gefällt werden; Großabschlüsse mit deut¬ 
schen Exporteuren und Emissionsbedingungen von Wertpapieren jüdischer 
Gesellschaften in Palästina, die von Einwanderern erworben wurden, be¬ 
durften der Bestätigung; und der Schlüssel für die Auszahlung des Transfer¬ 
erlöses, und besonders der Transferkosten für die einzelnen Transferenten, 
mußte vom Board of Directors als Treuhänder aller Transferenten festgelegt 
werden. Mit dem gleichen Fragenkreis befaßte sich in Deutschland ein von 
der Zionistischen Vereinigung für Deutschland eingesetzter Transferausschuß, 
der beratende Funktionen hatte. 


4. Der steigende Transferbedarf der Palästina-Auswand er er 

Handelspolitisch betrachtet war das Palästina-Transferabkommen ein Aus¬ 
fuhr- und Verrechnungsabkommen ähnlich denen, die Deutschland mit vielen 
Staaten für ein Zahlungs-Clearing abgeschlossen hatte. Seine Besonderheit 
war, daß es die jüdische Auswanderung gemäß der allgemeinen nationalsozia¬ 
listischen Judenpolitik fördern sollte. Wegen der Devisenbewirtschaftung 
war das Transferabkommen, das den Transfer von begrenzten Vermögen, 
Beamtenrenten und Schulgeldern sowie das zionistische Sammelaufkommen 
umfaßte, für die deutschen Juden die einzige Möglichkeit einer organisierten 
Auswanderung nach Palästina. 

Das Vermögen des jüdischen Mittelstandes in Deutschland bestand nur zu 
einem geringen Teil in liquiden Werten. Im allgemeinen waren die Mittel in 
Geschäften, Beteiligungen und Grundstücken angelegt, deren Liquidierung 
nur allmählich vorgenommen werden konnte. Außerdem mußte die Ver¬ 
pflichtung des Auswanderers zur Zahlung einer „Reichsfluchtsteuer“, die eben¬ 
falls Barvermögen erforderte, in Betracht gezogen werden. Diese Steuer war 
bereits seit 1931 im Rahmen der Devisengesetzgebung in Kraft. Hierzu kamen 
ab 1938 noch die verschiedenen jüdischen Sonderauflagen, die vor der Aus¬ 
wanderung bezahlt werden mußten. Die Notwendigkeit, diese liquiden Mittel 
zu beschaffen, und andererseits die Unsicherheit der Existenzgründung in den 
Ländern der Einwanderung, die Sprachschwierigkeiten und das Problem der 
Eingewöhnung in ungewohnte Verhältnisse führten oft — besonders bei Juden 
mittleren und höheren Alters — dazu, den Auswanderungsbeschluß hinaus¬ 
zuschieben. Trotz dieser Schwierigkeiten wurde im Laufe der Zeit der Aus¬ 
wanderungsdrang immer stärker, wenn auch unterbrochen von kurzen Perio¬ 
den, in denen eine optimistischere Beurteilung der Lage der Juden in Deutsch¬ 
land den Entschluß zur Auswanderung verzögerte. 

Die Rettung des Vermögens eines Auswanderers bei Auswanderung in ein 
anderes Land als Palästina war im allgemeinen nur auf dem Wege des Ver¬ 
kaufs von Auswanderer-Sperrmark mit einem steigend großen Verlust mög¬ 
lich, der in jedem Falle das Vielfache der Transferkosten des Haavara-Systems 











44 


Werner Feilckenfeld 


betrug 7 . Von weiterem Vorteil war, daß die Auswanderungsinteressenten in 
Deutschland sich bei der Paltreu-Haavara „vormerken“ lassen konnten, nur 
einen Teilbetrag zunächst einzahlten, und das Recht hatten, das von ihnen 
eingezahlte Auswanderungsguthaben zu kündigen und zurückzuerhalten, 
wenn sie während der Wartezeit eine andere Auswanderungsmöglichkeit ge¬ 
funden hatten. Unter diesen Umständen ließ sich eine verhältnismäßig große 
Anzahl deutscher Juden für die Auswanderung nach Palästina anmelden; die 
unmittelbar nachfolgend abgebildete Tafel 1 „Vormerkungen bei Reichsbank 


Tafel 1 


Vormerkungen bei Reichsbank und Paltreu * 
für Palästina-Auswanderung und Vorzeigegeld-Transfer 


Mill.RM 



runonn^ u* ^ er ^^5 nt ^ c | lun 8 des Verfassers „Fünf Jahre deutsche Palästinawande¬ 
rung und Haavara-Transfer 1933-1938“, Tel-Aviv 1938. 


Paltreu zeigt die Schwankungen des Auswanderungsdrucks. Die Spitzen 

" ff U ™ dei l ZU Ende der Jahre 1935 und 1938 erreicht, d. h. nach der 
An 1C |i Un ^ Cr "Nürnberger Rassen-Gesetze“ und nach den Pogromen 

” i 1Sta , na t des 9 - November 1938. In Zeiten der stärksten Anspan- 
MilP • ^/r aavara e ^ nen Zugang auf den Einzahlerkonten von RM 20 
Warpn f" ^ ?? at ’ Wa ^ rend s ie> wegen der begrenzten Kaufmöglichkeit von 

_ aS i eine ^ a ^dstina, im Jahresdurchschnitt nicht mehr als diesen 


7 Siche Tafel 4 auf S. 69. 












































Die Durchführung des Haavara-Transfers 


45 


Betrag in Waren transferieren konnte. Ende August 1938 war auf den Konten 
der Haavara in Deutschland ein untransferiertes Guthaben von 84 Millionen 
Reichsmark vorhanden. Damals lebten in Deutschland noch etwa 370000 
Juden. 


5. Die Rolle der Deutschen Reichsbank bei der Förderung der Auswanderung 
nach Palästina 

Die Deutsche Reichsbank hatte auf Grund der deutschen Auswanderungs¬ 
gesetze allgemein die Aufgabe, Auswanderungsinteressenten durch Zuteilung 
von Devisen zur Auswanderung zu verhelfen. Hierfür hatte die Auswande¬ 
rungsberatungsstelle, eine deutsche Behörde, die bereits vor dem national¬ 
sozialistischen Regime bestand, ein Gutachten zu erstatten und die zuständige 
Devisenstelle eine devisenrechtliche Genehmigung auszustellen. Für Auswan¬ 
derung nach Palästina bedeutete dies entsprechend den palästinensischen Ein¬ 
wanderungsbestimmungen insbesondere die Bereitstellung der LP 1000,- 
Vorzeigegeld, mit denen die Einwanderer außerhalb der allgemeinen Ein¬ 
wanderungsquote ein Kapitalistenzertifikat erhalten konnten. Wie aus der 
folgenden Tafel 2 „Transfer-Abwicklung durch Reichsbank und Haavara“ 


Tafel 2 


Mi». RM 

20 r 

18 . 

16 - 
14 - 
12 - 
10 - 
8 - 
6 - 
4 - 
2 - 
0 - 


Transfer-Abwicklung durch Reichsbank und Haavara * 
1933-1939 




1939 

(bis2.S*pt.) 


* Aus der Veröffentlichung des Verfassers „Fünf Jahre deutsche Palästinawande¬ 
rung und Haavara-Transfer 1933—1938“, Tel-Aviv 1938; ergänzt bis 2. September 
1939. 




























































































































46 


Werner Feilchenfeld 


ersichtlich, ist diese offizielle Auswanderungshilfe der Reichsbank tatsächlich 
1933 und 1934 in bedeutendem Umfang und zunächst ohne erhebliche Ver¬ 
zögerung erfolgt. 1935 ergab sich aber schon eine beträchtliche Stauung von 
Vormerkungen für diese Reichsbankzuteilungen, und ab 1. April 1936 wurde 
infolgedessen der Haavara anstelle der Reichsbank die Beschaffung dieses 
Vorzeigegeldes als vordringliche Transferaufgabe auf erlegt. Es wurde intern 
eine Zusammenarbeit der Reichsbank mit Paltreu-Haavara organisiert, und 
die Vorzeigegeld-Devisen des Haavara-Transfers wurden mit den eine Zeit¬ 
lang noch in geringem Umfang zugeteilten Reichsbankdevisen zusammen¬ 
geworfen. Von 1936 bis 1937 sind auf diese Weise nochmals Reichsbank¬ 
devisen im Umfange von 2,8 Millionen Reichsmark zur Verfügung gestellt 
worden, letztmals im September 1937. 

War der Transfer der Haavara-Devisen durchgeführt, so wurde der der 
Reihenfolge nach „vorgemerkte“ Auswanderungskandidat von der Paltreu 
abgerufen; er zahlte den Reichsmarkgegenwert in Deutschland auf ein für die 
Paltreu geführtes Bankkonto nunmehr voll ein. Hiernach erhielt der Aus¬ 
wanderer von der Deutschen Reichsbank eine Zahlungsanweisung auf 
LP 1000,— bei einer Bank in Palästina, und er konnte dann mit seinem vom 
britischen Konsulat erhaltenen Einwanderungsvisum nach Palästina auswan¬ 
dern. Nach September 1937 blieb dieses Zuteilungssystem formell zwar be¬ 
stehen, beschränkte sich jedoch ausschließlich auf die Verteilung der von der 
Haavara allein erworbenen und für den Vorzeigegeld-Transfer reservierten 
Beträge über die Reichsbank. 

Die Deutsche Reichsbank hat in der Transferperiode 1933 bis September 
1937 ungefähr 33 Millionen Reichsmark als Exporterlös aus Palästina verein¬ 
nahmt, die sie - wie in Tafel 2 gezeigt — in ungefähr gleichem Umfang nach 
und nach für die Palästina-Auswanderung wieder zur Verfügung stellte. 
Solche Wareneinkäufe gegen Devisenzahlung an die Reichsbank erfolgten 
durch nicht jüdische Kaufleute Palästinas, wie z. B. Araber, deutsche Templer- 
Kolonisten 8 und andere, die die direkte Zahlung nach Deutschland dem 
Haavara-System vorzogen. Schon vor Beginn der Tätigkeit der Haavara 
führte Deutschland gemäß der palästinensischen Importstatistik in den Jahren 
1929 bis 1932 durchschnittlich Waren im Werte von je 9 Millionen Reichs¬ 
mark ein. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 1936 wurde diese direkte Waren¬ 
einfuhr gegen Devisenzahlung völlig unbedeutend. Das tatsächliche Handels¬ 
monopol der Haavara im jüdischen Sektor Palästinas wurde in der Regel 
durch die direkten Käufe nicht gestört. Es gelang sogar, viele nichtjüdische 
Importeure als Haavara-Kontrahenten zu gewinnen und auch ihre Zahlun¬ 
gen in Palästina für die deutsch-jüdische Einwanderung zu verwenden. 


8 Eine deutsch-christliche Gemeinschaft aus Württemberg, die sich im Jahre 1868 
in Haifa und später auch in Jaffa, Jerusalem, Sarona und Wilhelma ansiedelte. 1933 
betrug ihre Anzahl etwa 2500 Personen. 












Die Durchführung des Haavara-Tr ans fers 


47 


6. Das Transfer System der Haavara 
a) Sonderkonto I und Sonderkonto II 

In der Anfangsperiode, die bis zum 1. April 1936 dauerte, war die Haupt¬ 
aufgabe des Haavara-Transfers, für die Auswanderer einen zusätzlichen Ver¬ 
mögenstransfer - über das von der Reichsbank zugeteilte Vorzeigegeld hin¬ 
aus - in einem als Sonderkonto I bezeichneten Konto durchzuführen. Die 
Paltreu hatte eine Reihenfolge der Einzahlungen mit laufenden Nummern 
eingerichtet und verteilte den Transfererlös jeweils in Abschnitten von 
RM 500 000,- transferierter Summen durch Abruf an die Konteninhaber 
(Transferenten). Der LP-Gegenwert wurde ihnen dann nach ihrer Einwande¬ 
rung in Palästina zur Verfügung gestellt. Ab September 1935 führten die 
Haavara-Instanzen erstmals eine soziale Staffelung des Kostensatzes (Trans¬ 
fer-Disagio) für das Vorzeigegeld ein. Bestimmte Gruppen von Transferenten, 
wie Schüler, Studenten, Rentner mit deutschen Pensionen und Unterstützungs¬ 
empfänger, hatten geringere Kostensätze zu zahlen. Später wurde die Be¬ 
schaffung des Vorzeigegeldes der Einwanderer die Hauptaufgabe dieses Son¬ 
derkonto I. In seinem Rahmen wurden auch Sonderangebote zur Förderung 
der jüdischen Landwirtschaft in Palästina oder andere Angebote für Über¬ 
nahme palästinensischer Wertpapiere durchgeführt, die ganz oder teilweise 
an die Stelle einer Barzuteilung des Vorzeigegeldes traten. 

Für solche Juden in Deutschland, die sich schon vor ihrer Auswanderung 
einen Vermögenswert und eine spätere Existenzgrundlage schaffen wollten, 
wurde zu Beginn der Transferarbeit im Mai 1933 das Sonderkonto II einge¬ 
richtet. Die deutschen Behörden bedienten sich hierbei des Begriffes der „Schaf¬ 
fung einer Heimstätte“ für solche Einzahler. Dieses Sonderkonto war von 
vornherein in seinem Umfang begrenzt. Es war — wie die offizielle Bezeich¬ 
nung lautete — „deutschen Staatsangehörigen jüdischen Volkstums Vorbe¬ 
halten. Im Juli 1934 wurde die Begrenzung auf deutsche Staatsangehörige 
fallen gelassen und die Vermögensanlage in Palästina innerhalb dieses Kontos 
für alle „in Deutschland ansässigen Juden“, also ohne Rücksicht auf die Staats¬ 
angehörigkeit, gestattet. Auf diese Konten durfte der zukünftige Auswanderer 
bis zu RM 50 000,- einzahlen. Diese RM 50 000,- entsprachen damals 
LP 4000,-, also einem erheblichen Betrag. 

In den verschiedenen Erlassen des Reichswirtschaftsministeriums wurde in 
diesem Rahmen der Ankauf von Grund und Boden und Häusern in Palästina 
sowie Anlagen in Pfandbriefen und Hypotheken und auch die Beteiligung 
an palästinensischen Unternehmungen als Vermögensanlage gestattet, wenn 
der deutsche Generalkonsul in Jerusalem die betreffende Anlage als geeignet 
begutachtet hatte. Von der Notwendigkeit solcher individueller Begutachtung 











48 


Werner Feilchenfeld 


wurde eine Reihe von Institutionen und Gesellschaften in Palästina ausgenom¬ 
men, die vom Reichswirtschaftsministerium bekanntgegeben wurden 9 . 

Unter den damals bestätigten Firmen befanden sich Zitrus-Pflanzungsgesell- 
schaften, Siedlungsgesellschaften und andere wichtige Wirtschaftsunternehmun¬ 
gen des jüdischen Palästina. Die Investitionsangebote wurden von diesen Un¬ 
ternehmungen den Transfer-Interessenten in Deutschland übermittelt. Nach¬ 
dem sich diese für eine der angebotenen Kapitalanlagen entschieden hatten, 
zahlten sie den Reichsmarkgegenwert in Deutschland auf das Sonderkonto II 
der Haavara ein. Die Haavara benutzte diese Beträge zur Bezahlung von Wa¬ 
reneinfuhr nach Palästina und stellte den Gegenwert in Palästina-Pfunden den 
betreffenden Gesellschaften oder Institutionen in Palästina zur Verfügung. Je¬ 
doch wurde der Haavara in der zeitlichen Transferfolge die Bevorzugung des 
vorher beschriebenen Sonderkonto I, das für Auswanderer bestimmt war, 
vom Reichswirtschaftsministerium zur Pflicht gemacht. Die Vorbereitung einer 
Heimstätte in Palästina für in Deutschland noch als „Deviseninländer“ ver¬ 
bliebene Personen stellte eine im Rahmen der deutschen Devisenbewirtschaf¬ 
tung ungewöhnliche Durchbrechung des Verbots der Vermögensanlage von 
Deutschen im Ausland dar. Wegen des sich bald entwickelnden starken Aus¬ 
wanderungsdranges nach Palästina und der Ansammlung untransferierten 
Auswandererkapitals auf dem Sonderkonto I wurde eine Erneuerung des 
Sonderkonto II über den 1. April 1936 hinaus nicht mehr vorgenommen. 

b) Der Transfer für Schulgelder, Renten und Touristik 

Zu den Hauptaufgaben des Haavara-Transfers traten im Verlauf der 
Arbeit verschiedene weitere Aufgaben hinzu. Schon frühzeitig war der 
Haavara der Transfer von Schulgeldern und von Unterstützungen an Ange¬ 
stellte oder Beamte jüdischer Institutionen mit maximal RM 200,- pro Mo¬ 
nat genehmigt worden. Die Einwanderungsgesetzgebung hatte für die Ein¬ 
wanderung von Kindern als Schüler in der Kategorie B 3 besondere Erleichte¬ 
rungen vorgesehen, wenn das Geld für das Studium des Schülers in Palästina 
sichergestellt war. Dies wurde meistens durch eine Bankgarantie bewirkt. Im 


9 Zu den in den Runderlassen der Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung aufge¬ 
führten Firmen gehörten: „Hanotea“ Ltd., Tel-Aviv (eine Zitrus-Pflanzungsgesell- 
schaft); „Nir“ Ltd., Jewish Agricultural Cooperative Labour Association, Tel-Aviv 
(eine Finanzierungsgesellschaft der Histadruth); Jaffa Plantations Ltd., Chedera; 
Keren Kajemeth Leisrael, Jerusalem; Palestine Publishing Company, Tel-Aviv; 
„RASSCO“ Rural and Suburban Settlement Company Ltd., Tel-Aviv (Mittelstands- 
ansiedlungsgesellschaft); General Mortgage Bank of Palestine; Palestine Investment 
and Trading Co. Ltd.; Miskhar W’Taassia Publishing and Exhibition Co. Ltd.; Haifa 
Boarding School Ltd.; Palestine Electric Wire Co. Ltd., Haifa; Migdal Insurance Co. 
Ltd.; Palestine Foundries and Metal Works Ltd., Haifa; Palestine Road Construction 
Co. Ltd.; Kinnereth Development Co. Ltd.; Palestine Land Development Co. Ltd.; 
Phoenix Life Insurance Company. 












Die Durchführung des Haavara-Transfers 


49 


Haavara-Transfer übernahm die Haavara diese Garantie sowie die Einzah¬ 
lung der Schulgelder und der Mittel für den Lebensunterhalt von Kindern 
und Studenten, deren Angehörige noch in Deutschland blieben und ihre Kin¬ 
der im voraus nach Palästina schicken wollten. Dieser Schulgeldtransfer ge¬ 
hörte zu den in Reihenfolge und Transferkosten bevorzugten Transfergrup¬ 
pen. Der Anteil der aus Deutschland stammenden Schüler an den Schüler¬ 
zertifikaten stieg z. B. 1936 auf 43°/o aller derartigen Zertifikate. Insgesamt 
kamen mit Hilfe des Haavara-Transfers etwa 1500 Schüler oder Studenten 
nach Palästina. 

Im Runderlaß Nr. 45/36 vom 2. April 1936 erhöhte das Reichswirtschafts¬ 
ministerium die Transfermöglichkeit für Pensionen von jüdischen Gemeinden 
oder früheren deutschen Arbeitgebern für nach Palästina ausgewanderte Be¬ 
amte und Angestellte auf maximal RM 500- im Monat für jeden Empfänger. 
Ferner wurde der Transfer von Beiträgen zu den verschiedenen zionistischen 
Fonds und Institutionen in Palästina zugelassen, da diese die Einwanderung 
nach Palästina fördern konnten. 

Jüdische Kriegsrentner des ersten Weltkrieges erhielten bis zum Frühjahr 
1937 fast ausnahmslos ihre Pension per Post direkt nach Palästina über¬ 
wiesen. Ab 1. März 1937 wurde auch diese Aufgabe der Haavara übertragen. 
Desgleichen zahlten die deutschen Reichs-, Staats- und Kommunalbehörden 
Pensionen von entlassenen jüdischen Beamten auf das Sonderkonto I der 
Haavara in Berlin ein, sofern diese Pensionäre auf das Rentnerzertifikat 
(A 4) nach Palästina eingewandert waren. So haben jüdische Staats- und 
Kommunalbeamte, die auf Grund der Rassengesetze zwangspensioniert wur¬ 
den, und beamtete Funktionäre jüdischer Gemeinden und Institutionen nach 
Palästina auswandern und dort ein Existenzminimum in palästinensischer 
Währung erhalten können. Etwa 600 solcher Rentner bezogen über die 
Haavara ihre Pension aus Deutschland. Für in Palästina befindliche Trans¬ 
ferenten, die in Not geraten waren, war ferner ein „Härtefonds vorgesehen, 
aus dem Unterstützungen in palästinensischer Währung — im besonderen aus 
noch vorhandenen untransferierten Reichsmarkguthaben der Unterstützungs¬ 
empfänger - gewährt wurden. 

In Zusammenarbeit mit dem Reisebüro „Palestine and Egypt Lloyd , 
Tel-Aviv, wurde schon ab Juli 1934 ein Reisekreditabkommen in den Haa¬ 
vara-Transfer eingebaut, nach welchem deutsche Juden vor ihrer Auswande¬ 
rung eine kurze Erkundungsreise nach Palästina unternehmen konnten. Die 
Fahrtkosten konnten in Reichsmark bezahlt werden; für den Aufenthalt in 
Palästina zahlte der Tourist Reichsmark auf das Haavara-Konto in Berlin 
und erhielt von der Paltreu Gutscheine für Hotelkosten und andere Aus¬ 
gaben während seines Aufenthalts in Palästina. Diese Erkundungsreisen vor 
Auswanderung vermittelten den künftigen Einwanderern wichtige Erkennt¬ 
nisse über die geplante Betätigung, den bevorzugten Wohnsitzort und über die 
Mitnahme von für Palästina geeignetem Hausrat und Berufsausrüstung. In 


4 LBI 26 Haavara-Transfer 













50 


Werner Feilchenfeld 


den beiden Jahren, für die die Bereitstellung von Devisen der Haavara ge¬ 
stattet war (1935/36), wurden insgesamt LP 56000,- an solche Touristen für 
die Bestreitung bescheidener Ausgaben während eines kurzen Aufenthalts 
in Palästina zur Verfügung gestellt. Mehrere Tausend Auswanderungskan¬ 
didaten haben damals von dieser Besuchsmöglichkeit in Palästina Gebrauch 
gemacht. Sie erforderte eine Bestätigung des Palästina-Amts der Jewish 
Agency in Deutschland, daß die Reise zur Information für spätere Auswan¬ 
derung unternommen wurde, und ein Depot von RM 800,- beim britischen 
Konsulat, das verfiel, wenn der Tourist nicht innerhalb von 120 Tagen nach 
Visumerteilung zurückgekehrt war. 


7. Das Transferprogramm der Haavara 

Bei dem Mißverhältnis zwischen dem Auswanderungsdruck in Deutschland 
und dem relativ geringen Warenbedarf der damaligen kleinen Palästina- 
Wirtschaft mußte die Haavara jede mögliche Art von Verwendung jüdischer 
Auswanderermark in Palästina und anderwärts suchen, um mehr Geld zu 
transferieren und damit mehr deutschen Juden die Auswanderung nach Palä¬ 
stina zu ermöglichen. Sie bemühte sich mit gutem Erfolg, den Warentransfer 
in verschiedenen Richtungen auszubauen und ihn durch verschiedene Arten 
eines Zahlungsclearings zu ergänzen. Zur Zeit der vollen Entwicklung aller 
Transfermöglichkeiten bestanden folgende Hauptgruppen von Transaktio¬ 
nen: 

(a) die normale Ausfuhr deutscher Waren nach Palästina; 

(b) die zusätzliche Ausfuhr deutscher Waren — durch Sondergenehmigung — nach 
den Nachbarländern Ägypten, Syrien, Irak; 

(c) die zusätzliche Warenausfuhr nach Palästina durch Eigen-, Bau-, Emissions¬ 
und Siedlungstransfer; 

(d) die palästinensische Zitrus-Ausfuhr nach Deutschland im Rahmen der Haavara; 

(e) die Bezahlung einzelner Auslandsgeschäfte aus Übersee mit Haavara-Mark 
und die Versuche zusätzlicher Großprojekte im Ausland; 

(f) der Finanztransfer durch Clearing ausländischer Unterstützungszahlungen 
nach Deutschland. 

Das sich aus diesen Transfermöglichkeiten ergebende Programm wurde 
nach und nach entwickelt: 

a) Die normale Ausfuhr deutscher Waren nach Palästina 

Das ursprüngliche Transferabkommen mit der deutschen Regierung ge¬ 
stattete der Haavara den Einkauf jeder Art von deutschen Waren zur Aus¬ 
fuhr nach Palästina und ohne Beschränkung des Umfangs. In der Praxis 
bestimmte jedoch die Aufnahmefähigkeit des sehr kleinen palästinensischen 
Wirtschaftsgebietes, in dem 1932 nur 200 000 Juden lebten, den Umfang der 




















Die Durchführung des Haavara-Transfers 


51 


Einfuhr aus Deutschland und damit den Transferumsatz. Hierbei war die 
Bereitschaft der palästinensischen Importeure, deutsche Waren zu kaufen, ein 
wichtiger Faktor. Im Verhältnis zum palästinensischen Importeur spielte die 
Haavara nicht nur die Rolle einer Art Importbank, die Reichsmark zur Be¬ 
zahlung deutscher Warenlieferungen verkaufte, sondern auch die eines Ge¬ 
schäftsinitiators zusätzlicher Verwendungsmöglichkeiten von Auswanderer- 
Mark. Die Haavara beglich den Zahlungsauftrag an den deutschen Expor¬ 
teur zu dem von ihm berechneten Ausfuhrpreis. Da dieser Ausfuhrpreis wegen 
Mangels der sonst üblichen Exportprämie seitens der deutschen Regierung 
stets mehr oder weniger über dem Weltmarktpreis lag, mußte die Haavara 
den Differenzbetrag ausgleichen. Das tat sie seit 1935 in der Weise, daß sie in 
der Rechnung für den Importeur von dem Warenpreis eine von ihr gewährte 
„Bonifikation“ abzog. Damit wurde die zu teure deutsche Ware dem Welt¬ 
markt-Konkurrenzpreis angeglichen und konnte in Palästina konkurrenzfähig 
angeboten werden. Der dann verbleibende Nettobetrag wurde vom Importeur 
nach Ankunft der Ware in Palästina-Pfunden an die Haavara gezahlt und 
stellte, abzüglich der geringen Verwaltungskosten, den Transfer-Nettoerlös 
dar. Ohne diese Maßnahme, die den Preis der deutschen Ware an den Welt¬ 
marktpreis anglich, wäre der Import über die Haavara unmöglich und das 
Transfersystem undurchführbar gewesen. 

Die Bestätigungsformulare der Haavara 10 trugen, um klarzustellen, daß 
der Ankauf der deutschen Ware zur Förderung der Rettung deutscher Juden 
nach Palästina erfolgte, folgenden Vermerk: 

„Under Control of the Jewish Agency in accordance with the Resolution of the 
19th Zionist Congress * 11 : 

Um die weitere Einwanderung von Juden aus Deutschland nach Palästina zu för¬ 
dern, wird die Exekutive beauftragt, die gesamte Arbeit der Haavara unter ihre 
Kontrolle zu nehmen.“ 

Als die Devisen in Deutschland infolge des großen Devisenbedarfs für das 
nationalsozialistische Aufrüstungsprogramm immer knapper wurden, wurde 
die Auswahl der für den Haavara-Transfer genehmigten deutschen Waren 
immer mehr eingeschränkt. Das Reichswirtschaftsministerium verlangte von 
1936 ab für bestimmte Waren, die in einer „Negativ-Liste“ auf geführt wur¬ 
den, den Ersatz des in diesen Waren enthaltenen Anteils an Auslandsroh¬ 
stoffen durch teilweise Devisenzahlung. Im übrigen konnte aber auch nach 
1936 die Haavara weiterhin diejenigen Waren nach Palästina ohne Erstattung 
eines Devisenanteils ausführen, die nicht in der Negativ-Liste enthalten 
waren. Im letzten Transferabschnitt wurde der Warentransfer unter dem 
Druck der Araber und deutschen Palästina-Kolonisten auf die deutsche Re- 


10 Siehe auf S. 52 das Formular, durch das die Bank den Empfang der Haavara- 
Mark bestätigte. 

11 Luzern, 1935. 
















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Die Durchführung des Haavara-Transfers 


53 


gierung auf eine „Positiv-Liste“ beschränkt, und nur diese Waren wurden zur 
Ausfuhr zugelassen. Es handelte sich dabei um Waren, deren Ausfuhr aus 
Deutschland aus verschiedenen Gründen normalerweise schwer war, und die 
daher für den Haavara-Export noch genehmigt wurde. Dies führte natur¬ 
gemäß zu einer entsprechenden Verminderung des Transferumsatzes und zu 
einer Erhöhung der Preisausgleich-Kosten. 

Die Schädigung des Haavara-Transfers durch Verschlechterung der Waren¬ 
liste wurde gelegentlich durch die persönlichen Beziehungen der Haavara zu 
den Leitern der deutschen Großindustrie gemildert, indem noch vor Bekannt¬ 
gabe der Einschränkung größere Aufträge erteilt werden konnten; die Haa¬ 
vara war für die deutsche Exportindustrie auch deshalb ein beliebter Gro߬ 
kunde, weil sie schon bei Auftragserteilung darauf bestand, den ganzen 
Kaufbetrag in Haavara-Mark „anzuzahlen“. Ein solches Guthaben der zu 
transferierenden jüdischen Auswanderergelder war vor dem Zugriff national¬ 
sozialistischer Behörden oder von Parteigenossen auf dem Konto der deut¬ 
schen Großkonzerne sicherer, als bei den zwei jüdischen Transferbanken War- 
burg, Hamburg, und Wassermann, Berlin. So wurde die Haavara von in¬ 
dustrieller Seite rechtzeitig von der drohenden Ausschließung von Wasser¬ 
rohren, Eisen und Metallfabrikaten verständigt und konnte für diese für 
Palästina besonders wichtigen Waren noch in letzter Stunde Großabschlüsse 
durchführen. Im Zusammenhang hiermit und wegen der dauernden Ver¬ 
schlechterung der Lage der Juden in Deutschland und der Erschwerungen in 
der Erlangung der Waren-Exportgenehmigung veranlaßte die Haavara mehr¬ 
fach Sammel-Großbestellungen der Importeure für eine mehrjährige Vorein¬ 
deckung in wichtigen Einfuhrwaren. Die Haavara ermöglichte dann den Im¬ 
porteuren die Finanzierung mit einer kleineren Barzahlung und mit kurz- 
und mittelfristiger Abzahlung des Restes durch bankgarantierte Wechsel. Auf 
diese Weise konnte z. B. eine für Palästina sehr hohe Vorratsmenge von Röh¬ 
ren und Metallwaren bestellt werden. 

Um innerhalb des freien Warenmarktes in Palästina ihre Aufgabe erfüllen 
zu können, d. h. die deutsche Mark mit einem Minimum von Preisausgleich- 
Bonifikation in Palästina-Pfunde umzuwandeln, brauchte die Haavara ein 
Monopol für die Einfuhr deutscher Waren für den jüdischen Wirtschaftssektor. 
Nur dann konnte sie, wenn ein palästinensischer Importeur deutsche Waren 
kaufen wollte, mit ihm wegen des tatsächlichen Weltmarktpreises auf der 
Grundlage verhandeln, daß der Käufer solche Ware nur über die Haavara 
erhalten konnte. In Konkurrenz trat daher nur ein preisgünstigeres Angebot 
der gleichen Ware aus anderen Ländern. Die deutsche Regierung erkannte die 
Notwendigkeit einer solchen Monopolstellung an. So wie im Anfang der 
Transferzeit die private Pflanzungsgesellschaft „Hanotea“ Ltd. mit ihrer 
Warengenehmigung in das Haavara-Abkommen eingebaut worden war, wur¬ 
den auch später von den deutschen Behörden alle Anträge auf Transfer¬ 
genehmigungen an die Haavara verwiesen. Wollte andererseits ein Araber 








54 


Werner Feilchenfeld 


oder einer der deutschen Kolonisten in Palästina deutsche Ware außerhalb der 
Haavara kaufen, so erhielt die Reichsbank die Devisen. Dies geschah beson¬ 
ders in den ersten Transferjahren; oft aber war die von der Haavara gebotene 
Preisausgleich-Bonifikation und besonders die Finanzierung des Einkaufs 
wesentlich günstiger und veranlaßte auch diese Kreise Palästinas, ihren deut¬ 
schen Warenbedarf in nicht geringem Umfang über die Haavara und durch 
Bezahlung mit Haavara-Mark zu decken. 

Die Monopolstellung der Haavara in dem Verkauf der Haavara-Mark 
für die Einfuhr deutscher Ware erlaubte auch einen Schutz der jungen jüdi¬ 
schen Industrie in Palästina. In Fühlung mit der jüdischen Industriellen-Ver- 
einigung Palästinas bemühte sich die Haavara, die Einfuhr solcher Erzeugnisse 
- durch Verweigerung der Bonifikation - zu verhindern, die eine ernste Kon¬ 
kurrenz für Produkte der neuen jüdischen Industrie in Palästina darstellen 
würden. Ein solcher Schutz der jüdischen Industrie bestand in bezug auf 
Warenimporte aus anderen Ländern nicht, er konnte nur kraft der Monopol¬ 
stellung gegeben werden. Es konnte aber auch Vorkommen, daß eine Fabrik 
sich erst ihre Maschinenausrüstung mit Haavara-Mark beschaffte und später 
dann für die mit diesen Maschinen erzeugten Waren „Tozeret-Haarez“-Schutz 
(Schutz für einheimische Produkte) von der Haavara beanspruchte, wodurch 
der Transferumsatz verringert wurde. 

b) Die zusätzliche Ausfuhr deutscher Wären — durch Sondergenehmigung — 
nach den Nachbarländern Ägypten , Syrien , Irak 

In den genannten Nachbarländern lagen große Teile des Importhandels 
und der Vertretungen deutscher Konzerne in den Händen von Juden. Oft 
bestanden mit den deutschen Firmen enge Geschäftsbeziehungen, die in vielen 
Jahrzehnten aufgebaut waren. Viele dieser jüdischen Importeure hatten die 
Hoffnung, daß der Nationalsozialismus nach kurzer Zeit verschwinden 
würde. Auf Grund dieser Hoffnung zögerten sie, ihre Geschäftsbeziehungen 
mit den deutschen Lieferanten sofort voll abzubrechen und sich dem von der 
Weltjudenheit proklamierten Boykott anzuschließen. 

Die Haavara errichtete für den Nahost-Transfer Büros in Bagdad, Da¬ 
maskus und Kairo. Die dortige Arbeit wurde durch eine Tochtergesellschaft, 
die „Near and Middle East Commercial Corp.“ (NEMICO), und in An¬ 
lehnung besonders an das jüdische Privatbankhaus Zilkha in Beirut durch¬ 
geführt. Für diese Transaktionen waren Einzelgenehmigungen seitens der 
deutschen Regierungsstellen erforderlich, ferner der Nachweis, daß das Aus- 
fuhrgeschäft für Deutschland ohne Einschaltung der Haavara nicht zustande 
kommen würde. Auch wurde gefordert, daß für den in der Ware enthalte¬ 
nen ausländischen Rohstoffanteil Devisen gezahlt würden. Obgleich dieser 
Nahost-Transfer insgesamt das Transferaufkommen nicht stark erhöht hat, 
war der Versuch, das ganze Nahost-Gebiet mit dem Haavara-Transfer in 

















Die Durchführung des Haavara-Transfers 


55 


Verbindung zu bringen und auch aus jenen arabischen Ländern zusätzlich 
Devisen für vermehrte jüdische Einwanderung nach Palästina zu gewinnen, 
berechtigt. Das Nahost-Geschäft brachte ferner indirekt einen wesentlichen 
politischen Vorteil für die Haavara. Viele der wertvollsten Einfuhrgeschäfte 
waren, insbesondere in Irak und Syrien, Großaufträge der Regierungen oder 
der Stadtverwaltungen, die in öffentlicher Ausschreibung für die billigste 
Offerte angeboten wurden. Deutsche Firmen und ihre dortigen jüdischen Ver¬ 
treter hatten sich bei früheren Ausschreibungen für Großaufträge (z. B. für 
Autobusse, Lastwagen u. a.) oft in Konkurrenz mit der englischen Industrie 
beteiligt. Mit der von der Haavara zu erlangenden „Preisausgleich-Bonifika¬ 
tion“ hätten jüdische Importeure praktisch jedes Konkurrenzangebot schlagen 
können. In einem Gentleman-Agreement zwischen dem „British Commercial 
Agent“ in Jerusalem und seinen Kollegen in jenen Nahost-Staaten einerseits, 
und der Haavara andererseits, wurde zum Schutz der englischen Wirtschafts¬ 
interessen folgendes vereinbart: Die Haavara sollte für solche öffentlichen 
Aufträge, sofern dies von dem British Commercial Agent mitgeteilt wurde, 
keine Bonifikation an jüdische Importeure jener Länder anbieten, so daß der 
britische Export nicht gestört würde. In jedem Fall einer Intervention dieser 
Art hielt die Haavara die getroffene Vereinbarung ein, und die jüdischen 
Antragsteller wurden angewiesen, sich an solchen Ausschreibungen nicht zu 
beteiligen. Der Erfolg dieser Zusammenarbeit mit den Vertretern der Man¬ 
datsmacht England war, daß in den ganzen sechs Jahren des Haavara- 
Transfers, in denen die deutsche Einfuhr gelegentlich nominell (d. h. zum 
erhöhten deutschen Ausfuhrpreis vor Abrechnung der Bonifikation) die eng¬ 
lischen Einfuhrziffern nach Palästina überstieg, es niemals zu einem Konflikt 
mit der Mandats- bzw. der englischen Regierung kam. 

c) Die zusätzliche Warenausfuhr nach Palästina durch Eigen-, Bau-, Emis- 
sions- und Siedlungstransfer 

Dank dem Haavara-Monopol war es Auswanderungsinteressenten in 
Deutschland nicht möglich, den zuständigen deutschen Stellen einen Sonder¬ 
transfer für den Ankauf deutscher Ware und ihre Mitnahme bei der Aus- 
Wanderung nach Palästina vorzuschlagen. Andererseits war es gerechtfertigt, 
daß jüdische Einwanderer nach Palästina für ihre eigenen gewerblichen 
Zwecke mit ihren auf die Haavara-Konten eingezahlten Geldern Waren aus 
Deutschland einführten. Es war z. B. angebracht, einem Fabrikanten, der 
seine Fabrik in Deutschland verkaufen mußte, die Möglichkeit zu geben, mit 
seinem Auswandererkapital Maschinen in Deutschland zu kaufen, um eine 
entsprechende Fabrik in Palästina zu errichten. Alle Arten eines derartigen 
„Selbsttransfer“ erforderten eine Bestätigung der Haavara, um sicherzustel¬ 
len, daß die gekaufte Ware wirklich dem eigenen Zweck dienen und nicht auf 
dem Palästina-Markt weiterverkauft werden sollte. 










56 


Werner Feilchenfeld 


Neben diesem Selbsttransfer gab es einen „Eigentransfer“ auch für die Ver¬ 
wendung der importierten Ware durch eine in Palästina bestehende oder neu 
zu gründende Firma, der sich der eingewanderte Transferent als Partner oder 
Kreditgeber anschließen konnte. Viele neue Industrie- und Handelsbetriebe 
sind damals im jüdischen Palästina entstanden oder leistungsfähig geworden, 
weil der Einwanderer mit seinem Haavara-Guthaben das notwendige Kapital 
für Gründung und Erweiterung des Unternehmens in Form der Einfuhr 
deutscher Waren oder Maschinen beisteuern konnte. Auch hier mußte die Echt¬ 
heit der vorgeschlagenen Transaktion sorgfältig geprüft werden, damit nicht 
durch Weiterverkauf der Ware zu verbilligtem Preis das Preissystem der 
Haavara untergraben würde. Dieser Selbst- und Eigentransfer war eine der 
Maßnahmen, mit denen die Haavara die Einwanderung aus Deutschland 
und die Rettung des dort festliegenden Vermögens fördern konnte. Zu den 
jüdischen Gesellschaften, die sich in dieser Form des Haavara-Transfers die 
Einkaufs- und Finanzierungsquelle einzelner Haavara-Transferenten zu¬ 
nutze machten, gehörten u. a. die Tonziegelei „Naaman“ bei Haifa (für die 
außer der Einrichtung noch Kohlenvorräte für mehrere Jahre eingeführt wur¬ 
den), die Schiffahrtsgesellschaft „Atid“, die Textilfabrik „Lodzia“, Tel-Aviv, 
und andere Wirtschaftsunternehmen. 

Der Eigentransfer für Wohnungsbedarf, Berufseinrichtung und Verkehrs¬ 
mittel: Ende 1935 richtete die Haavara eine besondere Art des Eigenbedarf¬ 
transfers für Gebrauchsgegenstände ein, im besonderen für Wohnungsbedarf, 
Berufseinrichtung und Verkehrsmittel. Die Absicht war, den Einwanderern 
aus Deutschland über das Vorzeigegeld hinaus, unter Verwendung der ihnen 
noch verbliebenen Markguthaben, den Einkauf solcher Gegenstände in Palä¬ 
stina zu ermöglichen, die sie besser dort nach ihrer Einwanderung erwerben 
onnten. Dies ersparte den Transferenten den teuren Lifttransport ungeeig¬ 
neter Gegenstände. Auf diese Weise konnten viele für die Einordnung er¬ 
forderlichen Waren (Elektroartikel, Kühlschränke, Haus- und Küchengeräte, 
Musikinstrumente, Nähmaschinen und Fahrräder, Schreibmaschinen, medizi¬ 
nische Apparatur, Motorräder und sogar Autos) erworben und aus dem in 
Deutschland noch bestehenden Reichsmark-Konto bezahlt werden. Die Käufer 
waren außerdem sicher, daß sie nicht nur solche Gegenstände erwarben, die für 
die besonderen Verhältnisse in Palästina geeignet waren, sondern auch stets 
den Fabrikservice und die Ersatzteile erhalten konnten. Um den Bartransfer 
der Haavara vor Wiederverkauf solcher Waren auf dem freien Markt zu 
schützen, wurden diese Käufe auf wenige geeignete und von der Haavara 
überwachte Firmen in Palästina konzentriert und für die Überwachung eine 
geringe Gebühr an die Haavara gezahlt. 

Der Bautransfer: Dem gleichen Ziel zusätzlicher Transfermöglichkeiten 
für eingewanderte deutsche Juden diente der „Bautransfer“ der Haavara. 
Die starke Einwanderungswelle der Jahre 1933-1935 verursachte naturgemäß 
einen entsprechenden Bedarf an Wohnraum und Geschäftsräumen. In dem 













Die Durchführung des Haavara-Transfers 


57 


damaligen Kolonialland Palästina fehlte hierfür das notwendige Kapital, und 
insbesondere mangelte es an langfristigem Kredit- und Hypothekenkapital. 
Vor der deutschen Einwanderung gab es nur kurzfristigen Kredit zu hohem 
Zinsfuß, wie dies in wenig-entwickelten Ländern üblich war. Der Bautransfer 
begann als ein Selbsttransfer der Einwanderer, die sich ihr eigenes Haus durch 
Einfuhr aus Deutschland verschaffen wollten. Es gab sogar für sie neben der 
Einfuhr von Baumaterialien die Möglichkeit des Kaufes ganzer Häuser - 
wie z. B. der „Stahlgerüsthäuser“ der Boehler Stahlhauswerke und der „Kup¬ 
ferhäuser“ der Hirsch-Kupfer-Werke -, die in zusammensetzbarem Zustand 
eingeführt werden konnten. 

In Palästina bestand nach englischem Recht die Möglichkeit, im Grundbuch 
ein Teileigentum von Wohnhäusern einzutragen; der Einwanderer konnte 
also eine Wohnung in einem Haus erwerben und den Wohnungspreis oder 
einen Teil davon mit dem Bauherrn in aus Deutschland eingeführten Bau¬ 
materialien verrechnen. Eine Abart dieser Transfersparte war die Einfuhr von 
Baumaterialien aus Deutschland in der Weise, daß deren Gegenwert von 
Transferenten als Hypothekenanleihen für den Bau verwandt wurde. Auch 
die Haavara selbst hat gelegentlich im Zusammenhang mit dem Einkauf von 
Baumaterialien Bautransferhypotheken erworben und sie später wieder in 
liquide Mittel verwandelt. Die Überwachung der Bautransferwaren war eine 
besonders schwierige Aufgabe für die Haavara, weil die Einfuhr von Bau¬ 
materialien einen großen Teil des Imports darstellte: es mußte gewährleistet 
werden, daß die eingeführte Ware tatsächlich für das spezifische Bauvorhaben 
voll verbraucht wurde und nicht unter der Hand den Weg in den freien 
Markt fand. 

Der Bautransfer der Haavara begann im April 1936 und konnte bis An¬ 
fang 1939 unter der Leitung von Dr. Fritz Simon Neumann aufrechterhalten 
werden. Insgesamt wurden über diese für das Einwanderungsland Palästina 
wichtige Transferart fast 4 Millionen Haavara-Mark mit einem Gegenwert 
von LP 165 000 abgewickelt. 

Der Emissionstransfer: Je stärker der Druck auswanderungsbereiter Juden 
in Deutschland und entsprechend die Höhe untransferiert gebliebener Ein¬ 
zahlungen wurde, um so mehr mußte die Haavara versuchen, Sonder aktio- 
nen zustande zu bringen, um den Transfer und damit die Auswanderung zu 
beschleunigen. Solche „Beschleunigungsaktionen“ fanden von 1936 bis 1939 
insgesamt siebenmal statt. Ihre Besonderheit, die die Beschleunigung ermög¬ 
lichte, bestand darin, daß sie den Interessenten statt voller Barzahlung nur 
einen Teil in bar und den Rest in palästinensischen Wertpapieren jüdischer 
Gesellschaften gewährten, welche für diese Mark-Guthaben über die Haavara 
Waren aus Deutschland bestellten. Die Annahme der Angebote lag immer im 
Ermessen des Transferenten: des bereits eingewanderten Transferenten für 
Verwertung seiner untransferierten Guthaben, oder des Auswanderungsinter¬ 
essenten, der damit außerhalb der Reihenfolge sofort aus Deutschland aus- 







58 


Werner Feilchenfeld 


wandern konnte. Die Überlassung von Haavara-Mark-Kapital gegen Aktien 
oder langfristige Obligationen - meistens zu 4% Zinsen - eröffnete der 
Haavara und den Auswanderungsinteressenten eine neue Transfermöglich¬ 
keit und für die jüdische Palästina-Wirtschaft eine bis dahin unbekannte 
langfristige Finanzierungsmöglichkeit zu niedrigem Zinssatz. 

Palästina war, wie jedes wirtschaftlich wenig entwickelte Land, kapital¬ 
arm. Vor der großen Einwanderung aus Deutschland wurden die landwirt¬ 
schaftlichen Arbeitersiedlungen nur von den zionistischen Fonds, deren Mittel 
aus Spendenaufkommen stammten, mit niedrig verzinslichen und langfristigen 
Anleihen versorgt. Eine langfristige Finanzierung außerhalb der von der 
Jewish Agency organisierten Landwirtschaftskredite gab es nur in geringem 
Maße. Durch diesen Mangel an langfristigen Finanzierungsmöglichkeiten er¬ 
hielt die Tatsache, daß innerhalb der Haavara-Transferkonten Millionen 
Reichsmark auf eine Anlage in Palästina warteten, besondere Bedeutung: das 
in Deutschland verbliebene Uberschußkapital anlagewilliger Gelder konnte 
in der Form des „Emissionstransfers“ der Entwicklung des Landes dienstbar 
gemacht werden. Diese Transferart wurde in den deutschen Runderlassen 
als „Sondertransfer“ genehmigt. 

Die langfristige Finanzierung des städtischen Baus wurde außer durch den 
bereits erwähnten Bautransfer nur durch die General Mortgage Bank, eine 
Tochtergesellschaft der Anglo-Palestine Bank, gefördert, deren Umfang durch 
die Investition deutscher Juden in Pfandbriefen der General Mortgage Bank 
um ein vielfaches vergrößert wurde 12 . 

Der „Emissionstransfer“ bedeutete eine nicht zu unterschätzende Kapital¬ 
quelle für die Erweiterung und Errichtung wirtschaftlich wichtiger Unter¬ 
nehmungen. Die Auswirkung dieses Teiles des Haavara-Transfersystems ging 
erheblich über den damals unmittelbar erzielten Erfolg hinaus. Wenn in jenen 
Jahren die Emission und Plazierung von Wertpapieren als Finanzierungs¬ 
mittel für Unternehmungen begann, die an der 1935 gegründeten Börse in 
Tel-Aviv eingeführt wurden, so spielte dabei der Emissionstransfer der Haa¬ 
vara eine wichtige Rolle. Der Kurszettel der heutigen Tel-Aviver Wertpapier¬ 
börse enthält immer noch eine Anzahl von Gesellschaften, deren Kapital 
durch Haavara-Transaktionen geschaffen oder im Umfang wesentlich ver¬ 
größert wurde. 

Eine Reihe von Gesellschaften, die heute noch für die Wirtschaft des Staates 
Israel erhebliche Bedeutung haben, verdanken ihre Gründung oder die Ver¬ 
breiterung ihrer Kapitalbasis dieser Sondertätigkeit der Haavara. Bei der 
Schaffung von neuem Kapital hat sich die jüdische Landwirtschaft, besonders 
die der Arbeiterbewegung, in großem Umfang an den Bestellungen aus 
Deutschland beteiligt. Nicht nur die Bestellung von Röhren für die in Palä¬ 
stina nötige künstliche Bewässerung und von Material für die Siedlungs- 


12 Siehe Kapitel III, S. 98 f. 
















Die Durchführung des Haavara-Transfers 


59 


bauten wurde im Wege des Emissionstransfers finanziert, sondern auch der 
Kauf von hochwertigem Zuchtvieh. Die „Nir“ Ltd., eine der großen Finan¬ 
zierungsgesellschaften des Arbeitersektors, konnte ihre Mittel durch Ausgabe 
von mehreren Hunderttausend LP langjähriger, niedrig verzinslicher Obli¬ 
gationen erheblich erhöhen. Auch die heute in Israel so wichtige Wassergesell¬ 
schaft „Mekoroth“ wurde über den Haavara-Transfer gegründet. Die der 
Jewish Agency gehörende Palestine Agricultural Settlement Association 
(PASA) verdankt ebenfalls ihre Kapitalisierung zum großen Teil dem Haa¬ 
vara-Transfer. . 

Die Bedingungen, zu denen die Gesellschaften ihre Aktien oder Obligatio¬ 
nen den Transferenten - den potentiellen Kapitalanlegern - anboten, wurden 
vom Board und der Geschäftsführung der Haavara geprüft, so daß nach 
ihrem besten Ermessen die Wertpapiere dem Transferenten als eine Transfer¬ 
möglichkeit vorgeschlagen werden konnten. 

Als die Bartransfermöglichkeiten immer geringer wurden, hatte ein auf 
den Abruf wartender Auswanderer im Rahmen dieser Beschleumgungsaktio- 
nen die Möglichkeit, sich außerhalb der Reihenfolge an einem solchen Emis¬ 
sionsangebot palästinensischer Gesellschaften zu beteiligen. Beispielsweise er¬ 
hielt er dann einen Betrag von LP 300,- in bar (statt LP 1000,- im reinen 
Bartransfer) und LP 700,- in Obligationen einer Gesellschaft zu einem Emis¬ 
sionskurs von 70°/o statt dem Pariwert von 100; der niedrige Emissionskurs 
diente zum Ausgleich der Verzinsung, die gegenüber dem sonst im Lande 
üblichen hohen Zinssatz geringer war. Ein solcher Transfer erwirkte die Be¬ 
stätigung für das Einwanderungszertifikat, wie für bare LP 1000,-. 

Der Siedlungstransfer: Eine andere Transferart, die beschleunigte Aus¬ 
wanderung aus Deutschland und gleichzeitig berufliche Einordnung in Palä¬ 
stina ermöglichte, war der Siedlungstransfer, d. h. der Erwerb einer Wirtschaft 
im Rahmen einer landwirtschaftlichen Kolonie, die von einer Siedlungsgesell¬ 
schaft errichtet wurde. Diese Gesellschaft, der der Transferent seine Reichs¬ 
markeinzahlung bei der Paltreu zur Verfügung stellte, führte dann den Trans¬ 
fer im Wege des Eigentransfers durch. In erster Linie kam hierfür die 
„RASSCO, Rural and Suburban Settlement Company“ in Betracht, die von 
der Jewish Agency für diesen Zweck gegründet war und auch von ihr kon¬ 
trolliert wurde. Die RASSCO, die auch den größten Teil ihres Aktienkapitals 
durch den Transfer finanziert hatte, errichtete für Einwanderer aus Deutsch¬ 
land die Mittelstandsdörfer Kfar Schmarjahu,SdehWarburg und Beth Jizchak 
sowie die kollektive Siedlung Schawej Zion, in die eine ganze Gruppe von 
Landwirten und Viehhändlern aus dem württembergischen Dorf Rexingen 
umgesiedelt wurde. Auch die von der „Nahariya Small-Holdings Ltd. ge¬ 
gründete Kolonie Naharia konnte durch den Transfer gefördert werden. 

Die Haavara leistete durch den Siedlungstransfer einen konstruktiven Bei¬ 
trag zur Schaffung einer neuen, erfolgreichen Siedlungsform, die es Einwande¬ 
rern mittleren Alters aus städtischen Berufen - Akademikern, Kaufleuten 














60 


Werner Feilchenfeld 


und Beamten - ermöglichte, sich in Palästina als Landwirte eine neue Existenz 
aufzubauen. Die kooperative Organisation der von deutschen Juden gegrün¬ 
deten Mittelstandsdörfer und die von den Siedlungsinstanzen gewährte fach¬ 
liche Instruktion trugen viel zum Gelingen dieser neuartigen Siedlungsform 
bei. - Dr. Ludwig Pinner, ein aus Deutschland stammender Agronom, Mit¬ 
glied des Board der Haavara und der RASSCO, konnte seine langjährige 
Erfahrung im Lande diesem kolonisatorischen Sondergebiet mit Erfolg zur 
Verfügung stellen. 

d) Die palästinensische Zitrusausfuhr nach Deutschland im Rahmen der 
Haavara 

Zitrusfrüchte (Orangen, Grapefruit und Zitronen) waren seit langer Zeit 
das Hauptausfuhrprodukt der palästinensischen Landwirtschaft und die wich¬ 
tigste Exportware überhaupt. Dieser Export war von besonderer Bedeutung 
angesichts der dauernd negativen Handelsbilanz des Landes, in dem die Ein¬ 
fuhr immer ein Mehrfaches der Ausfuhr betrug und der Einfuhrbedarf wegen 
der verstärkten jüdischen Einwanderung noch mehr anstieg. Die überwiegende 
Bedeutung der palästinensischen Zitrusausfuhr für die Gesamtausfuhr Palä¬ 
stinas geht aus folgenden Zahlen der Exportstatistik der Palästina-Regierung 
hervor: 


Jahr 

Gesamtausfuhrwert 
(in tausend Pfund) 

Zitrusausfuhrwert 
(in tausend Pfund) 

1933 

LP 2,911 

LP 2,090 

1934 

LP 3,502 

LP 2,673 

1935 

LP 4,516 

LP 3,551 

1936 

LP 4,268 

LP 2,854 

1937 

LP 6,456 

LP 4,327 


Der Zitrusanbau befand sich seit der Mitte der zwanziger Jahre in rascher 
Ausdehnung und erreichte 1936 seinen Höhepunkt mit einer Anbaufläche von 
30 000 ha, wovon die Hälfte in jüdischem Besitz und die andere Hälfte im 
wesentlichen Arabern und zu einem kleinen Teil auch den deutschen Temp¬ 
ler-Kolonisten gehörte. Zu Beginn der Transfertätigkeit der Haavara führte 
Deutschland noch Zitrusfrüchte aus Palästina gegen Devisenzahlung ein, ging 
aber 1934 zu Verrechnungsabkommen mit Warenlieferungen über, wodurch 
der deutsche Zitrusimport aus Palästina sich von 1,2 Millionen Kisten in der 
Saison 1933/34 auf 518 000 Kisten in der Saison 1934/35 reduzierte. Durch 
die Weigerung der deutschen Regierung, Zitrusfrüchte aus Palästina anders 
als im Verrechnungsverkehr zu bezahlen, entstand für die Haavara die Ge¬ 
fahr, daß die Zitrusexporteure in Deutschland gekaufte Waren auf dem 
freien Markt in Palästina weiter verkaufen und damit das für die Haavara 

























Die Durchführung des Haavara-Transfers 


61 


lebenswichtige Handelsmonopol gefährden würden; sie mußte sich daher in 
das Zitrusgeschäft einschalten. 

Die Verhandlungen in Deutschland fanden unter Führung der Haavara 
als Treuhänder der drei Gruppen von Exporteuren während der Ausfuhr¬ 
saisons 1935/36 und 1936/37 statt, in denen 286 000 bzw. 261 000 Kisten von 
Palästina nach Deutschland exportiert wurden. Die Zitrusexporteure hatten 
einen Eigenbedarf für Waren wie Kistenholz, Einwickelpapier, Transport¬ 
mittel, Pumpen, Röhren und Baumaterial für ihre Lagerhäuser. Sie bekamen 
trotzdem den größeren Teil des Preises durch die Haavara in bar ausgezahlt, 
da sie z. B. Orangenkistenholz aus Rumänien billiger beziehen konnten. Die 
Zusammenarbeit der Haavara mit den jüdischen, arabischen und deutschen 
Zitruspflanzern Palästinas wurde während dieser Zeit reibungslos durch¬ 
geführt, bis sie, nach Bekanntgabe des Teilungsplanes der von England ein¬ 
gesetzten Peel-Commission für Palästina, von arabischer und deutscher Seite 
eingestellt wurde. 

e) Die Bezahlung einzelner Auslandsgeschäfte aus Übersee mit Haavara-Mark 
und die Versuche zusätzlicher Großprojekte im Ausland 

Zu den erfolgreichen Versuchen der Haavara, zusätzliche Auswanderer¬ 
mark für Zahlungen aus anderen Ländern zu verwenden, gehören einzelne 
Auslandsgeschäfte, bei denen eine Sondergenehmigung der deutschen Regie¬ 
rung für die Bezahlung von deutschen Waren oder Leistungen in Haavara- 
Mark gestattet wurde. Solche Geschäfte waren beispielsweise ein Kohlen¬ 
ankauf des südamerikanischen Hochschild-Konzerns, Erzveredlungsaufträge 
der belgischen Sudamin S. A. und Vereinbarungen, auf Grund deren Frachten 
auf deutschen Schiffen in Haavara-Mark gezahlt wurden. Diese Geschäfte 
wurden über die Tochtergesellschaft der Haavara, die „Intria“, London, ab¬ 
gewickelt. Mit solchen Einzeltransaktionen konnten über eineinhalb Millio¬ 
nen RM zusätzlich transferiert werden mit einem Transfererlös von mehr als 
LP 61 000.-. 

f) Der Finanztransfer durch Clearing ausländischer Unterstützungszahlungen 
nach Deutschland 

Schon 1935 erhielt die Haavara die Genehmigung, die Zahlung von Unter¬ 
stützungen durchzuführen, die in Palästina ansässige Juden jüdischen Ange¬ 
hörigen oder Freunden in Deutschland zuwenden wollten. Die Unterstüt¬ 
zungsspender zahlten den Gegenwert in palästinensischer Währung zu einem 
verbilligten Kurs bei der Haavara zugunsten des Unterstützten in Deutsch¬ 
land ein. Der Unterstützungsempfänger erhielt dann den Gegenwert in 
Reichsmark durch die Paltreu in Berlin. Dieses System eines privaten Clearings 
von Unterstützungszahlungen nach Deutschland wurde von 1937 an zu einer 





62 


Werner Feilchenfeld 


weltweiten Organisation ausgebaut, deren Aufgabe es war, die ausländischen 
Unterstützungszahlungen an Juden in Deutschland aus allen Ländern durch¬ 
zuführen und die anfallenden Devisen für den jüdischen Kapitaltransfer nach 
Palästina zu verwenden. Diese Erweiterung bedurfte der Zustimmung des 
„Stillhalte-Komitees in London, das die Gläubiger kurzfristiger deutscher 
Auslandsschulden im Jahre 1931 gegründet hatten; die besondere Aufgabe 
dieses Komitees war, grundsätzlich sicherzustellen, daß für bestimmte Zah¬ 
lungen nach Deutschland die den Auslandsgläubigern zugute kommenden 
„Registermark“ verwendet würden 13 . 

Im Frühjahr 1937 gelang es Dr. S. Moses, Mitglied des Board der Haavara, 
in London für die Haavara die Genehmigung aller Stillhaltegläubiger zu be¬ 
kommen, wonach in Zukunft jüdische Spender im Ausland (Privatpersonen 
oder Institutionen) das Recht hatten, zum Zwecke der Überweisung von 
Spenden und Unterstützungen Haavara-Mark statt Registermark zu kaufen. 
Die Stillhalteverhandlungen in London wurden von Vertretern der Banken 
der betreffenden Gläubigerländer geführt. Vorsitzender des Stillhalte-Komi¬ 
tees („Joint Committee of Representatives of Foreign Bankers’ Committees“, 
London) war damals Mr. F. C. Tiarks von der Bank J. Henry Schröder, Lon¬ 
don. Für die amerikanischen Banken verhandelte der Vertreter der Chase 
Bank, New York; beide Bankiers konnten aus humanitären Gründen für den 
Vorschlag von Dr. Moses gewonnen werden, und die Vertreter der übrigen 
Länder schlossen sich ihnen an. Es war dies das einzige Mal, daß es einer 
nichtstaatlichen Organisation, wie der Haavara, gelang, in einem solchen 
internationalen Schuldentilgungs-Abkommen eine Abzweigung für andere 
Zwecke zu erreichen. Im vorliegenden Falle bedeutete dies eine Erhöhung des 
Transferpotentials durch einen Finanztransfer in viele Länder der Welt 
durch Verbrauch von Auswanderer-Mark ohne Kauf deutscher Waren. Auch 
in den späteren jährlichen internationalen Bankkonferenzen, in denen das 
Stillhalteabkommen mit Deutschland jeweils verlängert wurde, blieb dieses 
Privileg der Haavara unangetastet. Ein bedeutender zusätzlicher Transfer¬ 
betrag wurde auf diese Weise für den Palästinatransfer nutzbar gemacht. Die¬ 
ser Finanztransfer überdauerte sogar eine Zeitlang den Kriegsausbruch: die 
Unterstützungsmarkkäufe in Amerika wurden fortgesetzt, bis die Vereinigten 
Staaten in den Krieg eintraten. 

Die deutsche Regierung genehmigte diese Erweiterung der Transfererlaub¬ 
nis am 1. März 1937, und zwar für folgende Zwecke: Unterstützungszahlun¬ 
gen an Juden in Deutschland bis RM 200,— monatlich pro Person; Geld¬ 
geschenke an Juden zu Einsegnung, Hochzeit und ähnlichen Gelegenheiten, 
einmalig bis RM 200,-; Kosten der Grabpflege in Deutschland; und Spenden 
ausländischer Spender an jüdische Wohlfahrtsorganisationen in unbeschränk¬ 
tem Umfang. 

13 Siehe Kapitel I, 3: Die Bedeutung der deutschen Wirtschafts- und Finanzlage 
für das Zustandekommen und die Durchführung eines Transfers. 






















Die Durchführung des Haavara-Transfers 


63 


Die Haavara gründete eine internationale Organisation zum Verkauf der 
Unterstützungsmark. In Palästina arbeitete die Haavara als zentrale Ver¬ 
triebsstelle für die Unterstützungsmark. Für Europa und andere Länder war 
die Zentrale eine neugegründete Tochtergesellschaft der Haavara in London: 
die „Intria“ International Trade and Investment Agency, Ltd. Sie stand bis 
Mitte 1938 unter der Leitung von Dr. Fritz Mann; danach übernahm die Ge¬ 
schäftsleitung Dolf Michaelis. Die Aufgabe der Intria war es, alle solche 
Zahlungen zu vereinnahmen und in Beratung mit ihrem Repräsentanten in 
den Hauptstädten des europäischen Kontinents für die Propagierung des Ver¬ 
kaufs der Haavara-Unterstützungsmark zu sorgen. Der Vertrieb der Unter¬ 
stützungsmark der Haavara begann in Europa im Juni und in USA im 
August 1937. In allen Teilen der Welt wurden von den Banken, Reisebüros 
usw. für die Verwendung von Unterstützungszahlungen nach Deutschland 
stets Haavara-Mark statt Registermark angeboten und verkauft, wenn die 
Spender und besonders die Beschenkten Juden oder jüdische Organisationen 
waren. 

Zusätzlich zu den Einzelüberweisungen war die Intria auch Clearing-Stelle 
für alle Unterstützungszahlungen nach Deutschland durch die großen jüdi¬ 
schen internationalen Wohlfahrtsorganisationen wie das „American Joint 
Distribution Committee“ und der „Council for German Jewry“ in London. 
In den Jahren 1937/38 hat die Haavara etwa eine halbe Million Reichsmark 
für diese Kollektivzahlungen transferieren können. Für den Erwerb solcher 
Auslandszahlungen für Unterstützung an Verwandte und Freunde in Deutsch¬ 
land erhielt die Intria die Zustimmung der führenden jüdischen Auslands¬ 
organisationen 14 . 

Der Vertrieb der Unterstützungsmark für Einzelspenden nach Deutschland 
erfolgte, wie bisher, in Palästina direkt durch die Haavara und in England 
durch die Intria unter Mitwirkung verschiedener englischer Banken. Im son¬ 
stigen Ausland bestand eine Zusammenarbeit der Intria mit führenden Ban¬ 
ken in Nordamerika, Belgien, Frankreich, Holland und der Schweiz 15 . Nach 
der Einbeziehung von Österreich in das Deutsche Reich wurden, ab l.Mai 
1938, auch Unterstützungen dorthin zugelassen. In den drei Hauptabsatz- 


14 The American Jewish Congress, The American Joint Distribution Committee, 
The National Coordinating Committee for Aid to Refugees and Emigrants from 
Germany, The National Council of Jewish Women und The Zionist Organisation of 
America. 

15 Für USA und den amerikanischen Kontinent mit der American Express Co., 
New York und allen Filialen; für Belgien mit der Banque Lambert, Brüssel; für 
Frankreich mit Rothschild Freres, Paris; für Holland mit der Bank Warburg, Amster¬ 
dam; für die Schweiz mit der Schweizerischen Bankgesellschaft, Zürich, und der 
Basler Handelsbank, Basel. 













64 


Werner Feilchenfeld 


gebieten der Unterstützungsmark betrugen die Verkäufe in den zwei Jahren 
vom August 1937 bis Kriegsausbruch: 

in Palästina RM 318 655,- = einem Erlös von LP 13 257,- 

in Europa RM 2316611,-= einem Erlös von LP 90 248- 

in USA RM 1 831 600,- = einem Erlös von LP 69 310,-. 

Mit diesem Verkaufsapparat wurden bis Kriegsausbruch insgesamt 71000 
Einzelspenden an Juden in Deutschland erfaßt für fast 4,5 Millionen RM 
und mit einem zusätzlichen Transfererlös von fast LP 173 000,-. Das durch¬ 
schnittliche Transferdisagio (54-55%) war hoch, aber zwangsweise bedingt 
durch den immer mehr absinkenden Auslandskurs der deutschen „Register- 
rrfark“ an den ausländischen Börsen, mit der die „Haavara-Unterstützungs- 
mark“ konkurrieren mußte. 

Die weltweite Aufgabe des Verkaufs der Haavara-Mark für solche Zwecke 
konnte in der kurzen Zeit bis zum Kriegsausbruch nicht mehr zu voller Ent¬ 
faltung gebracht werden. Für die Haavara und für ihre auf Auswanderung 
wartenden Transferenten in Deutschland war es aber ein besonderer Vorteil, 
daß dieser Finanztransfer in einem Transferabschnitt hinzukam, in dem die 
Warengenehmigungen der Haavara immer mehr eingeschränkt wurden und 
ihr Warentransfer stark absank. 

Der Ausbruch des Krieges im September 1939 bedeutete das Ende jeder 
Warentransferaktion der Haavara mit Deutschland. Es wurde daher be¬ 
schlossen, besondere Anstrengungen zu machen, um die Tätigkeit der Intria, 
London, für den Verkauf von Unterstützungsmark aus allen Ländern fort¬ 
zusetzen, die sich nicht mit Deutschland im Kriegszustand befanden. Dies war 
die Schweiz, ferner, bis zur deutschen Invasion im Jahre 1940, Holland und 
Belgien, sowie - von besonderer Bedeutung - Amerika bis zu seinem Ein¬ 
tritt in den Krieg im Dezember 1941. Jede Transaktion der Intria mit 
Deutschland wurde mit Kriegsbeginn unter die Kontrolle des englischen 
„Board of Trade“ in London und dessen „Trading with the Enemy Branch“ 
gestellt. Auf Grund der von der Intria geführten Verhandlungen mit dieser 
Regierungsstelle bestätigten die „Trading with the Enemy < Branch“, die 
Treasury und der Board of Trade die Fortsetzung der Tätigkeit der Intria, 
mit der Bedingung, daß alle anfallenden ausländischen Devisen an die Bank 
of England abzuliefern waren. Die Unterstützungszahlungen wurden weiter¬ 
hin aus den bei den deutschen Banken bestehenden Konten der Haavara auf 
Grund von Zahlungsanweisungen geleistet, die die Intria über neutrale Län¬ 
der gab. Der Gegenwert wurde in Pfunden nach Palästina überwiesen. 

Im Dezember 1940 wurde das Intria Office durch einen der großen deut¬ 
schen Fliegerangriffe zerstört. Ein kleiner Teil der Akten blieb erhalten; sie 
wurden nach Henley on Thames überführt, von wo aus die letzten Trans¬ 
aktionen abgewickelt wurden. 















Die Durchführung des Haavara-Tr ans fers 


65 


B. DER TRANSFERSCHLÜSSEL, DAS BETRIEBSKAPITAL 
UND DIE TRANSFERKOSTEN DER HAAVARA 


8. Der Transfer Schlüssel 

Um allen am Transferaufkommen beteiligten Personen, Gesellschaften und 
Institutionen gerecht zu werden, bestimmte ein „Transferschlüssel“ den An¬ 
teil der betreffenden Gruppe am Transfererlös der Haavara in Bardevisen 
oder in palästinensischen Wertpapieren. Die Abstimmung dieser verschiede¬ 
nen Interessen von individuellen Einwanderern, von aus sozialen Gründen 
bevorzugten Transferenten, landwirtschaftlichen Siedlern, zionistischen Fonds, 
Wohlfahrtsinstitutionen und Wirtschaftsunternehmungen Palästinas war eine 
der Hauptaufgaben des Board of Directors der Haavara. In großen Zügen 
mußte der Transferschlüssel auch von Zeit zu Zeit mit dem deutschen Reichs¬ 
wirtschaftsministerium abgestimmt und von ihm genehmigt werden. Ferner 
mußte die Jewish Agency, als Aufsichtsbehörde des Haavara-Systems in Palä¬ 
stina, dem Schlüssel zustimmen. Nach dem Transferschlüssel wurden 75 °/o des 
Bartransferaufkommens für die einzelnen Auswanderer nach der Reihenfolge 
ihrer Vorzeigegeld-Anmeldung reserviert. Die restlichen 25% kamen sowohl 
den jüdischen Institutionen zugute, durch deren Arbeit die Einordnung der 
Einwanderer aus Deutschland erleichtert wurde, sowie den aus sozialen Grün¬ 
den bevorzugten Transferkategorien. In die 25% teilten sich insbesondere: 

der Spendentransfer für die nationalen Fonds, Keren Hajessod und Keren Kaje- 
meth, die für die Einwanderung und Einordnung der Unbemittelten sorgten; 
die Jugendalija, welche der Auswanderung und Rettung der Jugendlichen diente; 
der Transfer von Schulgeldern und Lebensunterhalt für Schüler und Studenten; 
der Transfer von Pensionen der auf Rentnerzertifikat eingewanderten Beamten 
und Rentner; 

der Transfer für besondere Dringlichkeitsfälle, z. B. für Siedler in landwirtschaft¬ 
lichen Siedlungen; 

der Härtefonds der Haavara für Notfälle von verarmten eingewanderten Trans¬ 
ferenten. 

Im Bartransfer für das Einwanderungszertifikat wurden die 75% des 
Transfererlöses bis Ende 1938 nach der Nummernfolge der Registrierung und 
Einzahlung bei der Paltreu-Berlin abgerufen. Zu jener Zeit hat das Reichs¬ 
wirtschaftsministerium, wie früher geschildert, unter dem Druck der Araber und 
der deutschen Palästina-Kolonisten den Kreis der zum Transfer zugelassenen 
Waren in einer Positiv-Liste zusammengefaßt und auf diese Weise stark ein¬ 
geschränkt. Mit Einführung dieser Positiv-Liste, welche die Haavara der wich¬ 
tigsten Einfuhrwaren beraubte, sank der Warentransferumsatz naturgemäß 
stark ab. Die Aufgabe war nun, die dann noch zur Verfügung stehenden 
Devisen einer möglichst großen Zahl von Personen zukommen zu lassen. Des- 


5 LBI 26 Haavara-Transfer 












66 


Werner Feilchenfeld 


halb wurde der Bartransfer-Erlös nicht mehr zur Beschaffung neuer Einwan¬ 
derungszertifikate mit je LP 1000,- verwandt; vielmehr wurde das Devisen¬ 
aufkommen gemäß Dringlichkeitsbescheinigungen des Berliner Palästina- 
Amts verteilt. Ein Teil der Empfänger dieser Transferbeträge waren bereits 
in Palästina eingewanderte Personen, welche sich die Einwanderungsmög¬ 
lichkeit selbst verschafft, aber noch keinen Haavara-Vermögenstransfer er¬ 
halten hatten. Der Eingewanderte konnte andernfalls seine in Deutschland 
blockierten Bankguthaben nur als Auswanderersperrmark verkaufen, mit 
einem Disagio, das zum Schluß, bei Kriegsausbruch, bis zu 96% stieg. Die 
zugeteilten Beträge schwankten je nach Familiengröße zwischen LP 125,- und 
LP 400,- und wurden teils in bar und teils in Transfer-Wertpapieren aus¬ 
gezahlt. Insgesamt sind auf diese Weise allein in den Jahren 1938/39 über 
das Vorzeigegeld-Kontingent der Haavara für über 1100 Familien von Ein¬ 
wanderern nach Palästina mehr als LP 283 000,- in Form dieser kleineren 
Zuteilungen transferiert worden. 


9. Das Problem des Haavara-Betriebskapitals 

Die beiden zur Durchführung des Flaavara-Transfers gegründeten Treu¬ 
handgesellschaften, Paltreu und Haavara, hatten bei ihrer Gründung nur 
ein kleines Gesellschaftskapital von RM 20 000,- bzw. LP 100,- erhalten. 
Die Arbeit der Haavara, insbesondere die Bezahlung der deutschen Export¬ 
lieferungen nach Palästina oder nach anderen Nahost-Ländern sowie die 
Unterstützungszahlungen erforderten jedoch laufend Betriebsmittel von meh¬ 
reren Millionen Reichsmark. In der Zeit bis 1938 lieferten die Kapitaleinzah¬ 
lungen der Auswanderungskandidaten das notwendige Betriebskapital. Sie 
mußten zwecks Erlangung des Vorzeigegeldes einen Teil des Transfergegen¬ 
wertes in Reichsmark auf den Bankkonten der Haavara deponieren. Außer¬ 
dem konnten Transferenten weitere Beträge für spätere Transfermöglichkeiten 
einzahlen; dies wurde von den Auswanderungsinteressenten gern getan, da 
sie ein Kündigungsrecht für das Guthaben hatten und andererseits das Geld 
auf dem Ausländerkonto der palästinensischen Gesellschaft Haavara Ltd. vor 
Zugriff durch die Behörden des nationalsozialistischen Regimes besser ge¬ 
schützt war, als auf dem eigenen Bankkonto. So konnte die Haavara ohne 
eigenes Kapital stets über ein rotierendes Betriebskapital von Millionen 
Reichsmark verfügen. Dieses System ermöglichte einen „Vortransfer“ von 
eingezahlten Auswanderungsguthaben durchzuführen und mit den angesam¬ 
melten Devisen von Zeit zu Zeit die der Reihenfolge nach berechtigten Ein¬ 
zahler zur Auswanderung zu bringen. 

Mit der zunehmenden Verfolgung der Juden in Deutschland, die auch Be¬ 
schlagnahmen oder Blockierungen der Bankguthaben und Wertpapiere von 





























Die Durchführung des Haavara-Transfers 


67 


jüdischen Auswanderungsinteressenten — zwecks „Sicherstellung“ von Sonder¬ 
steuern der Auswanderer oder unter anderen Vorwänden — mit sich brachte, 
begann der Strom der Einzahlungen geringer zu werden. Für die Haavara 
entstand dadurch das Problem einer Betriebsmittelknappheit, und zwar gerade 
Ende 1937, zu einer Zeit, in der die Haavara den größten Transferumsatz 
erreichte. Die Zuspitzung der Lage gipfelte in den Synagogenbränden und 
Plünderungen in der „Kristallnacht“ vom 9. November 1938 und der Ver¬ 
bringung von Tausenden von Juden in Konzentrationsläger. Die Regierung 
erließ im November 1938 eine Reihe von Gesetzen, in denen den Juden u. a. 
als Strafe für das Attentat auf den deutschen Botschaftsrat vom Rath in Paris 
eine Sühneabgabe (Judenvermögensabgabe) von einer Milliarde Reichsmark 
auferlegt, jüdische Bankguthaben blockiert und andere wirtschaftliche Zwangs¬ 
maßnahmen verfügt wurden. Oft mußten vorgemerkte Auswanderungskandi¬ 
daten Gelder bei der Paltreu in Berlin kündigen, um diese Judenvermögerls¬ 
abgabe zahlen zu können. 

Diese neue Situation stellte die Haavara vor die Tatsache, daß zwar die 
Anforderung von Markzahlungen für Exportgüter und den Finanztransfer 
weiterlief, die Auswanderer aber oft über keine liquiden Mittel mehr 
zur Einzahlung des Reichsmark-Transfergegenwertes bei der Haavara ver¬ 
fügten. Die Reichsmark-Einzahlungen, die noch im Jahre 1938 im Durch¬ 
schnitt fast 1 Million monatlich betrugen, fielen im ersten Quartal 1939 im 
Durchschnitt auf ein Zehntel dieses Betrages. Das Reichswirtschaftsministe¬ 
rium und die Reichsbank wagten in jener Zeit nicht, für eine Ausnahmestel¬ 
lung der Transferenten hinsichtlich der Blockierung jüdischer Guthaben ein¬ 
zutreten. Sie rieten der Geschäftsführung der Haavara, sich anderwärts zu 
helfen. In dieser Lage gelang es der Haavara in England von der Anglo- 
Foreign Securities Ltd., einer Tochtergesellschaft der Bank Hambros, Lon¬ 
don, einen Kredit von 2 Millionen Reichsmark zu erhalten - freilich in 
einer Form, die die Haavara mit einem nicht unerheblichen Kursrisiko be¬ 
lastete. Auf diese Weise hat die Haavara jene kritische Periode der wirtschaft¬ 
lichen Zwangsmaßnahmen gegen die Juden in Deutschland in den Jahren 
1938/39 ohne Einstellung der noch vorhandenen Transfermöglichkeiten über¬ 
winden können. 

Anfang Juli 1939, als der Kreditvertrag noch gültig war und es schon Ge¬ 
rüchte über einen Kriegsausbruch gab, hatte der Verfasser Gelegenheit, in 
Paris den Präsidenten der Zionistischen Organisation Dr. Chaim Weizmann 
zu sprechen. Er legte ihm die Lage der Haavara und insbesondere der auf 
Auswanderung wartenden deutschen Juden dar und fragte ihn: „Gibt es 
Krieg und wann?“ Die Antwort von Dr. Weizmann war von größter Klar¬ 
heit und Bestimmtheit: „Alle maßgebenden Politiker in London und Paris 
erklären, Hitler wird in diesem Jahr den Krieg beginnen, ungefähr gegen 
Ende August. Bringen Sie die auswanderungsbereiten Menschen schnellstens 
aus Deutschland heraus.“ Der Rat von Weizmann wurde befolgt, und einige 









68 


Werner Feilchenfeld 


hundert auswanderungsbereite Juden konnten sich noch kurz vor Kriegs¬ 
ausbruch nach Palästina retten. Die Abdeckung des ausstehenden Kreditbetra¬ 
ges konnte rechtzeitig mit einem kleinen Kursverlust durchgeführt werden. 
Anfang September 1939 brach der Krieg aus, und die der Auswanderung die¬ 
nende Waren-Transfertätigkeit der Haavara fand ihr Ende. 


10. Die Kosten des Vermögenstransfers 

Für den Auswanderer war es überaus wichtig, mehrere Monate vor seinem 
Abruf zur Auswanderung zu wissen, wieviel Reichsmark die Haavara ihm 
im Zeitpunkt des Abrufs einschließlich der Transferkosten berechnen würde. 
Die Haavara mußte daher nach einem System der Umlegung der Transfer¬ 
kosten (Preisausgleich-Bonifikation und Verwaltungskosten) arbeiten, das 
möglichst lange einen gleichbleibenden Transferkostensatz gestattete. Dies ist, 
wie Tafel 4 auf Seite 69 zeigt, in den sechs Jahren der Geschäftstätigkeit 
der Haavara bis zum Kriegsausbruch gelungen. Für den eigentlichen Apparat 
der Haavara waren in den Kosten netto nur 2,25 % enthalten, während der 
gesamte Rest auf den Preisausgleich der deutschen Ware oder das Disagio der 
Unterstützungsmark entfiel. Die Hauptkategorie der Transferenten - die 
Einwanderer auf Kapitalistenzertifikat Al- konnte ihre LP 1000,- Vor- 
zeigegeld in den verschiedenen Transferabschnitten bis Kriegsausbruch wie 
folgt transferieren: 

LP 1000,- ... Bis 31. 3. 1936 ... über Reichsbankzuteilung für RM 12 500,- 

bis RM 15 000,- 

Vom 1. 4. 1936 bis 16. 2. 1937 (10 Monate) über Haavara RM 17 500,- 

vom 17. 2. 1937 bis 27. 5. 1938 (15 Monate) über Haavara RM 20 000,- 

vom 28. 5. 1938 bis 30. 9. 1938 ( 4 Monate) über Haavara RM 26 660,- 

vom 1. 10. 1938 bis 2.9. 1939 (11 Monate) über Haavara RM 40 000,-. 

Wieviel günstiger der Vermögenstransfer und die Auswanderung nach 
Palästina über die Haavara im Vergleich zu der Auswanderung nach anderen 
Ländern war, zeigt der Vergleich der Transfererlöse in Tafel 4. Noch in der 
letzten Auszahlungsperiode vor Kriegsausbruch erhielt der Vorzeigegeld- 
Empfänger einen Erlös von 32% des offiziellen Kurses der deutschen Reichs¬ 
mark, während Auswanderer nach anderen Ländern nach dem Diktat der 
Deutschen Golddiskontbank 96% verloren und nur 4% in Devisen aus¬ 
gezahlt erhielten. Im Gegensatz zu den sich dauernd ändernden und meistens 
weiter absinkenden Sperrmarkkursen konnte die Haavara in den vier wichtig¬ 
sten Auswanderungsabschnitten eine verhältnismäßig lange Zeit den Transfer¬ 
kostensatz stabil halten. 

Die Haavara betrachtete es als ihre Verpflichtung, die Kosten der Umwand¬ 
lung der blockierten jüdischen Reichsmark in Deutschland in freie palästinen¬ 
sische Währung nach einem sozial ausgewogenen System zu verteilen. Das 






















Die Durchführung des Haavara-Transfers 


69 


Tafel 4 

Erlös des Auswanderers im Prozentsatz des zum Transfer 
eingezahlten Reichsmarkbetrages 

Vergleich des Prozentsatzes, den der Auswanderer für seine Reichsmarkeinzahlung 
von 1933 bis zum 2. 9. 1939 erhielt: 

(a) für den Fall der Auswanderung nach Palästina (LP 1000,- Vorzeigegeld) 

(b) für den Fall der Auswanderung in andere Länder (durch Verkauf 
von Auswanderer-Sperrmark). 



Direkte Vorzeigegeld-Zuteilung für Palästina durch die Reichsbank 
Vorzeigegeld-Zuteilung durch Haavara 
Verkaufserlös für Auswanderer-Sperrmark 


für die Einwanderung benötigte Vorzeigegeld des Einwanderers im Betrage 
von je LP 1000,- wurde mit geringeren Kosten belastet als ein weiterer 
Transfer zusätzlichen Vermögens (über RM 10 000,- hinaus). Die berechtigten 
Interessen kapitalschwacher Personen (wie Schüler und Rentner) und die 
Förderung der landwirtschaftlichen Ansiedlung wurden mit niedrigeren Ko¬ 
stensätzen belastet. Der geringste Transferkostensatz war 15-22% (z. B. für 
Pensionäre) und der höchste 35-50 % (z. B. für Touristik). 

Der größte und die Höhe der Transferkosten bestimmende Teil der Kosten 
war die Preisausgleich-Bonifikation. Die Transferkosten stiegen von Jahr zu 
Jahr. Die sich für den Haavara-Export dauernd verschlechternde Warenliste 
schloß immer mehr Waren und Warengruppen aus, in denen Deutschland auf 
dem Weltmarkt konkurrenzfähig war, und beließ solche, in denen die Aus¬ 
fuhr schwer oder unmöglich blieb. Auch im Finanztransfer (besonders für die 
Unterstützungsmark) wurde durch den schlechter werdenden Auslandskurs 
der deutschen Mark der Transferaufwand immer größer und der Erlös immer 
kleiner. Im Jahre 1939 betrug der Transferkostensatz für einzelne Gro߬ 
abschlüsse nach Ländern außerhalb Palästinas sogar 68 %. 








































70 


Werner Feilchenfeld 


Die Entwicklung der Transferkosten als Ausgleich der Schwankungen in 
den Preisausgleich-Bonifikationen und in den Markkursen - in allen Transfer¬ 
gruppen - zeigt folgende Aufstellung für die Jahre 1934 bis 1939: 


Transferkosten (ausschließlich Verwaltungsgebühren) in allen Transfergruppen 

1934-1939 


Transfer-Art 



Transfer-Jahr 





Im Jahresdurchschnittsprozentsatz 



1934 

1935 

1936 

1937 

1938 

1939 

Warentransfer nach 
Palästina 

6 

11,92 

21,64 

38,31 

39,64 

53,40 

Warentransfer nach 
Nahost-Ländern 

_ 

30 

36,62 

47,33 

48,06 

61,10 

Warentransfer nach 
anderen Ländern 
(bei einzelnen 
Großabschlüssen) 



46,44 

48,67 

56,63 

68,04 

Finanztransfer 
aller Art 

- 

- 

29,93 

47,79 

54,76 

58,00 


Die eigentlichen Verwaltungskosten des gesamten internationalen Transfer- 
apparates der Haavara in Palästina und im Ausland — mit der Notwendig¬ 
keit, Tausende von Konten zu führen — waren durchschnittlich 4°/o und er¬ 
mäßigten sich durch Transfergebühreinnahmen, die die Haavara für ihre 
Mitwirkung im Eigen-, Bau-, Emissions- und Zitrustransfer erhielt, auf tat¬ 
sächlich nur 2,25 %. 

Noch im letzten Transferjahr stand demgemäß ein Kostensatz von 53,4% 
bis 68,04% einem Verlust von 95% im Fall des Sperrmarkverkaufs gegen¬ 
über. 


C. DIE ABWICKLUNG DES HAAVARA-TRANSFERS 
NACH KRIEGSAUSBRUCH 


11. Die Liquidation des Haavara-Transfers in Deutschland 

Der Ausbruch des zweiten Weltkrieges im September 1939 verursachte den 
Abbruch aller Beziehungen zwischen Palästina, einem englischen Mandats¬ 
gebiet, und Deutschland und damit auch das Aufhören jeglichen Waren- und 
Zahlungsverkehrs zwischen beiden Ländern. Bei den deutschen Behörden be¬ 
stand nach Kriegsausbruch zunächst die Neigung, den Haavara-Transfer fort- 

































Die Durchführung des Haavara-Transfers 


71 


zusetzen, so gut es der Kriegszustand erlauben würde. Die nachstehenden 
Einzelheiten für die Zeit vom Kriegsausbruch bis März 1940 sind im wesent¬ 
lichen einem Bericht entnommen, den der letzte Geschäftsführer der Pal treu, 
Max Pinn, am 27. Mai 1940 der Haavara gab. 

Die deutschen Behörden standen offensichtlich zunächst auf dem Stand¬ 
punkt, daß das dem Völkerbund unterstehende Mandatsland Palästina nicht 
im Krieg mit Deutschland sein könne. Entsprechend wurde die Haavara vom 
Reichs Wirtschaftsministerium in einem Kabel über die Vertretung der Intria 
in New York im September 1939 ersucht, die Paltreu über New York zur 
weiteren Auszahlung der Rechnungen deutscher Exporteure zu ermächtigen 
(eine Aufforderung, der die Haavara gemäß der Kriegsgesetzgebung in Palä¬ 
stina nicht nachkommen konnte). Es wurden auch im Reichs Wirtschaftsministe¬ 
rium noch im September 1939 Routine-Genehmigungen für den Transfer an 
die Paltreu in Berlin gegeben. Dann kam im November 1939 innerhalb der 
allgemeinen deutschen Kriegsgesetzgebung das Verbot, Devisen an das feind¬ 
liche Ausland zu zahlen (im Runderlaß Nr. 130/1939 des Reichswirtschafts¬ 
ministeriums). Dies und die Einbeziehung von Palästina in die Kriegsorganisa¬ 
tion des britischen Empire machten die Fortsetzung des Warenverkehrs und 
der Verbindung der Paltreu mit der Haavara unmöglich. Bestehen blieb bis 
1941 der internationale Apparat der Haavara mit der Intria-London für den 
Verkauf von Unterstützungsmark für Spenden an Juden in Deutschland. 

Die Paltreu wurde nach Kriegsausbruch unter Aufsicht der Verwaltung für 
feindliches Eigentum gestellt. Später wurde von dieser Stelle ihre Liquidation 
angeordnet. Der Liquidator arbeitete mit Paltreu-Angestellten in den Büros 
der Gesellschaft, bis diese Räume im Jahre 1943 nach einem Bombardement 
ausbrannten. Von den beiden Bankkonten der Haavara bei den jüdischen 
Banken M. M. Warburg & Co., Hamburg, und A. E. Wassermann, Berlin, hat 
das Warburg-Konto, auf dem 75 °/o der bei Kriegsausbruch verbliebenen Be¬ 
träge eingezahlt waren, als Eigentum feindlicher Ausländer unter deutscher 
Treuhandverwaltung den Krieg überlebt und wurde nicht als jüdisches Eigen¬ 
tum beschlagnahmt. Nach Kriegsausbruch hat die Paltreu bis März 1940 etwa 
RM 250000,-, die von in Deutschland verbliebenen Juden eingezahlt worden 
waren, an diese zurückgezahlt. 

12. Die Liquidation in Palästina 

Nach Kriegsausbruch hatte die Haavara in Tel-Aviv drei Aufgabenge¬ 
biete: 

die Abwicklung der schwebenden Transfergeschäfte in Palästina und an¬ 
deren Teilen der Welt; 

die Auszahlung transferierter Beträge an die Berechtigten; und 

die Auflösung ihres eigenen Verwaltungsapparates. 






72 


Werner Feilchenfeld 


Das Hauptkonto der Haavara war auf Verlangen der deutschen Regie¬ 
rung seinerzeit bei der Bank der Tempelgesellschaft in Jaffa, dem Bank¬ 
institut der deutschen Palästina-Kolonisten, geführt worden. Die Bank, welche 
alle Reichsmark- und Devisenbeträge treuhänderisch für die Haavara erhielt, 
kam sofort nach Kriegsausbruch unter die „Custodianship ofEnemy Property“ 
der Mandatsregierung und wurde durch Gerichtsbeschluß vom 12. September 
1939 liquidiert. Die weitere Bankarbeit in Palästina übernahm die Anglo- 
Palestine Bank in Tel-Aviv. 

Die Liquidation des Verwaltungsapparates der Haavara sollte so schnell 
wie möglich erfolgen, um den letzten Devisenvorrat nicht unnötig für Ver¬ 
waltungsspesen zu verbrauchen. Die Abwicklung der schwebenden Transfer¬ 
verpflichtungen wurde bis zum 31. Mai 1940 durchgeführt. Schwieriger als die 
Abrechnung mit den Importeuren war die Abrechnung mit den Transferen¬ 
ten, deren wirtschaftliche Situation sehr verschieden war. Neben der Haupt¬ 
gruppe der Auftraggeber der Haavara, deren Vorzeigegeld noch zu trans¬ 
ferieren war, waren ganze Gruppen bereits eingewanderter Transferenten auf 
den weiteren Empfang monatlicher Zahlungen oder wenigstens auf eine Über¬ 
gangslosung angewiesen. Dies galt für die Empfänger von Kriegspensionen 
sowie für sonstige Empfänger von Pensionen und Renten, für Schüler und 
Studenten. Andere bereits eingewanderte Transferenten verfügten noch über 
eingezahlte, aber untransferiert gebliebene Reichsmarkguthaben bei der Haa- 
vara-Paltreu. Andererseits hatte die Haavara noch unverteilte Devisen. Es 
gab auch eine Gruppe von Transferenten außerhalb Palästinas, die sich in 
den ersten Transferjahren an dem auf Seite 47 f. beschriebenen Erwerb von 
Vermögensanlagen in Palästina (Sonderkonto II) beteiligt hatten und bei der 
Haavara Sperrdepots besaßen, da sie noch nicht nach Palästina eingewandert 
waren. 

Die Haavara konnte stets die Transferenten in Deutschland zur Auswande¬ 
rung erst abrufen lassen, nachdem die Guthaben in Palästina bereits in palästi¬ 
nensischer Währung vorhanden waren. Bei Kriegsausbruch war daher die 
Haavara im Besitz einer transferierten Summe von insgesamt über LP 116 000,- 
(von denen LP 41 000 aus der rechtzeitigen Kreditabdeckung von Register¬ 
mark in London stammten, die zur Überwindung der Betriebsmittelknappheit 
1938/39 aufgenommen wurden). Dieser Barbetrag transferierter Haavara- 
Mark wurde nun zur Liquidierung der Transferverpflichtungen benutzt. Die 
letzten Vorzeigegeld-Anwärter erhielten einen Transfer zum Umrechnungs¬ 
satz von LP 1,- = RM 42,-. Für sonstige noch vorhandene Transferguthaben 
wurden bereits eingewanderte Transferenten durch ein Angebot der Über¬ 
nahme der Reichsmark zum Satz von LP 1,- = RM 100,- in die Lage ver¬ 
setzt, einen letzten Transferbetrag zu erhalten. Aus diesen im letzten Stadium 
des Transfers entstandenen Markgewinnen der Haavara wurden im Jahre 
1939 Zahlungen an fast 300 Empfänger von Renten, Schulgeld usw. geleistet. 






















Die Durchführung des Haavara-Transfers 


73 


Nach Abwicklung der kommerziellen Aufgaben und nach Durchführung 
der Treuhandaufgaben gegenüber den Transferenten wurde der gesamte 
Transferapparat aufgelöst. Der 31. Dezember 1940 wurde als Schlußtermin 
der Abwicklung des Transfers betrachtet, und durch Rundschreiben vom 
16. Februar 1941 wurde allgemein bekanntgemacht, daß die Tätigkeit der 
Haavara beendet war. Das Trust and Transfer Office „Haavara“ Ltd., Tel- 
Aviv, besteht rechtlich noch heute. Das ganze Archiv der Haavara mit allen 
Transferakten ist geordnet aufbewahrt. Hierdurch war es möglich, daß frü¬ 
here Transferenten die für das Wiedergutmachungsverfahren benötigten Be¬ 
scheinigungen der Haavara über erlittenen „Transferverlust“ erhalten konn¬ 
ten, der, nach § 56 des deutschen Bundesentschädigungsgesetzes, in Höhe von 
DM 2,- für RM 10,- allen denjenigen Transferenten zusteht, deren Transfer¬ 
verlust mehr als 20 % betragen hat. Die Durchführung dieser Aktion, die die 
Prüfung von mehr als tausend Transferakten und die Ausstellung der entspre¬ 
chenden Bescheinigungen umfaßte, ist das Verdienst von Dr. Erwin Gold¬ 
mann, dem früheren Sekretär der Haavara und Leiter der Emissionsabteilung. 


D. DER AUFBAU DES HAAVARA-TRANSFERS 
UND SEIN GESAMTUMFANG 


13. Der Verwaltungsapparat der Haavara 

Das Zentrum der Transfertätigkeit der Haavara für ihre kaufmännischen 
Aufgaben, die Finanztransaktionen und den Verkehr mit den Transferenten 
war im Hauptbüro in Tel-Aviv. Zur Zeit des größten Transferumsatzes hatte 
dieser Verwaltungsapparat bis zu 200 Angestellte, wurde aber mit Absinken 
des Transferumsatzes entsprechend vermindert. Die Leitung der Haavara 
lag zunächst in den Händen der zwei Geschäftsführer, Dr. Robert Weiss (spä¬ 
ter Liwni genannt) und Leo David. Im Jahre 1935 wurde der Verfasser, 
früher Syndikus der Industrie- und Handelskammer zu Berlin, mit der Ober¬ 
leitung als General Manager beauftragt. 

Von besonderer Wichtigkeit für die Arbeit der Haavara waren folgende 
Abteilungen: 

(1) Die „Zentralstelle 1 ', d. h. die kaufmännische Abteilung für den Palästina- 
Warenverkehr; 

(2) die „Nahost-Abteilung" für den Warenverkehr nach den Nahost-Nachbar¬ 
ländern; 

(3) die „ Sondertransfer-Abteilung“ für alle Arten sonstiger Transfermöglich¬ 

keiten, wie Eigen-, Bau-, Emissions-, Siedlungstransfer und Unterstüt¬ 
zungsmark; \ 








74 


Werner Feilcbenfeld 


(4) die „ Rechts - und Transferentenabteilung“ für alle juristischen Fragen und 
besonders für die Auszahlung an alle Transferberechtigten; 

(5) die „Buchhaltung und Kassenabteilung“. 

Das Rückgrat und der überwiegende Teil des Transferaufkommens war 
der Erlös der Waren, die nach Palästina importiert wurden. Entsprechend 
war die „Zentralstelle“ die wichtigste und in ihrer Handhabung auch schwie¬ 
rigste Abteilung der Haavara, die von einem erfahrenen Kaufmann, Her¬ 
mann Schlossberg, geleitet wurde. Sie hatte vor allem die Aufgabe, mit den 
Hunderten von Interessenten die Preisausgleich-Bonifikation und die sonsti¬ 
gen Bedingungen der Bestellungen in Deutschland auszuhandeln, sowie die 
Finanzierung der Großkäufe und alle damit zusammenhängenden Verhand¬ 
lungen durchzuführen. Es war notwendig, den Preisausgleich-Bonifikations¬ 
satz für die Importwaren stets so festzusetzen, daß er für die Transferenten 
tragbar und gleichzeitig hoch genug war, um den deutschen Exportpreis dem 
internationalen Konkurrenzpreis anzugleichen. 

Die vielen Sondertransfer-Vorgänge des Eigen-, Bau-, Emissions- und 
Siedlungstransfers, die nach und nach neben dem Warentransfer entwickelt 
wurden, waren die Aufgabe der Sondertransfer-Abteilung. 


14. Der Gesamttransfer und seine Aufteilung 

Die Haavara-Transfertätigkeit begann iip letzten Quartal 1933 und endete 
praktisch am 3. September 1939 mit Ausnahme des relativ kleinen Nach¬ 
transfers von Unterstützungsmark; die dieser Aufgabe gewidmete Tätigkeit 
der Intria Ltd., London, endete im Jahre 1941. Die eigentliche Haavara- 
Transfertätigkeit dauerte also fast 6 Jahre. 

Der Gesamtbetrag des durch die Haavara und Reichsbank aus Deutsch¬ 
land nach Palästina transferierten jüdischen Vermögens war 139,6 Millionen 
Reichsmark, für die von den Transferberechtigten LP 8,1 Millionen verein¬ 
nahmt wurden. Der sich danach ergebende Durchschnittskurs war also 
RM 17,23 für LP 1,—. Zu dem offiziellen Kurs von RM 12,50 für LP 1,—. 
wären nur 101 Millionen Reichsmark für LP 8,1 Millionen erforderlich ge¬ 
wesen 16 . Das Transferdisagio für die gesamte Summe der nach Palästina trans¬ 
ferierten Auswanderermark betrug also 39 Millionen Reichsmark, was einem 
Transferverlust von 27,5% entspricht. Die oben genannten LP 8,1 Millionen 
enthielten jedoch LP 2,6 Millionen, die die Reichsbank gegen Zahlung von 
33,9 Millionen RM zur Verfügung stellte und die das durchschnittliche Disagio 
der gesamten transferierten Auswanderermark entsprechend verringerten. 


16 Der freie Kurs im Ausland schwankte zunächst zwischen RM 20,- bis RM 25,- 
für £St. 1,— in den ersten Jahren der Transferperiode und verschlechterte sich ent¬ 
sprechend bis zum Kriegsausbruch. 




























Bartransfer Sondertransfer 1 Gesamt-Transfer 

(Warentransfer und Finanztransfer) 


Die Durchführung des Haavara-Transfers 


75 


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1 Der Sondertransfer umfaßt: Eigen-, Bau-, Emissions- und Siedlungstransfer. 

2 Der LP-Gegenwert des Sondertransfers ist geschätzt. 














76 


Werner Feilcbenfeld 


Die eigentliche Transferleistung der Haavara war also, daß LP 5,5 Mil¬ 
lionen für 106 Millionen Haavara-Mark erzielt wurden, was einem Durch¬ 
schnittskurs von RM 19,28 für LP 1.— entspricht und einen Transferverlust 
von 35 % gegenüber dem offiziellen Kurs der RM bedeutet. 

In dem im Anhang erwähnten Transfersystem der „Altreu" für die Mit¬ 
nahme kleinerer Beträge durch jüdische Auswanderer nach anderen Ländern 
war der durchschnittliche Transferverlust 51 %. Sonst blieb den auswandern¬ 
den Juden nur der Verkauf ihrer Guthaben als Auswanderer-Sperrmark mit 
einem Verlust, der kurz vor dem Kriegsausbruch 96 % betrug. 

Die Aufteilung des Transferaufkommens in Bartransfer und Sondertransfer 
ist in vorstehender Tafel 5 gezeigt: Sie ergibt, daß durch den zusätzlich ge¬ 
schaffenen Sondertransfer fast 40% des Transferumsatzes erzielt wurden. 
Der Bartransfer teilt sich in Warentransfer und Finanztransfer. Die Bedeu¬ 
tung des Finanztransfers lag darin, daß die 7% der Bardevisen in den zwei 
Jahren von Herbst 1937 bis 1939 erarbeitet wurden - in einer Zeit, in der 
wegen der Verschlechterung der Warenliste der Transferumsatz stark ab¬ 
sank. Regional betrachtet, war im Warentransfer das Hauptarbeitsgebiet na¬ 
türlich Palästina. Der Nahe Osten erhöhte den Transferumsatz um 10%; die 
Einzelgeschäfte mit Südamerika erbrachten weitere 1 % des Umsatzes. 


15. Die Haavara als E inwand er ungsfaktor 

Die im vorstehenden beschriebene Transfertätigkeit, der Haavara diente 
ausschließlich der Einwanderung von Juden aus Deutschland nach Palästina 
und konnte nach den für die Haavara geltenden Bestimmungen der deutschen 
Regierung nur Anwendung finden auf Juden, die im Zeitpunkt der Macht¬ 
ergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland ansässig waren. Der Plan 
der Haavara, den Transfer nach dem „Anschluß" auch auf Österreich aus¬ 
zudehnen, wurde durch persönliche Intervention von Eichmann vereitelt. 
Auch die später erwähnten Transferverhandlungen in Ost- und Südosteuropa 
zeitigten bis zum Kriegsausbruch keine praktischen Resultate. 

Im Wirkungsfeld der Haavara wanderten von 1933 bis zum Kriegsaus¬ 
bruch aus Deutschland rd. 50 000 Juden nach Palästina ein; diese Zahl schließt 
ca. 20 % in Deutschland ansässiger Juden fremder Staatsbürgerschaft mit ein, 
fast drei Viertel davon mit polnischer Staatsbürgerschaft. Der Haavara- 
Transfer übte einen entscheidenden Einfluß auf den Umfang und die Zusam¬ 
mensetzung der Einwanderung aus Deutschland aus. Ihre Besonderheit spiegelt 
sich in dem Anteil wider, den die einzelnen Immigrationskategorien an der 
Einwanderung aus Deutschland hatten. Die nachfolgende Tabelle gibt einen 
Vergleich der aus Deutschland Eingewanderten mit der Gesamteinwanderung 
nach Palästina für die Jahre 1933—1942, auf Grund der von der Jewish 
Agency durchgeführten Statistik 17 . 

17 The Jewish Population of Palestine by D. Gurevicb, A. Gertz and R. Bachi , 






















Die Durchführung des Haavara-Transfers 77 


Einwanderung nach Kategorien 1933-1942 


Einwande¬ 

rungs¬ 

kategorie 


Gesamtein¬ 

wanderung 

Einwande¬ 
rung aus dem 
Deutschen 
Reich 


Anzahl der registrierten Personen 

189 627 

52 463 

Al 

Kapitalisten, Mindestkapital LP 1000,- 

19,9 o/o 

36,0 o/o 

A2 + A5 

Freie Berufe, Mindestkapital LP 500,- 

0,1 o/o 

0,2 o/o 

A3 

Handwerker, Mindestkapital LP 250,- 

1 , 3 ®/» 

0,9 o/o 

A4 

Personen mit gesichertem Einkommen 
(Rentner etc.) 

0,2 ®/o 

0,4 o/o 

B2 

Religiöse Berufe 

2,2 o/o 

0,6 o/o 

B 3 

Schüler und Studenten mit gesichertem Ein¬ 
kommen (Jugendalija) 

8,2 o/o 

14,5 o/o 

C 

Arbeiter 

46,5 o/o 

32,6 o/o 

D 

Von Ansässigen abhängige Personen (depen- 
dents) 

21,6 o/„ 

14,8 0/o 



100,0 o/o 

100,00/, 


Die Tabelle zeigt den im wesentlichen auf den Transfer zurückzuführen¬ 
den hohen Anteil (36%) von Kapitalisten an der Einwanderung aus Deutsch¬ 
land, verglichen mit der Gesamteinwanderung (19,9%). Demgegenüber wei¬ 
sen die Kategorien der unbemittelten Einwanderer „C“ und „D“ - Arbeiter 
und „dependents“ - einen erheblich niedrigeren Anteil für Deutschland gegen¬ 
über der Gesamteinwanderung auf. Bemerkenswert ist auch der hohe Pro¬ 
zentsatz der Schüler und Jugendlichen - Kategorie B 3 - im Rahmen der Ein¬ 
wanderung aus Deutschland, der dem Werk der Jugendalija zuzuschreiben 
ist, das ohne den Haavara-Transfer nicht möglich gewesen wäre. 

Die unterschiedliche und großenteils transferbedingte Zusammensetzung 
der Einwanderung aus Deutschland wirkte sich auch in ihrer Altersstaffelung 
aus. Die folgende Tabelle zeigt die von der Jewish Agency registrierten Alters¬ 
stufen der Einwanderung aus Deutschland, verglichen mit den entsprechen¬ 
den Prozentsätzen der Gesamteinwanderung 18 . 

Wie die Tabelle zeigt, wirkte sich die relativ kleinere Arbeitereinwande¬ 
rung aus Deutschland in ihrem verhältnismäßig kleineren Anteil an der 
Altersstufe 21-30 Jahre aus, während die Altersklassen 31-40 und 41-50 


veröffentlicht von der Statistischen Abteilung der Jewish Agency, Jerusalem, 1944, v 
Tafeln 11 und 16. 

18 Statistical Handbook of Jewish Palestine, veröffentlicht von der Statistischen 
Abteilung der Jewish Agency, Jerusalem, 1944, und Bericht des Central Bureau, for 
the Settlement of German Jews an den XXI. Zionistenkongreß, Jerusalem, August 
1939. 













78 


Werner Feilchenfeld 


Altersstufen der Einwanderer 


Alter 


Gesamt¬ 

einwanderung 

1932-1939 

Einwanderung 
aus Deutschland 
1933-März 1939 

Unterschied der 
Einwanderung 
aus Deutschland 
zur Gesamt¬ 
einwanderung 


Anzahl der regi¬ 





strierten Personen 

186 097 

44517 


0-9,9 Jahre 


ll,5°/o 

9,7% 

-1,8% 

10-20 


21,3 % 

22,8% 

+ 1,5% 

21-30 


31,6% 

25,3% 

-5,3% 

31-40 


14,4% 

16,9% 

+ 2,5% 

41-50 


7,3 % 

10,1 % 

+ 2,8% 

51-60 


7,4 °/o 

8,4% 

+ 1,0% 

61 u. darüber 


6,3 % 

5,9% 

-0,4% 

Unbekannt 


0,2 °/o 

0,9% 




100,0 % 

100,0% 



Jahre gegenüber der Gesamteinwanderung größer sind. Das durchschnittliche 
Alter der Einwanderung aus Deutschland ist daher relativ höher als das 
Durchschnittsalter der Gesamteinwanderung; von den Einwanderern aus 
Deutschland waren 57,8% unter 30 Jahren gegenüber 64,4% der Gesamt¬ 
einwanderung. In den beiden vorstehenden Tabellen ist die Einwanderung 
aus Deutschland der Gesamteinwanderung gegenübergestellt; in den Zahlen 
der letzteren sind aber auch die Einwanderer aus Deutschland enthalten, wo¬ 
durch die Unterschiede in gewissem Umfang verringert werden. Bei einem 
Vergleich der Einwanderung aus Deutschland mit der aus allen übrigen Län¬ 
dern, d. h. unter Ausschluß von Deutschland, wären die Unterschiede erheblich 
drastischer, besonders bezüglich der Kapitalisten-Einwanderer, von denen 
in dem Zeitraum 1933-1940 annähernd die Hälfte aus Deutschland kam. 

Die Auswirkung des Haavara-Transfers auf die Zusammensetzung der 
Einwanderung war natürlich von großer Bedeutung für die Einordnung der 
Einwanderer, wobei der von der Haavara durchgeführte zusätzliche Ver¬ 
mögenstransfer - über das Vorzeigegeld hinaus - eine gewichtige Rolle spielte. 
Die dadurch ermöglichte wirtschaftliche Betätigung und die Transaktionen 
der Haavara für den privaten und öffentlichen Sektor waren von größter Be¬ 
deutung für den Aufbau des Landes, wie in Kapitel III eingehender dargestellt 
wird. Aber auch für den Umfang der Einwanderung aus Deutschland war der 
Transfer von ausschlaggebender Bedeutung: die Haavara transferierte, nach 
dem Versiegen der Reichsbankdevisen im Jahre 1935, das Vorzeigegeld für 
die Kapitalisten-Einwanderer mit ihren Angehörigen, von denen ein Teil noch 



















Die Durchführung des Haavara-Transfers 


79 


als „dependents“ nachkommen konnte. Sie transferierte die Renten und Pen¬ 
sionen und die Schul- und Unterhaltsgelder im Rahmen der Jugendalija, so 
daß 7000 junge Menschen aus Deutschland nach Palästina einwandern konn¬ 
ten. Die entscheidende Bedeutung des Haavara-Transfers erhöhte sich noch 
in den Jahren 1937 bis 1939, als die Mandatsregierung die nicht auf einem 
Geldtransfer beruhende Zertifikatseinwanderung aufs äußerste reduzierte. 


ANHANG: AUSWANDERUNG NACH ANDEREN LÄNDERN 


A ) Das Altr eu-Tr ans f er System 

Für jüdische Auswanderungsinteressenten in Deutschland, die nicht nach 
Palästina, sondern nach anderen Ländern auswandern wollten, standen im 
Anfang die allgemeinen Förderungsmaßnahmen der deutschen Auswanderer¬ 
beratungsstellen und der Deutschen Reichsbank ebenfalls zur Verfügung. Ent¬ 
sprechend erfolgte auch die Zuteilung kleinerer Devisenbeträge durch die 
Reichsbank nach Gutachten der Beratungsstellen, die für einen Betrag bis zu 
RM 10 000,— gegeben wurden. Aber schon im Runderlaß Nr. 59/34 des Reichs¬ 
wirtschaftsministeriums (Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung) vom 23. Juni 
1934 verfügte die deutsche Regierung „wegen der ernsten Devisenlage des 
Reiches“, daß nur noch für einen Gegenwert von maximal RM 2000,- Bar¬ 
devisen zugebilligt werden dürften, während der Rest in befürworteten Aus¬ 
nahmefällen über die Deutsche Golddiskontbank mit einem von ihr festzuset¬ 
zenden Kursabschlag transferiert werden durfte. Um die Auswanderung der 
minderbemittelten Juden nach anderen Ländern als Palästina zu fördern, ver¬ 
fügte die Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung in ihrem Runderlaß 153/ 
1936 die Einschaltung der Deutschen Golddiskontbank für jeden Erwerb von 
Auswandererguthaben bis RM 8000,- mit 50% Kursabschlag. Die Interessen^ 
ten mußten eine Bescheinigung des „Hilfsvereins der Juden in Deutschland“ in 
Berlin beibringen, daß ihnen durch Vermittlung dieser Organisation eine Hilfe 
bei der Gründung einer neuen Existenz im Ausland gewährt wird. Der Ge¬ 
genwert, den sie für die RM 4000,- erhielten, betrug damals £ 330,- oder 
$ 1600,-. 

Fast vier Jahre nach Gründung des Haavara-Transfersystems für Palästina 
wurde dann schließlich im Runderlaß Nr. 73 der Reichsstelle für Devisenbe¬ 
wirtschaftung vom 24. Mai 1937 für solche Auswanderer nach anderen Län¬ 
dern ein System genehmigt, das eine Art Parallele zur Paltreu-Haavara dar¬ 
stellt. Es wurde eine „Allgemeine Treuhandstelle für die jüdische Auswande¬ 
rung G.m.b.H.“, Berlin (Altreu), errichtet. Die Verwaltung dieser Altreu- 









80 


Werner Feilchenfeld 


Organisation war aus Ersparnisgründen in dem gleichen Hause wie die Pal¬ 
treu, Berlin, untergebracht. Ihre Geschäftsführer waren Robert Bermann, der 
auch Mitglied der Geschäftsführung der Paltreu war und so die Erfahrungen 
der Paltreu der neuen Organisation zugute kommen ließ, und Dr. Kurt Hirsch¬ 
feld. 

Die Altreu erhielt in dem genannten Erlaß von der deutschen Regierungs¬ 
stelle genaue Vorschriften über die Förderung der jüdischen Auswanderung 
durch Kleinzuteilungen von Devisen, welche sie über die Deutsche Gold¬ 
diskontbank — wieder mit 50% Abschlag — zu diesem Zweck erwerben 
konnte. Im Regelfall sollten durch die Altreu zugeteilt werden: 

für Einzelpersonen Devisen im Gegenwert von höchstens netto RM 2000,- 

bis 2500,- gegen Zahlung von RM 4000,- bis 5000,-; 

für kinderlose Ehepaare Devisen im Gegenwert von höchstens netto 

RM 3000,- gegen Zahlung von RM 6000,-; 

für Ehepaare mit Kindern Devisen im Gegenwert von höchstens netto 

RM 4000,- gegen Zahlung von RM 8000,-. 

Grundsätzlich sollten solche Genehmigungen nur minderbemittelten Per¬ 
sonen erteilt werden, deren gesamtes flüssiges Vermögen (ohne Umzugsgut) 
RM 20-25 000,— nicht überstieg. Jüngere Antragsteller sollten vor „betagten 
Personen“ den Vorrang haben. In einem Erlaß der Reichsstelle für Devisen¬ 
bewirtschaftung Nr. 131/37 vom 26. Oktober 1937 wurde die Kategorie der 
bevorzugten „Minderbemittelten“ ausgedehnt auf Personen mit flüssigem Ge¬ 
samtvermögen von bis zu RM 30 000,- für Einzelpersonen, RM 40 000,- für 
zwei Personen und RM 50 000,— für Familien von drei oder mehr Personen. 
In einem weiteren Erlaß der Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung Nr. 158/ 
37 vom 17. Dezember 1937 wurde das Altreu-System weiterhin ausgebaut. 
Vermögende Auswanderungsinteressenten sollten nunmehr ihr ganzes Ver¬ 
mögen der Altreu überantworten und einen größeren Kursabschlag für die 
Devisenzuteilung erleiden. Hierdurch sollte für ärmere Auswanderungsinter¬ 
essenten ein besserer Transfer ermöglicht werden. Den von ihr erzielten 
Reichsmarküberschuß hatte die Altreu der „Reichs Vertretung der Juden in 
Deutschland“, Berlin, als „Altreu-Fonds“ zur Verfügung zu stellen; die 
Reichsvertretung gewährte aus diesem Fonds Darlehen an unbemittelte jü¬ 
dische Auswanderungsinteressenten, die mit Hilfe eines solchen Darlehens aus¬ 
wanderungsfähig gemacht werden konnten. 

Die Altreu mußte für Transfereinzahlungen bis RM 5000,- unentgeltlich 
arbeiten; darüber hinaus erhob sie eine Verwaltungsgebühr von 1 U % bis 1 %. 

Wieviel Juden aus Deutschland mit Hilfe des Altreu-Systems zur Auswan¬ 
derung gebracht werden konnten, ist mangels aktenmäßiger Grundlagen nicht 
feststellbar, da das Archiv der Altreu im Kriege zerstört wurde. 

Soweit ein Transfer weder durch die Haavara noch durch die Altreu be¬ 
wirkt werden konnte, konnte der Auswanderer sein Bargeld nur durch Ver- 





























Die Durchführung des Haavara-Transfers 


81 


kauf als Auswanderersperrmark ins Ausland retten. Das Disagio der Aus¬ 
wanderersperrmark und der entsprechende Verlust für den Auswanderer 
stellte sich für die Zeit von Dezember 1933 bis August 1939 wie folgt: 



Kurs der Sperrmark 
in Prozenten 
(im Durchschnitt) 

Verlust des Auswanderers 

in Prozenten 
(im Durchschnitt) 

Dezember 1933 

23 

77 

Januar-März 1934 

22 

78 

April-Dezember 1934 

56 

44 

Januar-Dezember 1935 

65 

35 

Januar-Dezember 1936 

70 

30 

Januar-Dezember 1937 

78 

22 

Januar-Dezember 1938 

90 

10 

Januar-August 1939 

95 

5 


B) Die Transferverhandlungen in Ost- und Südosteuropa und im Zusammen¬ 
hang mit dem Inter governmental Committee für Flüchtlings fragen 

Die nach dem Haavara-System gesammelten Erfahrungen legten der Jewish 
Agency, Jerusalem, den Gedanken nahe, Verhandlungen mit Regierungen 
ost- und südosteuropäischer Länder anzuknüpfen, in denen Juden wie in 
Deutschland bedroht waren und in denen eine Devisenzwangswirtschaft den 
Kapitaltransfer und die Auswanderung erheblich erschwerten 19 . 

Als schließlich im Jahre 1939 das Intergovernmental Committee der Evian- 
Flüchtlingskonferenz in London den Plan einer allgemeinen Auswanderungs¬ 
hilfe für Juden studierte, wurde von der Haavara ein Vorschlag ausgearbeitet, 
der gleichzeitig den Haavara-Transfer in die geplante Rettungsaktion ein¬ 
schloß. 

C) Verhandlungen mit ost- und südosteuropäischen Ländern und dem Inter¬ 
governmental Committee 

Zwei dieser Länder waren für das jüdische Palästina besonders wichtig, 
Polen und Ungarn. In ihnen lebte eine große jüdische Bevölkerung, deren 
wirtschaftliche Lage eine organisierte Auswanderung nach Palästina höchst 
wünschenswert machte. 

a) Polen 

Ende April 1936 wurde in Polen eine Devisenzwangswirtschaft eingeführt, 
die die Auswanderung von Juden wesentlich erschwerte. Im Juli 1937 ge¬ 
lang der Jewish Agency ein erstes Transferabkommen mit Polen abzuschlie- 

19 Siehe die Veröffentlichung des Verfassers „Jüdische Handelspolitik durch Trans¬ 
fervereinbarungen mit central- und osteuropäischen Ländern“, Tel-Aviv 1938. 


6 LBI 26 Haavara-Transfer 












82 


Werner Feilchenfeld 


ßen, das durch die Transfergesellschaft „Halifin“ Ltd., Tel-Aviv, durchgeführt 
wurde. Die Transferergebnisse blieben, unter anderem wegen des Ausschlus¬ 
ses wichtiger Ausfuhrwaren, gering. 

Im Frühjahr 1938 führte der Verfasser, gemeinsam mit dem Mitglied der 
Exekutive der Jewish Agency Jizchak Grünbaum, dem früheren Mitglied 
des polnischen Parlaments, Verhandlungen mit der polnischen Regierung in 
Warschau mit dem Ziel verbesserter Transferbedingungen. Die von der pol¬ 
nischen Regierung zugebilligten Zugeständnisse genügten jedoch nicht, um 
das erstrebte Ziel einer Ausweitung des Transfers zu erreichen. 

b) Ungarn 

Auch in Ungarn hatten die rechtsradikalen Parteien (die Pfeilkreuzler) 
durch die Erfolge Hitlers eine Stärkung erfahren. Die ungarische Regierung 
hatte schon im Jahre 1938 erste Sonderbestimmungen gegen Juden heraus¬ 
gebracht. Anfang 1939 ersuchte sie den Präsidenten der jüdischen Gemeinde 
von Budapest, Hofrat Stern, um Ausarbeitung eines Planes für die Aus¬ 
wanderung ungarischer Juden. Im Frühjahr 1939 sandte die Jewish Agency 
den Verfasser als Spezialdelegierten nach Budapest, um eine dem deutschen 
Haavara-Abkommen ähnliche Vereinbarung für jüdische Auswanderung nach 
Palästina zu treffen. 

Neben einem reinen Palästina-Auswanderungsplan wurde mit den un¬ 
garischen Behörden ein allgemeiner Auswanderungsplan „nach allen Ländern 
einschließlich Palästinas“ ausgearbeitet, der die Grundlage für ein Regierungs¬ 
programm einer geplanten Auswanderung von Juden darstellen sollte. Weitere 
Unterstützung wurde dann bei verschiedenen ungarischen Stellen und der In¬ 
dustrie dadurch gefunden, daß unter Hinweis auf die Erfolge der Haavara 
interessante Sonderprojekte für die ungarische Wirtschaft in Aussicht gestellt 
werden konnten, z. B. ein Projekt für den Bau von fünf ungarischen Fracht¬ 
schiffen von je 4000 Brutto-Registertonnen mit Finanzierung durch Auswan¬ 
derergeld in der Form von Schiffshypotheken. Es gelang, von der Ungari¬ 
schen Nationalbank ein Transferabkommen im Prinzip genehmigt zu bekom¬ 
men, das am 21. März 1939 in einem vollständigen Entwurf für eine un¬ 
garische Haavara der Jewish Agency und für normale Exporte und verschie¬ 
dene Großprojekte niedergelegt wurde. Das erste Transferabkommen sah 
einen Transfergegenwert von einer halben Million £ vor. Die für September 
1939 vereinbarten Schlußverhandlungen über die Planung der einzelnen Aus¬ 
wanderungsgruppen wurden durch den Kriegsausbruch vereitelt. 

c) Die Verhandlungen in den anderen Landern 

Kurz vor der Besetzung der Tschechoslowakei durch das nationalsoziali¬ 
stische Regime im März 1939 verhandelte der Verfasser für die Jewish 
Agency mit der Regierung in Prag über ein dem Haavara-Abkommen ähn- 



























Die Durchführung des Haavara-Transfers 


83 


liches Warentransfer-Abkommen und ebenso mit der Regierung in Bratislava 
für die inzwischen selbständig gewordene Slowakei, der noch im Juli 1939 ein 
von ihr angeforderter Transfer- und Auswanderungsplan eingesandt wurde. 

Ähnliche Verhandlungen wurden in Italien im Frühjahr 1939 begonnen 
mit dem Ziele, die Weiterwanderung der dorthin geflohenen europäischen 
Juden nach Palästina zu ermöglichen. 

Alle diese Bemühungen scheiterten wegen des Ausbruchs des zweiten Welt¬ 
krieges. 

D) Der Ausw ander ungs- und Transferplan für das Inter governmental Com¬ 
mittee der Evian-Flüchtlingskonferenz in London unter Einhau des Haavara- 
Transfers 

Die Verschärfung der Judenverfolgungen in Deutschland und Österreich 
und ihre Rückwirkung auf die antisemitischen „Rechtsradikalen“ in den Län¬ 
dern Osteuropas führte im Juli 1938 auf Initiative von Präsident Roosevelt 
zur Einberufung einer internationalen Flüchtlingskonferenz in Evian, der 
„Intergovernmental Conference on Refugees cc . Diese Evian-Konferenz ver¬ 
lief praktisch ergebnislos. Es wurde aber ein „Intergovernmental Committee, 
London“ zur Durchführung von Hilfsmaßnahmen für Flüchtlinge eingesetzt. 
Von amerikanischer Seite gehörten dem Committee George Rublee, Joseph 
Cotton und, als Vertreter des State Department, Robert Pell an. An dem 
Arbeitsausschuß dieses Committees waren für England auch Lord Bearsted 
und Anthony de Rothschild beteiligt, ferner in einem späteren Stadium auch 
Max Warburg. 

Von seiten des Verfassers wurde im Einvernehmen mit dem Londoner Büro 
der Jewish Agency dem Intergovernmental Committee in einem Memoran¬ 
dum vom 29. Dezember 1938 ein ausführlicher Plan zur Rettung jüdischer 
Flüchtlinge überreicht. Dieser Plan verwertete die von der Haavara gesam¬ 
melten mehrjährigen Erfahrungen und enthielt folgende Vorschläge: 

(1) Es wird eine „International Transfer Company“ (ITC) in London ge¬ 
gründet, welche wie eine internationale Haavara, aber als Organ des 
Intergovernmental Committee die praktische Arbeit durchzuführen hat. 

(2) Diese Gesellschaft soll von der deutschen Regierung eine Zahlung von 
2 Milliarden Reichsmark aus dem blockierten jüdischen Vermögen er¬ 
halten. Dieser Reichsmarkfonds soll zu einem Teil für die Zahlung von 
Unterstützungen in Deutschland verwandt und im übrigen zur Erlan¬ 
gung von Devisen transferiert werden. 

(3) Als Transfer Programm der ITC wurde vorgeschlagen 

(a) als Einanztransfer: die Zuweisung der Devisen für die 25°/o Register¬ 
markverkäufe, die nach dem damals geltenden Stillhalte-Abkommen 
Deutschland zuflossen; 







84 


Werner Feilchenfeld 


(b) als weiterer Finanztransfer: das Recht der ITC zum Erwerb von 
Vermögen deutscher „Arier“ im Ausland, die nach Deutschland zu¬ 
rückkehren wollten und dort von der ITC in Reichsmark ausgezahlt 
werden würden; 

(c) als Warentransfer nach anderen Ländern als Palästina und Nahost: 
das Recht, in bestimmtem Umfang Ausfuhrgeschäfte in guten Aus¬ 
fuhrwaren (z. B. Kohle, Maschinen u. ä.) zu bezahlen, wobei 50°/o in 
Devisen an Deutschland gehen und der Rest in ITC-Mark beglichen 
und damit transferiert werden sollten; 

(d) als weiterer Warentransfer: das Recht der ITC, die Ausfuhr nach 
Palästina und den Ländern des Nahen Ostens zu bezahlen, wobei 
15 °/o in Devisen zum Ersatz der Auslandsrohstoffe an Deutschland 
gehen und 85% von der ITC in Reichsmark transferiert werden soll¬ 
ten (dies würde den derzeitigen Haavara-Transfer mit einschließen). 

Nach den Schätzungen des Verfassers hätte ein solches Transfersystem jähr¬ 
lich mindestens 12 Millionen £ ergeben und damit die Grundlage für die so¬ 
fortige Aufnahme, Amortisation und Verzinsung einer internationalen Flücht¬ 
lingsanleihe von bis zu 100 Millionen £ gebildet, die von den beteiligten 
Regierungen garantiert werden sollte. 

Auf der Grundlage dieser Fonds in Reichsmark und Devisen sollte die ITC 
in der Lage sein, folgenden Rettungsplan für die noch in Deutschland verblie¬ 
benen Juden und Nichtarier durchzuführen: 

(a) Zahlung in Reichsmark in Deutschland von Unterhaltszuschüssen an in 
Not befindliche überalterte Personen, die nicht mehr auswandern konn¬ 
ten und in Altersheimen unterzubringen waren. 

(b) Zahlung in Reichsmark in Deutschland von Zuschüssen an Auswande¬ 
rungsinteressenten für ihnen fehlende Kleidung, Berufsmittel usw., 
durch welche diese Personen zur Auswanderung gebracht werden 
konnten. 

(c) Zahlung in Devisen im Ausland eines Existenzminimums für Auswan¬ 
dernde von bis etwa £ 200,— für Einzelpersonen und bis etwa £ 1000,— 
für Familien. 

Der Einbau des Haavara-Transfersystems und der Warenausfuhr nach 
Palästina und dem Nahen Osten in dieses Flüchtlingsprogramm der ITC 
sollte die Aufrechterhaltung und die Reaktivierung der Haavara-Arbeit be¬ 
wirken und sie unter den Schutz der Regierungen der Intergovernmental Con¬ 
ference stellen. Tatsächlich wurde auch im Zusammenhang mit jenen Ver¬ 
handlungen des Intergovernmental Committees, London, mit der deutschen 
Regierung erreicht, daß die befürchtete Aufhebung der „Waren-Positiv-Liste“ 
der Haavara nicht erfolgte. Der Warentransfer der Haavara konnte so noch 


















Die Durchführung des Haavara-Trans fers 


85 


bis zum Kriegsausbruch ungehindert auf der durch die „Positiv-Liste“ ein¬ 
geschränkten Grundlage weitergeführt werden. 

Die Verhandlungen des Intergovernmental Committees in London mit den 
Vertretern der deutschen Regierung wurden durch den Kriegsausbruch be¬ 
endet und hatten daher keine Ergebnisse. 














































































Kapitel III 


DIE BEDEUTUNG DER EINWANDERUNG 
AUS DEUTSCHLAND FÜR DAS JÜDISCHE PALÄSTINA 


Ludwig Pinner 






















1. DIE EINWANDERUNG AUS DEUTSCHLAND IM RAHMEN 
DER GESAMTEINWANDERUNG 


Die fünfte Ali ja 1 

Die Bevölkerung des Mandatslandes Palästina zählte Ende 1932 rd. 
1080 000 Seelen, von denen der jüdische Bevölkerungsteil, der „Jischuw“, 
200 000 (18,5%) betrug. Im Jahre 1941 war die Gesamtbevölkerung auf 
1616000 Seelen angewachsen, von denen 505 000 (31,2%) Juden waren 2 . 
Der Jischuw hatte sich also um 305 000 Personen, d. h. um 150% vergrößert, 
von denen 230 000 Einwanderer waren; es kamen in diesem Zeitraum dop¬ 
pelt soviel Personen ins Land als vom Ende des ersten Weltkriegs bis Ende 
1932. 

Diese Einwanderung erfolgte im Rahmen der „fünften Alija“, womit üb¬ 
licherweise die Einwanderungsperiode der Jahre 1932 bis 1945 bezeichnet 
wird, die insgesamt 278 000 jüdische Einwanderer brachte. Diese Alija erhielt 
ihr besonderes Gepräge durch die in den Jahren 1933-1941 erfolgte Ein¬ 
wanderung von rd. 75 000 Juden aus Mitteleuropa, d. h. aus Deutschland, 
Österreich und der Tschechoslowakei. Österreich wurde 1938, die Tschechoslo¬ 
wakei 1939 dem Deutschen Reich als „Protektorat Böhmen und Mähren“ 
einverleibt. Die Einwanderung der deutschsprachigen Juden aus diesen Ge¬ 
bieten, die mitteleuropäische Alija, machte ein Drittel der Gesamteinwande- 
rung dieser Periode aus. 


1 Das hebräische Wort „Alija“, wörtlich „Aufstieg“, bedeutet Einwanderung nach 
Erez Israel und wird auch verwendet zur Bezeichnung der Gesamtheit der Ein¬ 
wanderer einer bestimmten Periode oder einer Einwanderergruppe. In dieser Dar¬ 
stellung wird nur die Periode 1933-1941 behandelt, die die Einwanderung aus 
Deutschland umschließt. 

2 Alle in dieser Darstellung über Bevölkerung und Einwanderung genannten Zah¬ 
len (mitunter abgerundet) basieren auf den Angaben, die in der Schrift The Jewish 
Population of Palestine by D. Gurevich , A. Gertz and R. Bachi, 1944, und im 
Statistical Handbook of Palestine by D. Gurevich and A. Gertz , 1947, von der Sta¬ 
tistischen Abteilung der Jewish Agency, Jerusalem, veröffentlicht wurden. 











90 


Ludwig Pinner 


Die folgende Tabelle zeigt für den Zeitraum 1933-1941 die jährliche Ge¬ 
samteinwanderung und den Anteil, den die mitteleuropäische Alija daran 
hatte. 

Palästina-Einwanderung 1933-1941 




Gesamt- 

Einwanderung aus 

Einwanderung aus 

Einwanderung aus 



einwan- 

Deutschland 

Öster¬ 

Tschecho¬ 

Mitteleuropa 


Jahr 

derung 



reich 

slowakei 




Personen Personen 

°/o der 

Personen Personen Personen 

°/o der 





Gesamt¬ 




Gesamt¬ 





einwan¬ 




einwan¬ 





derung 




derung 


1933 

30 300 

7600 

25 

400 

300 

8 300 

27 


1934 

42 400 

9 800 

23 

1000 

900 

11700 

28 


1935 

61900 

8 600 

14 

1 100 

1500 

11200 

18 


1936 

29 700 

8 700 

29 

500 

600 

9 800 

33 

Legale 

1937 

10 500 

3 700 

35 

200 

200 

4100 

39 

Ein¬ 

1938 

12 900 

4 800 

37 

2 200 

400 

7400 

57 

wanderung 

1939 

16 400 

8 500 

52 

1700 

1700 

11900 

73 


1940 

4 500 

900 

20 

200 

400 

1500 

33 


1941 

3 600 

600 

18 

- 

- 

600 

18 


1933 









bis 

212 200 

53 200 3 

25 

7 300 

6 000 

66 500 

31 


1941 








Ma’apilim 4 - 

1933 








Ein- 

bis 

18100 

1800 

10 

2200 

5 000 

9 000 

50 

wanderung 

1941 








Gesamte 

1933 








Ein¬ 

bis 

230 300 

55 000 

24 

9 500 

11000 

75 500 

33 

wanderung 

1941 









Legale Einwanderung 

Die in der obigen Tabelle unter „Legale Einwanderung“ angeführten 
Zahlen umfassen die Personen, die mit einem Einwanderungszertifikat ins 
Land kamen, sowie die Touristen, die später die Niederlassungserlaubnis er¬ 
hielten. Von rd. 66 000 legalen Einwanderern aus Mitteleuropa während der 
Jahre 1933 bis 1941 stammten rd. 53 000 (80°/o) aus Deutschland in seinen 
ursprünglichen Grenzen, während rd. 13 000 Juden (20%) als legale Ein¬ 
wanderer aus Österreich und der Tschechoslowakei kamen. 

Die 53 000 jüdischen Einwanderer aus Deutschland, die ca. 6000 Juden 
nichtdeutscher - überwiegend polnischer - Staatsbürgerschaft einschließen, 

3 Einschließlich 500 Einwanderern aus Danzig. 

4 „Ma’apilim“ wurden Einwanderer genannt, die ohne Immigrationszertifikat ins 
Land kamen. 









































Die Bedeutung der Einwanderung aus Deutschland 91 

stellten annähernd 10% der Juden dar, die im Zeitpunkt der Machtergreifung 
durch Hitler in Deutschland ansässig waren. Es ist diese Einwanderungs¬ 
gruppe, auf die sich die Tätigkeit der Haavara erstreckte und die der ent¬ 
scheidende Träger der wirtschaftlichen Vorgänge war, die in den folgenden 
Ausführungen dargestellt werden. 

Ma’apilim-Einwanderung 

Das Bild der fünften Alija ist aber nicht vollständig, wenn nicht der 
Ma’apilim gedacht wird, die in den Jahren 1939-1941 mehr als 40% der 
Gesamteinwanderung ausmachten. Kurz vor Kriegsausbruch und bis Anfang 
1942 versuchten Tausende von Juden sich aus den von den Nationalsoziali¬ 
sten beherrschten Ländern zu retten und auf allen nur greifbaren, zumeist 
nicht seetüchtigen Schiften Palästina zu erreichen, ungeachtet der von der 
britischen Regierung auch in dieser Zeit rigoros gehandhabten Einwande¬ 
rungsbeschränkung. Hunderte fanden hierbei den Tod, und viele andere 
wurden von der Mandatsregierung nach Mauritius weitergeschickt. Beson¬ 
ders tragisch war das Schicksal der Ma’apilim-Transporte auf den Schiften 
„Patria“, „Struma“ und „Salvador“, bei deren Untergang 1200 Menschen 
den Tod fanden. 

Trotz aller Gefahren und Widerstände gelang es ca. 18 000 Ma’apilim in 
Palästina zu landen, bis die Kriegshandlungen im Mittelmeer dieser Alija 
ein Ende setzten. Diese „illegalen“ Einwanderer wurden auf Anordnung der 
Mandatsbehörden in besonderen Lagern in Atlit und Sarafend interniert, je¬ 
doch nach einigen Monaten freigelassen. Nach den Feststellungen der Jewish 
Agency stammten rd. 9000 Ma’apilim aus Mitteleuropa und die übrigen aus 
Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Von den mitteleuropäischen Län¬ 
dern entfielen 54% auf die Tschechoslowakei, 26% auf Österreich und 20% 
auf Deutschland. 

Der Verlauf der Einwanderung 

Die fünfte Alija verlief in drei voneinander sehr verschiedenen Abschnitten: 
Die erste Periode, die von 1932 bis April 1936 währte, brachte die Hochflut 
der Einwanderung mit 160 000 Immigranten. Die zweite Periode, 1936-1940, 
stand unter dem Zeichen einer wirtschaftlichen und politischen Krise und hatte 
eine Einwanderung von 75 000 Personen. Die dritte Periode, 1941-1945, war 
bestimmt durch die Kriegslage und bestand hauptsächlich in Aktionen zur 
Rettung von Flüchtlingen aus verschiedenen Ländern, die in der Einwande¬ 
rung von 45 000 Juden resultierten. 

Die Einwanderung aus Deutschland, die 1933 begann, war im Jahre 1940 
praktisch beendet. Die in diesem Zeitraum eingewanderten 53 000 deutschen 












92 


Ludwig Pinner 


Juden stellten aber nur 25% der Gesamteinwanderung dieser Periode dar 
und weitere 6% stammten aus Österreich und der Tschechoslowakei. 40% 
der Einwanderer kamen aus Polen, und auch aus den Vereinigten Staaten 
wanderten 5000 Juden ein. Während aber die Einwanderung aus Deutschland 
unter dem sich dauernd steigernden Druck der antijüdischen Nazipolitik er¬ 
folgte, war die Einwanderung aus anderen Ländern durch andere Faktoren, 
in erster Linie durch wirtschaftliche Umstände, veranlaßt. Die Verschieden¬ 
heit in den Motiven der Einwanderung wirkte sich in der unterschiedlichen 
Fluktuation der beiden Einwanderungsströme aus. 

Zum Verständnis des Verlaufs der fünften Alija und des Anteils, den die 
Einwanderung aus Deutschland daran hatte, muß man sich die Situation des 
Jischuw am Beginn dieser Einwanderungswelle und in ihrem Ablauf ver¬ 
gegenwärtigen. 

Die von der mittelständischen Einwanderungswelle der „vierten Alija“ 
1924 hervorgerufene Wirtschaftskonjunktur war schon nach zwei Jahren 
zusammengebrochen und hatte einer Krise Platz gemacht, die fünf Jahre an¬ 
hielt. Im Jahre 1930 setzte eine Besserung ein, die durch die rapide Ausdeh¬ 
nung der Zitruspflanzungen und den erneuten Kapitalzustrom ausgelöst war. 
Ende 1931 stand der Jischuw bereits im Zeichen ausgesprochener Prosperität, 
während in Europa und den USA eine ökonomische Depression herrschte. 
Diese Situation löste einen Zustrom von Investitionskapital und von Ein¬ 
wanderern aus, deren Zahl schon im Jahre 1932 fast 10000 betrug. Zu diesen 
konjunkturtreibenden Faktoren der Wirtschaft kam 1933 die mit dem Nazi¬ 
regime einsetzende Einwanderung deutscher Juden hinzu. 

Die Gesamteinwanderung steigerte sich von 30 000 Einwanderern im Jahre 
1933 auf 42 000 im Jahre 1934 und erreichte 1935 die beträchtliche Zahl von 
62 000 Immigranten. Insgesamt kamen also in diesen drei Jahren 134 000 
Einwanderer, von denen 26 000 (19%) aus Deutschland stammten. 

Der von der Autodynamik einer solchen Einwandererwelle hochgetriebene 
Wirtschaftsboom erreichte 1935 seinen Höhepunkt. Im Jahre 1936 trat ein 
Umschwung der Entwicklung ein. Ein zuerst durch den italienischen Abes¬ 
sinienkrieg ausgelöster Konjunkturrückgang steigerte sich durch den Ausbruch 
der arabischen Unruhen im Jahre 1936 zu einer Krisensituation, die durch die 
politische Unsicherheit vertieft wurde. Die Mandatsregierung begann 1937 
die bis dahin nach ökonomischen Gesichtspunkten gehandhabte Arbeiterimmi¬ 
gration willkürlich zu drosseln und eine Politik in Kraft zu setzen, die das 
Ziel hatte, der gesamten Einwanderung von Juden nach Palästina eine Grenze 
zu setzen, die dann in dem 1939 von der britischen Regierung veröffentlichten 
Weißbuch festgelegt wurde. 

Infolge dieser politischen und wirtschaftlichen Entwicklung verringerte sich 
die Einwanderung in drastischer Weise. In den vier Jahren von 1936 bis 















Die Bedeutung der Einwanderung aus Deutschland 


93 


1939 wanderten nur halb so viele Menschen ein wie in den drei vorher¬ 
gegangenen Jahren. Demgegenüber stieg innerhalb der Gesamteinwanderung 
der Anteil der mitteleuropäischen Alija und kam mit rd. 31 000 Personen auf 
44°/o der gesamten legalen Einwanderung dieser Periode. In diesen Ziffern 
spiegelt sich einerseits die administrative Kürzung der Arbeiterimmigration 
und der große Rückgang der freien Mittelstandseinwanderung; andererseits 
zeigen sie, daß die mitteleuropäische Alija ihren Fortgang nahm, was haupt¬ 
sächlich durch die ungestörte Weiterarbeit der Haavara ermöglicht wurde, die 
im Jahre 1937 sogar ihren größten Umsatz erzielte. 

Kapitalisten-Einwanderung 

Die Absorption einer Einwandererwelle, die im Verlauf von sieben Jahren 
die jüdische Bevölkerung verdoppelte, war nur durch den gewaltigen Auf¬ 
schwung möglich, den diese Einwanderung selber der Wirtschaft des Jischuw 
verlieh. An dieser Entwicklung war die deutsche Alija entscheidend beteiligt. 
Dies wird verständlich, wenn man das innere Gefüge des Einwandererstro¬ 
mes näher betrachtet. 

Unter den diversen von der Mandatsregierung vorgesehenen Einwanderer¬ 
gruppen 5 war nur die als „Kategorie Al“ bezeichnete Kapitalisten-Einwan¬ 
derung unbeschränkt und ausschließlich an den Nachweis eines Eigenkapitals 
von LP 1000,- (= £St. 1000) gebunden. 

In dem Zeitraum 1922-1932 (vierte Alija) waren rd. 20 000 Personen in 
der Kapitalistenkategorie eingewandert, davon 14 000 in den Jahren 1924- 
1925, von denen jedoch ein erheblicher Teil wieder auswanderte. Die fünfte 
Alija brachte im Verlauf von neun Jahren 44 000 Einwanderer der Kate¬ 
gorie A 1 nach Palästina, die 21 % der gesamten legalen Einwanderung die¬ 
ses Zeitraums ausmachten. Diese Einwanderer kamen auf Grund von rd. 
21000 Kapitalisten-Zertifikaten ins Land 6 . Im Rahmen dieser Kapitalisten- 
Einwanderung kamen rd. 20000 Personen (45%) aus Deutschland, d. h. 
aus dem Gebiet, dem der Haavara-Transfer zugute kam. Die Einwande¬ 
rung aus Deutschland enthielt 37% Kapitalisten-Einwanderer, während im 
Rahmen der Einwanderung aus allen übrigen Ländern zusammen diese Kate¬ 
gorie nur 15 % ausmachte. 

Die proportionelle Verschiedenheit der Kapitalisten-Einwanderung aus 
Deutschland gegenüber der aus anderen Ländern läßt eine für sie charakteri¬ 
stische Besonderheit erkennen: die deutsche Alija war die Auswanderung einer 
Judenheit, die mehr oder weniger in ihrer normalen gesellschaftlichen Struk- 


5 Die einzelnen Kategorien der Immigrationsverordnung sind ausführlich in Ka¬ 
pitel II, S. 38 f. beschrieben. 

6 Nach der Statistik der Jewish Agency für die Jahre 1932-1942 entfielen auf 
18 292 Kapitalisten-Zertifikate 38 611 Einwanderer, d. h. im Durchschnitt auf ein 
Zertifikat 2,1 Einwanderer. 











94 


Ludwig Pinner 


tur erfolgte, d. h. überwiegend dem Mittelstand angehörig, wenn sie auch 
durch die Naziverfolgung und die Schwierigkeiten der Liquidierung und des 
Transfers im Vermögen stark reduziert war. 

Da die transferbedingte Kapitalisten-Einwanderung auch nach dem Ein¬ 
setzen der Wirtschaftskrise in Palästina weiterging, erhöhte sich der Anteil 
der A 1-Einwanderer aus Deutschland ab 1936 von Jahr zu Jahr und er¬ 
reichte 1939 82% der gesamten Kapitalisten-Immigration. Dieser Umstand 
trug dazu bei, die Auswirkungen der 1936 einsetzenden Wirtschaftsdepres¬ 
sion zu mildern, so daß sie nicht den Tiefstand erreichte, der im Verlauf der 
vierten Alija zu einer erheblichen Auswanderung geführt hatte.'Aus Öster¬ 
reich und der Tschechoslowakei kamen in demselben Zeitraum rd. 3 000 Ein¬ 
wanderer der Kapitalistenkategorie, die 23 % der gesamten legalen Einwan¬ 
derung aus diesen Ländern darstellten. 

Die mitteleuropäische Alija stellte demnach mehr als die Hälfte - 23 000 
von 44 000 - der Kapitalisten-Einwanderer, die in den Jahren 1933-1941 
nach Palästina kamen. 


Arbeiter-Einwanderung 

Die umfangreichste Immigrationsgruppe war während der ganzen Man¬ 
datsperiode die Kategorie C, die die Einwanderung von Arbeitern darstellte 
und im Durchschnitt der Jahre 1920—1940 die Hälfte aller Immigranten um¬ 
faßte. Sie repräsentierte das entscheidende Kontingent für das zionistische Auf¬ 
bauwerk und den städtischen Arbeitsmarkt. Die Einwanderer waren junge 
Menschen, ohne eigene Mittel, von denen ein großer Teil aus den Vorberei¬ 
tungszentren der „Hechaluz “-Bewegung 7 kam, die das Trainingslager für 
die nationale Arbeitersiedlung bildete. Die Zahl der Einwanderer dieser Kate¬ 
gorie wurde in halbjährlichen Quoten, der „Labour-Schedule“, von der Man¬ 
datsregierung in meist schwierigen Verhandlungen mit der Jewish Agency 
festgesetzt, die die Arbeiterzertifikate durch ihre Palästina-Ämter in Europa 
verteilte. Als Maßstab für die Höhe der Labour-Schedule galt bis 1937 die 
ökonomische Absorptionsfähigkeit des Landes, für die der Kapitalzustrom in 
den öffentlichen Sektor und die Investitionen im privaten Sektor entscheidend 
waren. Die Jahresziffern der C-Einwanderer zeigen den engen Zusammen¬ 
hang zwischen Kapitalisten- und Arbeiter-Immigration. Dieser Zusammen¬ 
hang bildete auch für die Haavara ein wichtiges Argument gegenüber den 
deutschen Behörden für die Aufrechterhaltung des Transfers, da Palästina das 
einzige Land war, das in gewissem Umfang unbemittelte Einwanderer auf¬ 
nahm. 


„Hechaluz“, wörtlich „Der Pionier“, war der Name des Weltverbandes der von 
der Arbeiterschaft in den einzelnen Ländern errichteten Organisationen zur Förde¬ 
rung und praktischen Vorbereitung der Einwanderung nach Palästina. Der Hechaluz, 
dessen Zentrum in Polen war, dehnte sich auch auf Mitteleuropa aus. 






















Die Bedeutung der Einwanderung aus Deutschland 


95 


Die Arbeiterimmigration betrug in der fünften Alija 47°/o der gesamten 
legalen Einwanderung. Von den 87 000 Arbeiter-Immigranten, die die Jewish 
Agency in der Periode 1933-1941 registrierte, kamen jedoch 75 700 während 
der Jahre 1933-1936 und nur 11 300 in den folgenden fünf Jahren, - eine 
Folge der rigorosen Kürzung der Labour-Schedule durch die Mandatsregie¬ 
rung ab 1937. Im Rahmen der mitteleuropäischen Alija betrug die Arbeiter¬ 
immigration ein Drittel der legalen Einwanderung; die Jewish Agency regi¬ 
strierte für die Jahre 1933-1941 17000 Immigranten der Kategorie C aus dem 
Deutschen Reich. 

Jugendalija 

Eine neue Form der Einwanderung, die im Zuge der mitteleuropäischen 
Alija ins Leben gerufen wurde, war die Jugendalija. Sie wurde 1932 in 
Deutschland als ein Projekt begonnen, dessen Ziel es war, Jugendliche zur 
Ausbildung nach Palästina zu überführen. Unter der dynamischen Leitung 
von Henrietta Szold entwickelte sich diese Idee zu einem humanitären und 
erzieherischen Werk großen Stils. Unter Ausnutzung einer besonderen Ein¬ 
wandererkategorie, die in den Immigrationsbestimmungen vorgesehen war, 
wurden Kinder und Jugendliche im Alter von 12-18 Jahren, deren Eltern 
noch nicht eingewandert waren, nach sorgfältiger Auswahl in Deutschland, in 
organisierten Gruppen nach Palästina gebracht, wo sie in Kollektivsiedlungen 
und in ländlichen Erziehungsanstalten Unterricht und berufliche Ausbildung 
erhielten. Die erste Gruppe der Jugendalija kam im Februar 1934 in Flaifa 
an, und bis zum Ausbruch des Weltkrieges nahm die Jugendalija 4788 Kinder 
und Jugendliche auf; weitere 2618 konnten in den Kriegsjahren nach Palä¬ 
stina gebracht werden, da es gelungen war, sie aus den von den Nazis be¬ 
setzten Gebieten in andere Länder zu überführen. Von diesen insgesamt 7406 
Zöglingen der Jugendalija stammten 4891 aus Deutschland und 2515 aus 
Österreich und der Tschechoslowakei. 

Die aus der Not der Zeit geborene Jugendalija ist eine feste Institution der 
Einwanderung und ein integraler Teil des israelischen Erziehungswesens ge¬ 
worden. Von ihrem Beginn im Jahre 1934 bis zum Ende 1969 hat sie mehr 
als 130 000 Zöglingen aus allen Ländern Erziehung und Ausbildung ermög¬ 
licht, und wichtige Kräfte für den Aufbau des Landes sind aus ihr hervor¬ 
gegangen. 

Für die Durchführung des Werkes der Jugendalija war der Geldtransfer aus 
Deutschland eine entscheidende Voraussetzung, da die Flaavara die von den 
Eltern für ihre Kinder gezahlten Unterhaltsgelder regelmäßig transferierte, 
ebenso wie die erheblichen Beträge der Spenden, die in Deutschland für die 
Jugendalija gesammelt wurden. 








96 


Ludwig Pinner 


2. DIE EINORDNUNG DER JUDEN AUS DEUTSCHLAND 
UND IHR BEITRAG ZUM AUFBAU DES JÜDISCHEN PALÄSTINA 

Kapitalimport 

Der jüdische Kapitalimport nach Palästina in den vierzehn Jahren von 
1919/20 bis 1932/33 wird nach einer Untersuchung von A. Ulitzur 8 auf 
LP 58,7 Millionen geschätzt, wovon 44 Millionen (75%) privates Kapital 
waren, während den nationalen Fonds und öffentlichen Institutionen LP 14,7 
Millionen (25%) zuflossen. Die sieben Jahre 1933/34-1939/40 brachten dem 
Land - nach derselben Quelle - eine Kapitaleinfuhr von LP 54,2 Millionen, 
d. h. im Jahresdurchschnitt annähernd doppelt soviel als die Jahre vor der 
fünften Alija. Von dieser letzteren Summe flössen LP 44,5 Millionen (82%) 
in den privaten Sektor. Es entfielen jedoch fast zwei Drittel dieser Summe 
auf die ersten drei Jahre des obengenannten Zeitraums, die einen Jahres¬ 
durchschnitt von LP 9 Millionen aufweisen. Das Einströmen so großer Geld¬ 
beträge in die kapitalschwache Wirtschaft des Jischuw mußte natürlich eine 
Hochkonjunktur auslösen. In dem folgenden Zeitabschnitt, 1935/36-1939/40, 
schrumpfte der private Kapitalimport auf weniger als die Hälfte, LP 4 Mil¬ 
lionen im Durchschnitt dieser vier Jahre, und beruhte entscheidend auf der 
Kapitalisten-Einwanderung aus Deutschland, die durch die Haavara ermög¬ 
licht wurde. 

Der Anteil der deutschen Alija an dem privaten Kapitalimport ist schwer 
zu bestimmen. Der Haavara-Transfer betrug, wie in Kapitel II erläutert, ein¬ 
schließlich der Reichsbankdevisen nur LP 8,1 Millionen; aber sehr große Be¬ 
träge wurden außerhalb der Haavara von Juden nach Palästina transferiert, 
z. B. durch Sperrmark-Verkäufe, für die das Disagio in den ersten Jahren des 
Naziregimes noch relativ erträglich war 9 ; durch Transfer-Sondergenehmigun¬ 
gen, die bis 1935 noch erheblichen Umfang hatten; durch Überweisung von 
Auslandsguthaben deutscher Juden; und auf mannigfachen anderen Wegen. 
Auch die Einwanderung aus Österreich und der Tschechoslowakei, die 3000 
Einwanderer der Kapitalistenkategorie enthielt, lieferte einen beträchtlichen 
Beitrag zum Kapitalimport; hierzu gehörte auch ein Betrag von £St. 500 000,-, 
den die britische Regierung zur Verfügung stellte, um - nach der Konferenz 
von München 1938 — jüdisches Vermögen aus der Tschechoslowakei nach Palä¬ 
stina zu transferieren. 

Einen gewissen Anhaltspunkt für die Kapitaleinfuhr bietet die Anzahl der 
Kapitalisten-Zertifikate, die für die Einwanderung aus Deutschland 45% 


8 A. Ulitzur , Nationales Kapital und Palästinaaufbau (hebräisch), Jerusalem 1939. 
Die Jahresangaben beziehen sich auf die Jahre des jüdischen Kalenders, die im Herbst, 
meist im September, beginnen. 

9 Siehe Sperrmark-Tabelle in Kapitel II, S. 81. 























Die Bedeutung der Einwanderung aus Deutschland 


97 


und für die mitteleuropäische Einwanderung 52 °/o der gesamten Kapitalisten- 
Einwanderung betrug. Eine Enquete der Jewish Ageny ergab für 1082 Kapi- 
talisten-Zertifikate in den Jahren 1933—1934 ein Durchschnittsvermögen von 
LP 2300,- pro Zertifikat; in den späteren Jahren war jedoch das eingeführte 
Vermögen der Kapitalisten-EinWanderer erheblich niedriger. Unter Berück¬ 
sichtigung aller bekannten Tatsachen dürfte das von der mitteleuropäischen 
Alija eingeführte Privatkapital auf annähernd 45 °/o des gesamten privaten 
Kapitalimports zu veranschlagen sein. Legt man die Schätzung von Ulitzur 
zugrunde, so ergibt sich ein Betrag in der Größenordnung von etwa LP 20 
Millionen. 

Während die Privatwirtschaft des Jisdiuw in den Jahren 1936-1940 einen 
scharfen Rückgang der Kapitalzufuhr erlitt, wies der öffentliche Sektor die 
umgekehrte Entwicklung auf. Die sieben Jahre 1933/34-1939/40 führten den 
nationalen Fonds LP 8,4 Millionen zu, und den öffentlichen Institutionen 
LP 1,3 Millionen. Von diesen LP 9,7 Millionen entfielen ca. zwei Drittel auf 
die Jahre 1936-1940. Die Einnahmen der nationalen Fonds stiegen von Jahr 
zu Jahr: von LP 700 000,- im Jahre 1933/34 bis LP 1,7 Millionen im Jahre 
1939/40. Die Haavara hatte an der gesteigerten Geldaufbringung für den 
öffentlichen Sektor einen beachtlichen Anteil, da sie sowohl durch den Fonds¬ 
transfer aus Deutschland als auch durch ihre Finanztransaktionen dem Jüdi¬ 
schen Nationalfonds und den öffentlichen Kolonisationsinstituten beträcht¬ 
liche Mittel zuführte. Hinzu kamen die in der jüdischen Welt gesammelten 
Spenden für die Ansiedlung deutscher Juden, die sich auf über LP 1 Million 
beliefen. 

Der gegensätzliche Verlauf der Kapitaleinfuhr für den öffentlichen und 
privaten Sektor spiegelte sich in der Landesentwicklung wider. Während die 
von privater Initiative und Investition abhängige städtische Wirtschaft nach 
einer dreijährigen Hochkonjunktur 1936 in eine Periode der Depression ge¬ 
riet, die bis Ende 1940 anhielt, war die Lage im ländlichen Sektor eine andere. 
Die Ausdehnung der Zitruswirtschaft, die im wesentlichen auf privatem An¬ 
lagekapital beruht hatte, kam zwar 1936 zum Stillstand. Demgegenüber er¬ 
weiterte und festigte sich das nationale Kolonisationswerk ständig im Ver¬ 
lauf der fünften Alija. Von 1933 bis 1940 wurden hundert neue landwirt¬ 
schaftliche Siedlungen gegründet, sechzig davon in den letzten vier Jahren. 
Die gemischte Landwirtschaft, die die Grundlage des zionistischen Siedlungs¬ 
werks bildete, konnte in diesen Jahren bedeutende Fortschritte durch Intensi¬ 
vierung und agrotechnische Verbesserung verzeichnen. 

Kapitalanlage 

Der wirtschaftliche Effekt des dem Jischuw zugeführten Kapitals läßt sich 
nicht allein, und nicht einmal in erster Linie, an der Höhe der Geldbeträge 
messen, die ins Land kamen. Von ausschlaggebender Bedeutung für den Aus- 


7 LBI 26 Haavara-Transfer 






98 


Ludwig Pinner 


bau der Produktionsbasis war die Richtung und Art der Investition der ein¬ 
geführten Kapitalien. Während die Anlage des nationalen Kapitals mehr oder 
weniger in denselben Bahnen erfolgte wie vor der fünften Alija und in der 
Hauptsache der Erweiterung des landwirtschaftlichen Siedlungswerkes diente, 
trat in der Anlage des privaten Kapitals eine bedeutsame Veränderung ein, 
die entscheidend der mitteleuropäischen Einwanderung zuzuschreiben ist und 
zum Teil auch durch die Formen des Transfers bedingt war. 

Die mittelständischen Einwanderer der vierten Alija hatten ihr Vermögen 
überwiegend in Liegenschaften angelegt. Bodenkauf, Häuserbau und Zitrus- 
pflanzungen hatten 80°/o der Kapitalanlagen absorbiert und nur je 5 °/o waren 
in Industrie und Handel angelegt 10 . Demgegenüber ergab eine 1933-34 bei 
1082 A 1 -Immigranten angestellte Untersuchung der Jewish Agency, daß 
26% in Industrie und Handwerk und 17% im Handel investiert wurden, 
insgesamt also 43% gegenüber 10% in der früheren Enquete. Es unterliegt 
keinem Zweifel, daß diese Verlagerung der Kapitalanlagen vor allem durch 
die Einwanderer aus Deutschland bewirkt wurde. Das geht u. a. auch aus der 
Tatsache hervor, daß diese Anlagetendenz sich noch verstärkte, als die Kapi- 
talisten-Einwanderung aus anderen Ländern sich stark verminderte. 

Nichtsdestoweniger blieb von der Gesamtinvestition auch in der Zeit der 
fünften Alija der Bau von Wohnhäusern die umfangreichste Sparte für pri¬ 
vate Kapitalanlagen, an denen sich nicht nur Einwanderer, sondern auch der 
eingesessene Jischuw beteiligte. Ulitzur schätzt sie auf ungefähr die Hälfte 
der privaten Kapitalinvestition. Die Einwanderer aus Deutschland, die natür¬ 
lich als Wohnungsreflektanten einen gewichtigen Faktor für den Baumarkt bil¬ 
deten, spielten als Bauherren in der Erstellung von Mietshäusern eine relativ 
bescheidene Rolle, wenn auch ein Teil von wohlhabenderen Einwanderern 
Wohnhäuser und Villen errichtete, wodurch u. a. die Entwicklung des Karmel 
als Wohngebiet einen Auftrieb erhielt. Demgegenüber war der Beitrag der 
deutschen Alija zur Finanzierung des Wohnungsbaus von beträchtlicher Be¬ 
deutung. Viele deutsche Juden legten einen Teil ihres transferierten Ver¬ 
mögens in Pfandbriefen der General Mortgage Bank an, die dadurch instand 
gesetzt wurde, den Umfang des von ihr gewährten Hypothekenkredits zu 
verzehnfachen und den Zinssatz herabzusetzen. Von Bedeutung war auch der 
„Bautransfer“ * 11 der Haavara, bei dem der Gegenwert des für ein Haus aus 
Deutschland importierten Baumaterials als zweite Hypothek eingetragen 
wurde, was eine Beleihung bis zu 70% des Bauwerts ermöglichte. Der Be- 


10 The Jewish Population of Palestine, a.a.O., S. 68. 

11 Siehe Kapitel II, S. 56 f. 































Die Bedeutung der Einwanderung aus Deutschland 


99 


trag, der aus diesen zwei Quellen der Baufinanzierung zufloß, ist auf LP 2,5 
Millionen zu veranschlagen 12 . 

Eine andere Veränderung der Investitionsrichtung war in der Landwirt¬ 
schaft zu verzeichnen. Das Schwergewicht der privaten Anlagen verlagerte 
sich von Zitruspflanzungen zur gemischten Landwirtschaft, verursacht durch 
die 1936 zum Stillstand gekommene Ausdehnung der Zitruswirtschaft und 
durch die mittelständischen Siedler der fünften Alija, die ihr Vermögen in 
gemischt-wirtschaftlicher Ansiedlung investierten. 

Industrie und Handel 

Palästina war bis in den Anfang der dreißiger Jahre im wesentlichen ein 
Agrarland, auf primitiver Entwicklungsstufe, in dem die jüdischen Siedlungen 
nur eine relativ kleine, technisch fortgeschrittenere Enklave darstellten. Indu¬ 
strie und Handel waren größtenteils kapitalschwach und rückständig und für 
die Wirtschaft des Landes von zweitrangiger Bedeutung. Auch die objektiven 
Landesbedingungen standen einer industriellen und kommerziellen Entwick¬ 
lung im Wege. Die Mandatsregierung tat nichts zur Förderung der einheimi¬ 
schen Industrie, die dem Dumping durch ausländische Waren schutzlos aus¬ 
gesetzt war. Normaler Industrie- und Handelskredit war kaum erhältlich, 
und das geringe Potential einer städtischen Käuferschicht, die in Jerusalem, 
Tel-Aviv, Jaffa und Haifa nur 124000 Personen 13 mit teilweise niedrigem 
Lebensstandard umfaßte, war eine unsichere Absatzbasis. Die Einwanderer 
der vierten Alija hatten zwar den Städten einen plötzlichen Auftrieb gegeben, 
der die Einwohnerzahl von Tel-Aviv und Haifa verdreifacht hatte, aber das 
gewerbliche Fundament der städtischen Bevölkerung blieb schwach. In den 
Jahren 1924-1926 war freilich eine nicht unerhebliche Zahl mittlerer und 
kleiner Industriebetriebe entstanden, aber sie waren großenteils finanziell un¬ 
fundiert und meist technisch rückständig, und viele gerieten in der Krise der 
Jahre 1926-1930 in Schwierigkeiten. 

Die Majorität der mitteleuropäischen Einwanderer - etwa zwei Drittel - 
ließ sich in Tel-Aviv, Haifa und Jerusalem nieder, und es war hier, wo der 
Einfluß dieser Einwanderergruppe sich vor allem auswirkte und das wirt¬ 
schaftliche und gesellschaftliche Leben weitgehend verwandelte. Dieser Prozeß 
wurde insbesondere von der deutschen Alija gefördert, denn mit ihr kam 
eine Einwanderergruppe ins Land, die mehr oder weniger der normalen Be¬ 
rufsschichtung der deutschen Judenheit entsprach. Eine Untersuchung der 
Jewish Agency 14 über die Berufe von 15 257 erwerblich tätigen Immigranten 
aus Deutschland ergab die folgende Berufsverteilung vor der Einwande¬ 
rung: 

12 Dr. E. DaneliuSy Interner Haavarabericht, 1939. 

13 Volkszählung durch die Mandatsregierung im Jahre 1931. 

14 The Jewish Population of Palestine, a.a.O., Table 16. 


8 LBI 26 Haavara-Transfer 










100 


Ludwig Pinner 


Berufsgliederung der deutschen Alija vor der Einwanderung 


Handel 

28,5% 

Industrie und Handwerk 

23,4% 

Freie Berufe 

20,4% 

Landwirtschaft 

16,0% 

Beamte 

5,1% 

Arbeiter 

5,0% 

Kultusbeamte 

1,0% 

Transport 

0,6% 


100 °/o 15 


Mehr als die Hälfte der Einwanderer war demnach in ihrem Herkunfts¬ 
lande in Industrie, Handwerk und Handel tätig gewesen, die meisten in selb¬ 
ständigen Positionen. Sie waren gezwungen, so schnell wie möglich nach ihrer 
Einwanderung für sich und ihre Familie eine Existenz zu finden. Bei der Be¬ 
grenztheit der geretteten Vermögen kamen Zitruspflanzungen und Häuser 
meist nicht in Frage. Es war natürlich, daß sie bestrebt waren, ihr Kapital in 
einem ihnen vertrauten Wirtschaftszweig zu investieren, der den Einsatz ihrer 
fachlichen Kenntnisse und persönlicher Arbeit ermöglichte. So setzte ein 
rascher industrieller Aufschwung ein, der von den neuen Einwanderern ver¬ 
ursacht wurde, und Hunderte von mittleren Fabrikationsbetrieben und Werk¬ 
stätten wurden ins Leben gerufen, teilweise in neuen Industrievierteln kon¬ 
zentriert, wie z. B. in der Haifa-Bay. Aber auch bestehende Betriebe wurden 
durch Partnerschaft mit neuen Einwanderern, die zusätzliches Kapital und 
modernere Ausstattung mitbrachten, erweitert und rentabler gemacht. 

Wichtiger vielleicht als die Ausdehnung der industriellen Erzeugung war 
die Hebung des fachlichen Niveaus. Die nach europäischem Vorbild einge¬ 
führten Produktions- und Verkaufsmethoden trugen wesentlich dazu bei, die 
jeder neuen Industrialisierung anhaftenden Kinderkrankheiten schneller zu 
überwinden. Eine wichtige Rolle spielte hierbei der von der Haavara geför¬ 
derte „Eigentransfer“, der zusätzlichen Vermögenstransfer durch Import von 
Maschinen und Materialien für den eigenen Betrieb erlaubte. Von dieser Mög¬ 
lichkeit konnten auch größere Unternehmen durch Aktienausgabe an Trans¬ 
ferenten Gebrauch machen. Einige noch heute führende Firmen der Lebens- 

15 Die in Kapitel II, S. 37 angeführte Berufsverteilung der Juden in Deutsch¬ 
land, die auf der Volkszählung im Juni 1933 beruht, weicht von der hier zitierten 
Einwandererstatistik in einzelnen Erwerbszweigen, z. B. Handel und Landwirtschaft, 
erheblich ab. Die Unterschiede sind teilweise erklärbar durch Verschiedenheit der 
statistischen Methoden und Stichtage, durch unvollkommene Erfassung der Einwan¬ 
derer und durch Berufswechsel der deutschen Juden in der Verfolgungszeit nach 1933. 
So ist der auffallend hohe Prozentsatz von Landwirten unter den Einwanderern, 
16% gegenüber 1,7% der deutschen Statistik, offenbar verursacht durch die vielen 
Jugendlichen, die sich auf ihre Einwanderung durch landwirtschaftliche Ausbildung 
vorbereiten. 































Die Bedeutung der Einwanderung aus Deutschland 


101 


mittel-, Textil- und Metallbranche erhielten in dieser Weise ihren entscheiden¬ 
den Start. Der in Form von Aktienbeteiligung organisierte Eigentransfer er¬ 
leichterte die Etablierung neuer Betriebe in der Schiffahrt und im Uberland¬ 
verkehr, in der pharmazeutischen Branche, im Baugewerbe und auf anderen 
Gebieten. Interessant war auch die Errichtung eines modernen Privatkranken¬ 
hauses, an dem sich eine Gruppe von Ärzten aus Deutschland als Aktionäre 
beteiligte. 

Großen Nutzen zog natürlich der Importhandel aus dem Haavara-Transfer. 
Die Handelspolitik der Haavara war diktiert von dem dauernd steigenden 
Auswanderungszwang der deutschen Juden, der seinen Ausdruck in riesigen 
bei der Paltreu eingezahlten Markbeträgen fand. Diese Einzahlungen stamm¬ 
ten von Transferenten, die auf die Möglichkeit der Auswanderung warteten. 
Um den Warenimport nach Palästina zu steigern, gewährte die Haavara den 
Importeuren, außer preislichen Vorteilen, ungewöhnlich günstige Kredit¬ 
bedingungen. Dies führte dazu, daß eine Reihe von Importfirmen große 
Warenlager von aus Deutschland beziehbaren Standardwaren auf Vorrat an¬ 
legte, vor allem Röhren und Baueisen. Diese Warenlager bildeten eine will¬ 
kommene Reserve bei der nach Kriegsausbruch einsetzenden Warenknappheit 
und wurden auch von der britischen Armee benutzt. 

Finanzwesen 

Ein anderer Weg, den die Haavara beschritt, um den Warenimport aus 
Deutschland zu steigern, führte zu dem „Emissionstransfer“ 16 . Dieser gab 
einer Anzahl größerer, meist öffentlicher Gesellschaften die Möglichkeit, Wa¬ 
ren für künftigen Gebrauch, vor allem in der Kolonisation, zu importieren 
und sie durch Obligationen und Vorzugsaktien zu bezahlen, die an Trans¬ 
ferenten verteilt und in gewissem Umfang auch von der Regierung als „Vor- 
zeigegeld“ anerkannt wurden. 

Bis zur Einwanderung der deutschen Juden wurde Vermögen nur in städ¬ 
tischen und ländlichen Liegenschaften angelegt und freies Geld in kurz¬ 
fristigen Wechseln oder Bankdepositen. Die an Wertpapieranlagen gewöhnten 
Einwanderer aus Deutschland schufen erstmalig die Möglichkeit eines moder¬ 
nen Finanzmarktes, zu dessen Entwicklung besonders einige nach Palästina 
übersiedelte deutsch-jüdische Banken beitrugen. Die neu entstandene Nach¬ 
frage nach festverzinslichen Wertpapieren ermöglichte es der General Mort¬ 
gage Bank, Emissionen von Pfandbriefen zu plazieren, deren Umlauf so von 
LP 250 000,- im Jahre 1933 auf LP 2,5 Millionen im Jahre 1939 stieg. Ge¬ 
stützt auf dieses Standardpapier rief die Anglo-Palestine Bank (heute Bank 


16 Siehe Kapitel II, S. 57 ff. 








102 


Ludwig Pinner 


Leumi Le-Israel) eine inoffizielle Clearingstelle für Wertpapiere ins Leben, auf 
der auch die von der Haavara in Umlauf gesetzten Effekten gehandelt wur¬ 
den. Im Jahre 1939 betrug das Volumen der an diesem Markt notierten Pa¬ 
piere LP 4,5 Millionen, von denen mehr als 80% in Händen deutscher Juden 
waren. Aus dem damals gegründeten Clearinghaus entwickelte sich später die 
Tel-Aviver Börse. 

Städtische Entwicklung und Lebensstil 

Wenn schon die Betätigung der deutschen Juden als Industrielle und Inve¬ 
storen ausschlaggebend für die Entwicklung war, die die Wirtschaft des 
Jischuw aus dem vorindustriellen und vorkapitalistischen Stadium heraus¬ 
führte, so war ihr Einfluß als Konsumenten nicht weniger bedeutsam. Die aus 
Mitteleuropa mitgebrachten Gewohnheiten und Ansprüche veränderten den 
Stil des städtischen Lebens, und die neuen Bedürfnisse waren auch Ansporn 
und Voraussetzung für neue Gewerbe. 

Eine augenfällige Neuerung machte sich im Detailhandel bemerkbar, der 
sich im ganzen in den Formen der osteuropäischen Kleinstadt vollzogen 
hatte. Zersplittert in zahllose, oft winzige Läden, unansehnlich in der Auf¬ 
machung und wenig spezialisiert, waren die Gesdiäfte auf eine anspruchslose 
Käuferschicht zugeschnitten. Nun tauchten nach und nach modernere, gut 
assortierte Läden auf und eine größere Spezialisierung setzte sich durch. Man 
fing an, der Schaufensterdekoration Beachtung zu schenken und der Begriff 
des Kundendienstes begann Fuß zu fassen. 

Auch in dem überwiegend sehr rückständigen Gasthausgewerbe hob sich das 
Niveau durch Etablierung von besser gepflegten Hotels und durch Eröffnung 
von Restaurants und Kaffeehäusern, die nach europäischen Vorbildern ge¬ 
führt wurden. Ein bis dahin kaum entwickelter Wirtschaftszweig erstand 
durch Errichtung von Erholungsstätten und modernen Hotels (z. B. auf dem 
Karmel, am Tiberiassee und in Kallia am Toten Meer) und Einrichtungen für 
Ferienaufenthalt, wie sie in Naharia organisiert wurden. Dieser Wirtschafts¬ 
zweig, dem die großen Klimaunterschiede der einzelnen Landesteile eine be¬ 
sondere Chance bieten, gewann erhebliche Bedeutung als Erwerbsgrundlage 
für bestehende und neu entstandene Siedlungspunkte. 

Ein markanter Wandel setzte sich auf dem Gebiet des städtischen Häuser¬ 
baus und Wohnwesens durch. Die deutschen Großstädte besaßen einen selbst 
für Europa hohen Wohnstandard. Die Einwanderer, die großenteils ihre 
Möbel, Bücher, Bilder etc. mitgebracht hatten, mußten durch ihre Bedürfnisse, 
wie weit sie auch ihre Ansprüche herabsetzen mochten, den üblichen Standard 
des Wohnungsbaus verändern. Ihre Geschmacksrichtung beeinflußte den Stil 
des Häuserbaus, an deren Errichtung neu eingewanderte Architekten mit¬ 
wirkten. Die Pflege von Vorgärten bürgerte sich ein. Die Bedürfnisse einer 




























Die Bedeutung der Einwanderung aus Deutschland 


103 


schnell aufkommenden Wohnkultur gaben die Grundlage für die Entstehung 
neuer und mannigfaltiger Gewerbszweige, von denen besonders das hohe 
Niveau des Kunstgewerbes Erwähnung verdient. Der von den mitteleuro¬ 
päischen Einwanderern eingeführte Stil des Lebens und die ihnen selbstver¬ 
ständlichen gesellschaftlichen Vorstellungen wurden allmählich von weiten 
Kreisen des städtischen Jischuw akzeptiert. Sie gewannen auch Einfluß auf 
öffentliche Behörden und örtliche Verwaltungen, was sich in städtischer Pla¬ 
nung und öffentlichen Diensten auswirkte. Ein Gebiet, das besonders von der 
deutschen Alija gefördert und auf neuzeitliche Grundlagen gestellt wurde, 
war die Sozialfürsorge, dem diese Alija eine große Zahl von geschulten Kräf¬ 
ten zuführen konnte. 

Die zweite und dritte Alija hatte den Idealtypus des opferbereiten, an¬ 
spruchslosen Pioniers geschaffen, der sich in dem nationalen Siedlungswerk 
ausgeprägt hatte, aber im Grunde auch für den städtischen Jischuw als norma¬ 
tives Image anerkannt war. Mit dem Wandel, den die fünfte Alija mit sich 
brachte, blieb die frugale Lebensform der Pionierzeit nur noch in den land¬ 
wirtschaftlichen Siedlungen vorherrschend. Die Städte unterlagen durch den 
Einfluß der mitteleuropäischen Einwanderung einer tiefgreifenden Verände¬ 
rung, die Handel und Wandel des täglichen Lebens und das äußere Stadtbild 
umgestaltete. Die Vervierfachung der Bevölkerung von Tel-Aviv und Haifa 
sprengte den kleinstädtischen Rahmen, und der höhere Standard der Lebens¬ 
haltung sowie neuzeitliche Formen der Güterverteilung verwandelten den von 
der vierten Alija geprägten Stil des städtischen Lebens. Eine neue Epoche war 
angebrochen, die - wenn auch noch weit davon - schließlich zu der Konsu- 
menten-Ära der „affiuent society“ führte. 

Landwirtschaftliche Siedlung 

In Deutschland waren nach der Volkszählung von 1933 nur 1,7% der 
Juden in der Landwirtschaft berufstätig gewesen; in Palästina nahm der land¬ 
wirtschaftliche Beruf (ohne Lohnarbeiter) 11-12 000 Personen, ca. 16% der 
Einwanderer aus Deutschland auf, was ungefähr der damaligen Berufsgliede¬ 
rung des Jischuw entsprach, - ein bemerkenswert hoher Prozentsatz unter 
Berücksichtigung der sozialen Schichtung der deutschen Alija. Etwa die Hälfte 
der landwirtschaftlichen Siedler schloß sich der Arbeiterkolonisation an; drei 
Viertel von ihnen ging in „Kibbuzim“ und die übrigen siedelten in „Mo- 
schawim“ 17 . Die Siedler waren größtenteils junge Menschen, von denen die 
meisten im Rahmen der „Hechaluz“-Bewegung oder in der Jugendalija land¬ 
wirtschaftliche Vorbildung erhalten hatten. 


17 „Kibbuz“ bezeichnet die kollektive und „Moschaw“ die individuelle, koopera¬ 
tiv-gebundene Siedlungsform der Arbeiterbewegung. 







104 


Ludwig Pinner 


Für die Arbeiterkolonisation, die sich in den Jahren der fünften Alija stark 
erweiterte, bedeutete der Zuwachs von Tausenden von neuen, gut ausgebilde¬ 
ten Mitgliedern eine große Stärkung. Die Majorität schloß sich bestehenden 
Siedlungen an, aber auch einige neue Plätze wurden durch Siedlergruppen der 
deutschen Alija gegründet. Während die Arbeiterkolonisation die in der zwei¬ 
ten und dritten Alija entwickelten Formen beibehielt, entstand in der Mittel¬ 
standssiedlung ein neuer, für die deutsche Alija charakteristischer Siedlungstyp. 

Im Widerspruch zu allen Erfahrungen der bisherigen Kolonisation siedel¬ 
ten sich Menschen mittleren Alters, die ohne berufliche Vorbereitung aus 
städtisch-bürgerlichem Milieu kamen, in bäuerlichen Wirtschaften an, in die 
sie ihr gesamtes Vermögen investierten. Auch in der vierten Alija hatte eine 
beträchtliche Zahl von Mittelständlern sich landwirtschaftlich angesiedelt und 
im Scharon eine R.eihe von namhaften Kolonien gegründet. Aber diese be¬ 
ruhten monokulturell auf Zitruspflanzungen, die im wesentlichen durch Lohn¬ 
arbeit erhalten wurden, während die Siedler der deutschen Alija intensiv be¬ 
triebene Gemischtwirtschaften, zum Teil auf minimalen Bodeneinheiten, er¬ 
richteten, die auf Selbstarbeit der Siedler zugeschnitten waren. Annähernd 
tausend Familien ließen sich in landwirtschaftlichen Vollwirtschaften nieder, 
und einige hundert errichteten sogenannte „Hilfswirtschaften“, in der Ab¬ 
sicht, die Einnahmen der anderweitig beschäftigten Inhaber durch landwirt¬ 
schaftliche Produktion zu ergänzen. 

Verschiedene Umstände trugen dazu bei, Mittelstandseinwanderer aus 
Deutschland zur landwirtschaftlichen Siedlung zu veranlassen: Für viele Ein¬ 
wanderer war die Fortsetzung ihrer früheren Berufe in Palästina unmöglich 
und ihr Kapital reichte nicht aus, um in der Stadt von den Einnahmen zu 
leben. Die Anlage des geretteten Vermögens in ländlichem Besitz und seine 
Produktivierung durch Arbeit der Familie in einer Wirtschaft schien eine 
relative Sicherheit zu bieten. Als wichtiges Moment kam hinzu, daß für land¬ 
wirtschaftliche Siedlung günstige Transferbedingungen der Haavara bestan¬ 
den, die jedoch größtenteils eine Entscheidung schon vor der Auswanderung 
erforderten. Aber auch psychologische Motive spielten eine Rolle: Die seelische 
Erschütterung von Juden, deren bürgerlich gesicherte Existenz plötzlich zu¬ 
sammengebrochen war, machte manche von ihnen reif für eine radikale Um¬ 
stellung der Existenzgrundlage. Hinzu kam die im deutschen Zionismus be¬ 
tonte Ideologie der Rückkehr zum Boden und zur körperlichen Arbeit. 

Die Majorität der Mittelstandssiedler - rd. 700 Vollwirtschaften und 100 
Hilfswirtschaften — befand sich in zwölf landsmannschaftlich geschlossenen 
Siedlungen, die von ihnen in der Küstenebene errichtet wurden 18 . In elf von 


18 Die Namen dieser Siedlungen, nach ihren Gründungsdaten geordnet, sind: 
Ramoth Haschawim, Kfar Bialik, Gan Haschomron, Naharia, Kfar Jedidja, Kfar 

































Die Bedeutung der Einwanderung aus Deutschland 


105 


diesen Dörfern sind die einzelnen Wirtschaften selbständig geführte bäuerliche 
Betriebe, aber alle Siedler sind Mitglieder einer Kooperative, die den Wirt¬ 
schaften Wasser und alle für den Betrieb nötigen Materialien liefert, die 
Produkte vermarktet und für Instruktion und laufenden Kredit sorgt. - 
Nur Schawej Zion stellt eine Kollektivsiedlung eigener Prägung dar. - Der 
Erfolg dieser Siedlungen ist zum großen Teil auf die kooperative und lands¬ 
mannschaftlich einheitliche Siedlungsform zurückzuführen, die auch eine an¬ 
gemessene Planung und wirksame Betreuung durch öffentliche Institutionen 
ermöglichte, zu denen vor allem die „RASSCO“ (Rural and Suburban Settle¬ 
ment Company) und die Siedlungsabteilung der Jewish Agency für den Mittel¬ 
stand gehörten. Alle diese Dörfer erweiterten nach der Staatsgründung ihren 
Umfang, z. T. auf mehr als das Doppelte, indem sie Mittelstandseinwanderer 
aus allen Ländern aufnahmen. 

Gegen 300 Familien ließen sich als Einzelsiedler in alten Kolonien nieder, 
z. T. in größeren Gruppen. Die Schwierigkeiten der Anpassung waren für 
diese Siedler erheblich größer als in den landsmannschaftlichen Dörfern und 
dementsprechend waren auch Fehlschläge häufiger. 

Das in den landwirtschaftlichen Vollwirtschaften von dem Siedler inve¬ 
stierte Kapital schwankte zwischen LP 700,- und LP 2500,-. Es wurde durch 
relativ kleine Anleihen ergänzt, die von dem „Central Bureau for the Settle¬ 
ment of German Jews“, der sogenannten „Deutschen Abteilung“, und der Ab¬ 
teilung für Mittelstandssiedlung der Jewish Agency langfristig gegeben wur¬ 
den. Der Transfer war für das gesamte jüdische Siedlungswerk von großer 
Bedeutung. Die Haavara transferierte für die Mittelstandssiedler aus 
Deutschland das zur Einwanderung und Ansiedlung benötigte Geld, und sie 
beschaffte das Betriebskapital für die dem Mittelstand dienenden Siedlungs¬ 
gesellschaften, von denen die RASSCO die wichtigste Rolle spielte. 

Aber auch für die allgemeine Kolonisation war der Transfer von hohem 
Nutzen. Der Keren Kajemeth Leisrael (Jüdischer Nationalfonds), der den 
Boden für die nationale Kolonisation zur Verfügung stellte, erlangte durch die 
Haavara einen ansehnlichen, günstigen Kredit, und die Gesellschaften PASA 
und „Nir“ Finanzierung von einigen hunderttausend Pfund, die als lang¬ 
fristige Darlehen der Kolonisation zuflossen. Auch die heute das ganze Land 
mit Wasser versorgende Gesellschaft „Mekoroth“ erhielt ihren finanziellen 
Start durch den Transfer. Außer der über die Haavara geschaffenen Siedlungs¬ 
finanzierung wurden noch große Beträge aus dem Budget der „Deutschen 
Abteilung“ der Jewish Agency als Anleihen an Arbeitersiedlungen gegeben, 
die Einwanderer aus Deutschland aufnahmen. 



Sdimarjahu, Ramat Hadar, Sdeh Warburg, Schawej Zion, Beth Jizchak, Scha’ar 
Chefer und Nira. 










106 


Ludwig Pinner 


Die Siedlungsarbeit der Jewish Agency hatte in den Jahren 1927-1931 
aus Mangel an Mitteln eine Periode der Stagnation durchgemacht. Mit der 
fünften Alija begann ein neuer Aufschwung der nationalen landwirtschaft¬ 
lichen Kolonisation. Die ausgedehnten Ländereien, die der Keren Kajemeth 
erworben hatte (z. B. im Emek Chefer und im westlichen Galiläa), mußten an¬ 
gesichts der politischen Gefahren so schnell wie möglich besiedelt werden, und 
Tausende von jungen Einwanderern drängten zur Ansiedlung. In den Jahren 
1932-1940 wurden 110 landwirtschaftliche Siedlungspunkte gegründet und 
gleichzeitig eine Konsolidierung von bestehenden, zum Teil unterbesetzten 
Siedlungen durchgerührt. Dieses für die Zukunft des Landes so entscheidende 
Siedlungsprogramm wäre kaum durchführbar gewesen ohne den Beitrag, den 
der Haavara-Transfer und die Menschen der deutschen Alija für das Koloni¬ 
sationswerk geleistet haben. 

Der kulturelle Beitrag der deutschen Alija 

Der Einfluß der mitteleuropäischen Einwanderergruppe auf die Entwick¬ 
lung des jüdischen Palästina fand seinen Ausdruck nicht nur in der wirtschaft¬ 
lichen und gesellschaftlichen Sphäre; er war auch bedeutungsvoll im kulturel¬ 
len Bereich, auf wissenschaftlichem und künstlerischem Gebiet. In keinem 
Lande der Welt hatten die Juden einen so großen Anteil am geistigen Leben 
des Wirtsvolkes gehabt wie in Deutschland. Gerade gegen die Berufe der 
Akademiker, V/ lssenscnaftler und Künstler richteten sich die ersten antijüdi¬ 
schen Maßnahmen der Nationalsozialisten. Eine große Zahl bedeutender 
Wissenschaftler und Künstler fand in Amerika und England Asyl, aber auch 
die Einwanderung nach Palästina umfaßte einen hohen Anteil an freien Be¬ 
rufen, wie der auf Seite 100 erwähnte hohe Prozentsatz an freien Berufen der 
aus Deutschland eingewanderten Juden beweist. Durch einen solchen Zu¬ 
strom von in Europa ausgebildeten Menschen, darunter Persönlichkeiten, die 
auf ihrem Gebiet führend gewesen waren, erhielt das jüdische Gemeinwesen 
in einem frühen Entwicklungsstadium einen Stab von geistigen und fach¬ 
wissenschaftlichen Kräften, die auf dem Niveau eines hochentwickelten Lan¬ 
des standen. 

Von den eingewanderten Akademikern gehörte über ein Drittel dem medi¬ 
zinischen Berufe an. Die Konzentration einer so großen Zahl von qualifizier¬ 
ten Ärzten und Wissenschaftlern und die moderne Ausstattung der Kranken¬ 
häuser, die der Transfer ermöglicht hatte, machten Palästina zu einem medizi¬ 
nischen Zentrum ersten Ranges, von dem auch die Nachbarländer profitierten. 
Es versteht sich, daß die Einwanderung der vielen akademisch ausgebildeten 
Fachleute mannigfache Gebiete der Wirtschaft und Technik und der öffent¬ 
lichen Dienste befruchtete. Von besonderer Bedeutung war es für die Ent¬ 
wicklung des Hochschulwesens, daß Wissenschaftler von Rang in den Stab der 


























Die Bedeutung der Einwanderung aus Deutschland 


107 


jungen Lehr- und Forschungsstätten eintraten. Auf künstlerischem Gebiet ist 
vor allem der Beitrag der deutschen Alija zum Musikleben hervorzuheben. 
Das von Bronislaw Hubermann ins Leben gerufene Philharmonische Orche¬ 
ster, das heute internationalen Ruf genießt, wurde bei seiner Gründung (1936) 
fast ausschließlich mit Künstlern besetzt, die die Naziregierung aus Deutsch¬ 
land vertrieben hatte. Wenn aber ein so ambitiöses Unternehmen wie ein 
philharmonisches Orchester, das zu dirigieren ein Arturo Toscanini bereit war, 
sich in dem kleinen Lande halten konnte, so war das nicht zum geringsten dem 
Umstand zu verdanken, daß es in den mitteleuropäischen Einwanderern ein 
musikgeschultes und begeistertes Publikum vorfand. 

3. DIE KOLLEKTIVLEISTUNG DER DEUTSCHEN ALIJA 

Von rd. 500 000 Juden, die im Jahre 1940 das jüdische Gemeinwesen in 
Palästina bildeten, waren nur rd. 75 000 Einwanderer (einschließlich Ma’api- 
lim), die seit 1933 aus Mitteleuropa gekommen waren, und von diesen stamm¬ 
ten ca. 55 000 aus Deutschland. Aber diese Einwanderergruppe hatte die wirt¬ 
schaftliche Struktur und das gesellschaftliche Gepräge des Jischuw tiefgreifend 
verändert und einen ausschlaggebenden Beitrag zu seiner Entwicklung ge¬ 
leistet. Unter ihrer Beteiligung und Einwirkung hatte sich die industrielle 
Produktion verdoppelt, die Technik modernisiert, und die erzeugten Waren 
kamen allmählich in Auswahl und Qualität auf ein europäisches Niveau. 
Hunderte von Werkstätten handwerklicher und kunstgewerblicher Art waren 
entstanden und konnten die Bedürfnisse der Industrie und einer anspruchs¬ 
voller gewordenen Käuferschicht befriedigen. Die Wirtschaftskrise, die Mitte 
1936 einsetzte, stellte viele der jungen Fabriks- und Handwerksbetriebe auf 
eine schwere Probe; als aber der Weltkrieg Palästina vom Auslandsimport ab- 
schnitt und die Industrie den gesamten Landesbedarf zu decken und auch 
Heeresaufträge auszuführen hatte, konnten die Industriebetriebe ihre Kapa¬ 
zität voll ausnutzen und sich konsolidieren. Von 1940 bis 1943 stieg die indu¬ 
strielle Produktion auf das Vierfache. Die Transaktionen der Haavara und 
die den deutschen Juden geläufigen Formen der Geldinvestierung bewirkten 
die Entstehung eines kapitalistischen Anlagemarktes, der langfristige Finan¬ 
zierung für den Wohnungsbau, für Kolonisation und Industrie ermöglichte 
und die Voraussetzung dafür schuf, Ersparnisse und Geldreserven für den 
Aufbau des Landes fruchtbar zu machen. 

Den sichtbarsten Ausdruck fand der Einfluß der mitteleuropäischen Ein¬ 
wanderer im städtischen Leben. Die Veränderung im Stil der Häuser und 
öffentlichen Anlagen, das Aufkommen einer verfeinerten Wohnkultur, Mo¬ 
dernisierung im Detailhandel, im Hotel- und Gastwirtsgewerbe und neu¬ 
zeitliche Tendenzen in anderen Wirtschaftszweigen verwandelten das Gesicht 








108 


Ludwig Pinner 


der Stadt. Das Niveau der Lebenshaltung stieg und fing an, sich europäischen 
Normen anzugleichen. Die pluralistische Wirtschaft, die im Zuge der fünften 
Alija entstand, war ein Faktor von großer ökonomischer und sozialer Bedeu¬ 
tung; die städtische Wirtschaft und der Arbeitsmarkt, der bis dahin fast nur 
von der Bautätigkeit abhängig gewesen war, gewannen eine breitere und 
stabilere Grundlage. 

Für den landwirtschaftlichen Sektor brachten die Jahre 1933-1940 Fort¬ 
schritte, die das jüdische Siedlungswerk an Umfang und Produktionskraft 
verdoppelten. Diese Entwicklung wurde zu einem wesentlichen Teil durch 
die Siedlungskredite der Institutionen ermöglicht, die im Rahmen des Haa- 
vara-Transfers entstanden waren, sowie durch die Budgetzuweisungen der 
„Deutschen Abteilung“ der Jewish Agency. Auch die Tatsache, daß fast ein 
Fünftel der Einwanderer aus Deutschland sich der Landwirtschaft zuwandte, 
war von großer Bedeutung für den Ausbau der jüdischen Kolonisation. Tau¬ 
sende von jungen Einwanderern aus Mitteleuropa schlossen sich den Arbeiter¬ 
siedlungen an und gegen tausend Familien des Mittelstandes errichteten bäuer¬ 
liche Wirtschaften, die in den kooperativen Mittelstandsdörfern einen neuen 
Siedlungstyp schufen. Das Fundament für die moderne Hühnerwirtschaft, 
die sich in der Folge zu dem wichtigsten Zweig der gemischten Landwirtschaft 
entwickelte, wurde in diesen Mittelstandsdörfern gelegt. 

So gewichtig und vielseitig der materielle Beitrag der deutschen Alija für 
den Aufbau in Stadt und Land war, so war das Menschenmaterial dieser Ein¬ 
wanderung von womöglich größerer Bedeutung für die Gestaltung des jüdi¬ 
schen Gemeinwesens. Die Eingliederung Zehntausender von Werktätigen in 
den Jischuw war ein quantitativ unentbehrlicher Faktor seiner Entfaltung; 
aber darüber hinaus wirkten sich die fachlichen Qualifikationen dieser Ein¬ 
wanderer überall aus, wo sie sich betätigten, und auch gewisse spezifische We¬ 
senszüge der deutschen Juden, die nicht selten als Kennzeichen des „Jecken“ 
ironisiert wurden, wie Ordnungsliebe, Genauigkeit und Disziplin, blieben 
nicht ohne Einfluß auf das berufliche und gesellschaftliche Leben. Der Jischuw 
erhielt in einer entscheidenden Entwicklungsphase ein Reservoir an wissen¬ 
schaftlich und praktisch hochqualifizierten Kräften: Forscher und Lehrer, 
Ärzte und Ingenieure, geschulte Beamte und erfahrene Fachleute der Wirt¬ 
schaft und Technik. Der Einsatz dieser Menschen in Forschungs- und Lehr¬ 
statten, in Wirtschaft und Verwaltung, im öffentlichen Leben und in der Ver¬ 
teidigungsorganisation war von unermeßlicher Bedeutung für die Vorberei¬ 
tung des Jischuw auf die schicksalhaften Aufgaben, die ihm bevorstanden. 




























Die Bedeutung der Einwanderung aus Deutschland 


109 


4. DIE ORGANISATION DER EINWANDERUNG AUS DEUTSCHLAND 

Die mit der fünften Alija nach Palästina eingewanderten deutschen Juden 
machten nur 10% der vor dem Jahre 1933 in Deutschland ansässigen Juden 
aus, aber sie stellten einen repräsentativen Querschnitt der deutschen Juden- 
heit dar. Im beruflichen Schaffen und im Lebensstil den Bedingungen eines 
hochentwickelten, europäischen Landes adaptiert, wurden sie plötzlich in ein 
orientalisch rückständiges Land versetzt, das sich auch im jüdischen Sektor 
noch im vorindustriellen und vorkapitalistischen Wirtschaftsstadium befand. 
Vier Generationen der Assimilation hatten die deutschen Juden aufs engste 
mit der deutschen Kultur verwoben und die jüdischen Bindungen gelockert. 
Sie standen vor der Aufgabe, sich in einem Jischuw einzugliedern, der, in 
jüdischer Tradition verwurzelt, ein Gemeinwesen errichtet hatte, das den 
Nukleus der „Heimstätte des jüdischen Volkes“ darstellte. Die hebräische Um¬ 
gangssprache des Jischuw war den Einwanderern fremd. 

Die öffentlichen und nationalen Institutionen waren nicht vorbereitet, die 
Bedürfnisse einer Einwanderergruppe zu befriedigen, deren Mentalität und 
gesellschaftliche Zusammensetzung von allen vorhergegangenen völlig ver¬ 
schieden war. Daß trotzdem die Absorption der deutschen Alija so weit¬ 
gehend und relativ reibungslos gelungen ist, und daß sie einen so tiefgreifen¬ 
den Einfluß auf alle Sphären des Lebens des Jischuw ausüben konnte, beruhte 
zu einem wesentlichen Teil auf der Organisation dieser Einwanderergruppe. 
Eine Reihe von Institutionen, sowohl in Deutschland wie in Palästina, sorgte 
für die Planung und Vorbereitung der Auswanderung, für den Vermögens¬ 
transfer und für die Einordnung und persönliche Betreuung der Einwande¬ 
rer. Im Gegensatz zu allen anderen Immigrationswellen war die Einwande¬ 
rung der deutschen Juden ein in hohem Maße organisiertes Unternehmen. 
Diese Tatsache ist bemerkenswert, da das Dritte Reich mit ungeahnter Plötz¬ 
lichkeit über die deutschen Juden hereinbrach und sie zur Auswanderung 
zwang, und nur ein verschwindend kleiner Teil von ihnen - weniger als 5 % - 
der zionistischen Bewegung angehört hatte. 

Dem schnellen Ausbau einer umfassenden und institutionell gegliederten 
Organisation und ihrem zweckdienlichen Funktionieren kamen verschiedene 
Umstände zugute. Die Zionistische Vereinigung für Deutschland (ZVfD) war 
eine vorbildlich geführte, demokratische Landesorganisation, die über einen 
Stab von geschulten Kräften und zahlreiche freiwillige Mitarbeiter verfügte. 
Während in den meisten Ländern die Aktionsfähigkeit der zionistischen 
Landsmannschaft durch Parteiungen und Gemeindepolitik geschwächt war, 
hatte die ZVfD verstanden, die landsmannschaftliche Organisation geschlossen 
und lebendig zu erhalten. Die im deutschen Zionismus vorherrschende „prak¬ 
tische“ Richtung bewirkte eine Palästina-nahe Einstellung der führenden 






110 


Ludwig Firmer 


Menschen, besonders in der Jugendbewegung, und es bestand enger Kontakt 
mit der Jewish Agency in Jerusalem, wo deutsche Zionisten wichtige Abtei¬ 
lungen leiteten. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten erweiterte 
sich der Rahmen der ZVfD in schnellem Tempo, und in der durch die Not der 
Zeit bedingten Neuformierung des deutschen Judentums fiel ihr eine führende 
Rolle zu, vor allem in der „ReichsVertretung der deutschen Juden“. Der 
Apparat und die Tätigkeit der ZVfD wurden durch Ausbau des Palästina- 
Amts den Zwecken der Auswanderung nach Palästina dienstbar gemacht. 
Hierzu gehörten: Allgemeine Palästinainformation und Anleitung der Aus¬ 
wanderer, die ein Dickicht von formalen und sachlichen Schwierigkeiten zu 
durchschreiten hatten; berufliche und kulturelle Vorbereitung auf Palästina, 
insbesondere Organisierung von landwirtschaftlicher Ausbildung; Beratung 
der Transferenten und Kooperation mit der Transfergesellschaft „Paltreu“; 
Regelung der Auswanderung in Anpassung an die durch die Jewish Agency 
und den Transfer gegebenen Möglichkeiten 19 . 

Da der Transfer für die Mehrheit der Einwanderer aus Deutschland die 
Voraussetzung für das Immigrationsvisum bildete, fiel der Haavara und ihrer 
Schwesterorganisation Paltreu automatisch eine entscheidende Rolle zu. Sie 
resultierte darin, daß praktisch die gesamte legale Einwanderung aus Deutsch¬ 
land in einem organisierten Rahmen vor sich ging, während in anderen Län¬ 
dern nur die Arbeiterimmigration organisatorisch - durch die Jewish Agency- 
geregelt wurde. War auch die Abhängigkeit der Transferenten durch die Um¬ 
stände der Auswanderungsorganisierung diktiert, so darf doch nicht über¬ 
sehen werden, daß ein hohes Maß von Disziplin und Vertrauen seitens der 
j. ransferenten Vorbedingung für eine optimale Durchführung und ordnungs¬ 
mäßige Abwicklung des Transfers war. Mußten doch die von den einzelnen 
Transferenten bei der Paltreu eingezahlten Markbeträge von der Haavara 
als geldliche Einheit behandelt werden, über die sie frei verfügen konnte, 
während die Auszahlungsbedingungen nach dem Ermessen der leitenden Gre¬ 
mien der Transferorganisation festgesetzt wurden. 

Der persönlichen Betreuung der aus Deutschland nach Palästina Eingewan¬ 
derten und ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Eingliederung in den Ji- 
schuw diente die Hitachduth Olej Germania (HOG) 20 . Diese schon vor 1933 
\on deutschen Juden gegründete Selbsthilfeorganisation wurde nun, den Be¬ 
dürfnissen der großen Alija entsprechend, ausgebaut. Der in den Ämtern der 
fdOG i n Tel-Aviv, Haifa und Jerusalem eingerichtete Bürodienst wurde 


19 Bericht der Zionistischen Vereinigung für Deutschland an den XXV. Delegierten¬ 
tag in Berlin 2.-4. Februar 1936, Verlag der Jüdischen Rundschau. 

~° HOG (Vereinigung der Einwanderer aus Deutschland) dehnte nach dem 
„Anschluß ihre Dienste auch auf die Einwanderer aus Österreich aus. Als Nachfolge¬ 
institution besteht heute der „Irgun Olej Merkas Europa“ (Organisation der Ein¬ 
wanderer aus Mitteleuropa), die sozial und kulturell tätig ist und auch eine deutsch¬ 
sprachige Wochenzeitung („MB“) herausgibt. 











































Die Bedeutung der Einwanderung aus Deutschland 


111 


durch zahlreiche, freiwillige Mitarbeiter unterstützt. Zu den Agenden der 
HOG gehörten: Wohnungsnachweis und Arbeitsvermittlung; Lehrlingsaus¬ 
bildung und Berufsumschichtung; wirtschaftliche Information, Gutachten und 
juristische Beratung; hebräischer Sprachunterricht und Kulturarbeit; Nach¬ 
weis von Möglichkeiten landwirtschaftlicher Ausbildung und Ansiedlung so¬ 
wie Organisierung von Siedlergruppen; soziale Fürsorge und Verwaltung 
einer Hilfskasse. Auch eine Kreditkooperative wurde errichtet, die sich später 
zu einer kommerziellen Bank entwickelte 21 . 

Eine wichtige Aufgabe der HOG bestand auch darin, die landes- und 
sprachunkundigen Einwanderer in das System der im Lande funktionieren¬ 
den wirtschaftlichen und sozialen Verbände zu integrieren und ihnen die 
finanzielle Hilfe der nationalen und öffentlichen Institutionen zugänglich zu 
machen, sowie eine zweckmäßige Verteilung der Spezialfonds der deutschen 
Alija zu bewirken. Trotz der großen Kapitalien, die mit der Einwanderung 
aus Deutschland ins Land kamen, wäre die Eingliederung sehr schwierig und 
die Leistung der deutschen Alija wesentlich geringer gewesen, wenn ihr nicht 
Fonds zur Verfügung gestanden hätten, die in ihrer Zuteilung auf die Be¬ 
dürfnisse dieser Einwanderergruppe zugeschnitten waren. Gleich nach der 
nationalsozialistischen Machtergreifung brachte der Jischuw in spontaner 
Reaktion auf die Geschehnisse in Deutschland einen Fonds in Höhe von 
LP 14 000,- auf, eine für den damaligen Jischuw bemerkenswerte Leistung. 

Der im August 1933 in Prag abgehaltene Zionistenkongreß beschloß die 
Schaffung einer Zentralstelle für die Einwanderung deutscher Juden nach 
Palästina, an deren Spitze der Präsident der Zionistischen Organisation, 
Chaim Weizmann, trat. In Jerusalem errichtete die Jewish Agency unter dem 
Vorsitz von Arthur Ruppin das „Central Bureau for the Settlement of Ger¬ 
man Jews“, die sogenannte „Deutsche Abteilung“ 3 die von Georg Lan¬ 
dauer geleitet wurde. Der „Council for German Jewry“ in London und das 
„American Refugee Committee“ brachten große Summen auf zur Rettung 
und Hilfe für die von der Naziverfolgung betroffenen Juden. Die von die¬ 
sen Sammlungen für Palästina bestimmten Gelder wurden von der Deutschen 
Abteilung verwaltet. Diese Fonds, die im Laufe der Zeit die Höhe von mehr 
als 1 Million Pfund erreichten, ermöglichten der Deutschen Abteilung die 
Finanzierung eines umfassenden Absorptionsplans für die deutsche Alija, ohne 
das reguläre Budget der Jewish Agency zu belasten. Von dem Gesamtbudget 
der Deutschen Abteilung entfiel annähernd die Hälfte auf landwirtschaftliche 
Kolonisation, in Form von Häuserbau und Darlehen an Kibbuzim, Moscha- 
wim, Mittelstandssiedler und Hilfswirtschaften; 20°/o wurden in Verbin¬ 
dung mit der Jugendalija verausgabt, 10% - für fachliche Ausbildung, und 
der Rest für wirtschaftliche Einordnung im städtischen Bereich sowie für Be- 

21 Der Weg der deutschen Alija, Rechenschaftsbericht der Hitachduth Olej Ger¬ 
mania we Olej Austria, Tel-Aviv 1939. 


« 









112 


Ludwig Pinner 


teiligung an verschiedenen Gesellschaften, die für die deutsche Alija tätig 
waren 22 . Zu diesen Gesellschaften gehörte auch die RASSCO, die in enger 
Verbindung mit der von der Jewish Agency errichteten Abteilung für Mittel- 
standsansiedlung fungierte. 

Alle diese Körperschaften wurden von deutschen Juden verwaltet, zu¬ 
meist Veteranen der zionistischen Bewegung, von denen einige schon im 
Lande eingesessen und andere erst mit der fünften Alija eingewandert 
waren. Das koordinierte Zusammenwirken dieser Institutionen schuf den 
Rahmen, der organisatorisch die verschiedenen Bereiche von Auswanderung, 
Vermögenstransfer und Einwanderung nach Palästina bis zur Eingliederung 
der deutschen Juden in den Jischuw umfaßte. Diese Organisation ermöglichte 
die Rettung und planvolle Übersiedlung eines Teiles der deutschen Judenheit 
und stellte so eine wesentliche Voraussetzung für die kollektive Leistung der 
deutschen Alija und ihren positiven Beitrag zum Aufbau des jüdischen Palä¬ 
stina dar. 


Theodor Herzl hatte die Vorstellung, daß die Übersiedlung des jüdischen 
Volkes nach Palästina als planvoll geregeltes Unternehmen durchgeführt 
werden könnte. In seinem Buche „Der Judenstaat“ (1896) war eine Dach- 
Gesellschaft, die „Jewish Company“, vorgesehen, deren Aufgabe es sein 
sollte, jüdischen Besitz zu liquidieren, das Vermögen nach Palästina zu über¬ 
führen und planmäßig in den Aufbau der nationalen Heimstätte zu inve¬ 
stieren. 

Die verhängnisvollen Geschehnisse des Jahres 1933 in Deutschland führten 
dazu, daß in der Einwanderung der deutschen Juden nach Palästina über den 
Haavara-Transfer eine organisierte Übersiedlung in einer Art „Jewish Com¬ 
pany“ durchgeführt wurde, freilich nicht unter den Umständen, die Herzl 
vorgesehen hatte, sondern in einer ungeahnt tragischen Zwangslage und nur 
für einen kleinen Teil des jüdischen Volkes. 


22 Bericht des Central Bureau for the Settlement of German Jews an den XXL Zio¬ 
nistenkongreß in Genf, Jerusalem, August 1939. 





























NAMENREGISTER 


Arlosoroff, Chaim 21, 22, 23 

Bachi, Roberto 76, 89 
Baeck, Leo 15 

Bearsted, (Lord) Walter Horace 83 
Bennathan, Esra 37 
Benzler (Legationsrat) 32 
Bermann, Robert 41, 80 
Bernstorff, (Graf) Johann Heinrich 31 
Brudny, J. 42 

Cohen, Sam 25, 26 
Cotton, Joseph 83 

Danelius, Eva 99 
David, Leo 42, 73 
Dawes, Charles G. 20 
Döhle (Generalkonsul) 31 

Eichmann, Adolf 31, 76 
Erbe, Rene 29 

Feilchenfeld, Werner 12 
Foley, Francis Edward 40 

Gertz, Aaron 76, 89 
Goldmann, Erwin 73 
Göring, Hermann 29 
Grünbaum, Jizchak 82 
Gurevich, David 76, 89 

Hartenstein, Hans 10, 21, 26, 30 
Hentig, Otto v. 30 
Herzl, Theodor 112 
Hirsch, Salli 42 
Hirschfeld, Kurt 80 
Hitler, Adolf 11, 15, 32, 33, 67, 82 
Hoofien, Siegfried 25, 26, 27, 40 
Hubermann, Bronislaw 107 

Kahn, Ernst 37 
Kreutzberger, Max 42 

Landauer, Georg 25, 26, 42,111 


Machnes, Mosche 26 
Mann, Fritz 63 
Marcus, Ernst 12, 41 
Margulies, Heinrich 42 
Michaelis, Dolf 12, 63 
Moses, Siegfried 12, 26, 42, 62 

Neumann, Fritz Simon 57 

Pell, Robert 83 
Pinn, Max 41, 42, 71 
Pinner, Ludwig 12, 42, 60 

Rath, Ernst vom 67 
Reissner, Hanns G. 19 
Roosevelt, Franklin D. 83 
Rosenberg, Alfred 32 
Rothschild, Anthony de 83 
Rublee, George 83 
Ruppin, Arthur 22, 26, 111 

Saalheimer, Siegfried 42 
Schacht, Hjalmar 30 
Senator, Werner 11,42 
Silberman, Curt C. 19 
Stern (Hofrat) 82 
Szold, Henrietta 95 

Tiarks, F. C. 62 
Toscanini, Arturo 107 

Ulitzur, A. 96, 97, 98 
Untermayer, Samuel 19 

Warburg, Max 25, 26, 42, 83 
Wassermann, Siegmund 25, 42 
Weiss-Liwni, Robert 42, 73 
Weizmann, Chaim 39, 67, 111 
Wise, Stephen 10, 19 
Wolff (Generalkonsul) 22, 23 

Young, Owen D. 20 

Zlocisti, Theodor 42 







SCHRIFTENREIHE WISSENSCHAFTLICHER ABHANDLUNGEN 
DES LEO BAECK INSTITUTS 


Band 20: 


Band 21: 


Band 22: 


Band 23: 


Band 24/ 

1 - 2 : 


Band 25: 


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im frühen 19. Jahrhundert 

Zur Geschichte der staatlichen Judenpolitik 

1968. VIII, 232 Seiten. Kart. DM 34.-, Lw. DM 39.- 

Moritz Lazarus und Heymann Steinthal: 

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Mit einer Einleitung von Ingrid Belke 

1971. CXLII, 421 Seiten. Mit 5 Abbildungen. Brosch. DM 90-, 
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schriften, Jahrbücher, Almanache und Kalender. Unveröffentlichte Me¬ 
moiren und Erinnerungsschriften hrsg. v. Max Kreutzberger unter Mit¬ 
arbeit von Irmgard Foerg 

1970. XLI, 623 Seiten, mit 23 Kunstdrucktafeln. Brosch. DM 135-, 
Lw. DM 143.- 

Hans Liebeschütz • Von Georg Simmel 
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Studien zum Jüdischen Denken im deutschen Kulturbereich 
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1970. VIII, 258 Seiten. Brosch. DM 32.-, Lw. DM 37.50 

Selma Stern • Der Preußische Staat und die Juden 
Dritter Teil: Die Zeit Friedrichs des Großen 
Erste Abteilung: Darstellung. XV, 426 Seiten 
Zweite Abteilung: Akten, 

Erster Halbband, V, 1-814 
Zweiter Halbband, V, 815-1615 

1971. Brosch. DM 450-, Lw. DM 480.- 

Werner E. Mosse (Hrsg.) • Deutsches Judentum 
in Krieg und Revolution 1916-1923 

Ein Sammelband herausgegeben von Werner E. Mosse 

unter Mitwirkung von Arnold Paucker 

1971. XI, 704 Seiten. Brosch. DM 65.-, Lw. DM 72.- 


J.C.B.MOHR (PAUL SIEBECK) TÜBINGEN 
























































Das Leo Baeck Institut (Jerusalem / London / 
New York) ist 1955 vom Council of Jews from 
Germany ins Leben gerufen worden mit dem 
Ziel, die wissenschaftliche Forschung auf dem 
Gebiet der Geschichte der Juden in Deutsch¬ 
land und anderen deutschsprachigen Gebieten 
seit der Zeit der Aufklärung zu betreiben, das 
dazu nötige Material zu sammeln und die Ver¬ 
öffentlichung entsprechender Darstellungen zu 
fördern. Das Institut trägt den Namen des 
Mannes, der die letzte repräsentative Erschei¬ 
nung des Judentums in Deutschland vor dem 
zweiten Weltkrieg war.